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«Wir sind hier eine Schar von Menschen»

Ein Fotoband über das Kloster Disentis ist gleichzeitig ein Buch über die Welt: Erwin Koch fasste in «Das Kloster Disentis» die persönlichen Aussagen von zwölf Klosterbrüdern zusammen, Giorgo von Arb fotografierte im Kloster. Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt.

Südostschweiz
07.10.10 - 02:00 Uhr

Von Elisabeth Bardill

Dreissig Mönche leben in der hoch über dem Dorf thronenden Benediktinerabtei Disentis. Es sind Männer, die eines vereint: der Wille, im Kloster zu leben und Gott nahe zu sein. Fünf Mal am Tag treffen sie sich zum Gebet in der Kirche, zum ersten Mal morgens um 5.30 Uhr, zum letzten Mal abends um 20 Uhr. Dazwischen gehen sie ihren anspruchsvollen Aufgaben und Pflichten nach als Abt, Pförtner, Ökonom, Gastbruder, Krankenbruder, Lehrer, Choralmagister, Novizenmeister, Bäcker, Bibliothekar, Organist, Sakristan ... Die Tage sind durchstrukturiert. Das Kloster ist eine Welt mit vielen Verbindungen zur Aussenwelt, allein schon durch die Klosterschule mit rund 200 Schülerinnen und Schülern.

Verantwortung tragen

«Der Mönch ist einsam. Das ist wesentlich. Wir sind hier eine Schar von Menschen, die ihre Art, das Leben zu bestehen, sehr bewusst gewählt haben – bewusster als die meisten Männer, die Ehemann oder Vater wurden.» Pater Pirmin Gnädinger, ehemaliger Rektor und Lehrer der Klosterschule, weiss, wovon er spricht: «Im Laufe meiner Jahre als Präfekt entwickelte ich fast einen sechsten Sinn für gewisse Situationen der Jugendlichen. In ihrer Lust, Grenzen zu erfahren, sind die Jungen unermüdlich. Das ist ihr Recht, vielleicht sogar ihre Pflicht. Als Erzieher aber stehst du auf der andern Seite, man trägt Verantwortung und zieht Zäune.»Bruder Stefan Keusch beschäftigt Folgendes: «Vor sieben Jahren hatten wir eine Krise. Seither hat sich hier etwas verändert. Wirkliche Freunde habe ich hier keine. Meine Probleme berede ich anderswo. Und trotzdem weiss ich, dass ich hierher gehöre. Dieses Kloster ist der Schmelzpunkt meines Lebens. Und so Gott will, werde ich hier sterben. Das Orgelspiel ist meine Passion, es bestätigt mich, macht mich frei und ruhig, manchmal glücklich. Doch wenn Zeitnot herrscht, wird die Passion zur Hassliebe.»

Einheit in Vielfalt

«Als Abt kann ich nicht der geistliche Vater, der Vertraute oder Freund aller sein. Ich bin, wenn schon, der geistliche Vater der Gemeinschaft. Der Brennpunkt meines Abtseins ist das Ganze, die Summe aller Teile. Der Wahlspruch, den ich annahm, heisst Unitas in diversitate, Einheit in Vielfalt. Dies bedeutet, dass ich versuche, die Einheit der Mönche und ihre Talente auszufächern. Aber auch umgekehrt, die Flöhe im Sack zu halten.» Abt Daniel Schönbächler erklärt das für viele Menschen Unbegreifliche so: «Man geht ins Kloster, weil man dazu berufen ist! Weiss ein Mann, warum er seine Frau heiratet? Aus Liebe! Ist das Grund genug? Eigentlich nicht! Oder doch . . ?»Der neue Fotoband führt in Bild und Text hinter die dicken Mauern, hinter denen gelacht und geweint, gegessen und geschlafen wird, wo man jung sein kann und auch sterben darf. Die dicken Mauern bergen im Labyrinth der Räume eine bewegte Geschichte der Benediktinerabtei. Doch was bewegt den einzelnen Menschen in seiner Zelle, an seinem Arbeitsort, beim Beten und Singen in der Gemeinschaft?«Das Kloster Disentis», Benteli Verlag, 232 Seiten, 145 Abbildungen, 78 Franken.

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