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Testlauf für den Gotthard

Die Südostbahn und der Schienenfahrzeughersteller Stadler haben den neuen Zug «Traverso» präsentiert. Er soll ab Ende 2019 auf der Strecke St. Gallen–Luzern und damit auch durchs Linthgebiet fahren. Und das ist erst der Anfang.

Südostschweiz
08.06.18 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Modernes Inneres, aerodymanisches Äusseres: Den Gästen gefällt der neue «Traverso» beim Probesitzen.
Modernes Inneres, aerodymanisches Äusseres: Den Gästen gefällt der neue «Traverso» beim Probesitzen.
RALPH RABI

Er heisst «Traverso» und wird quer durchs Land fahren: von Basel und Zürich über den Gotthard und von Chur über Zürich nach Bern. Dahinter steht eine wirtschaftliche Notwendigkeit: Die Südostbahn muss über die Ostschweiz hinaus wachsen, wenn sie längerfristig überleben will. Das Spiel mit dem italienischen Namen ist daher einerseits der Blick voraus auf die Inbetriebnahme der Strecken zu den Fahrplanwechseln 2020 und 2021. Es ist aber auch ein Hinweis auf ein Bahnunternehmen, das sich vom Regionalverkehr auf einem 123 Kilometer langen Streckennetz lösen und zu einem Fernverkehrsunternehmen mausern will, und das dafür mit den Bundesbahnen zusammenarbeitet.

Und es ist ein Fingerzeig auf eine Bahn, die ihre Rolle als kreative Innovatorin und Querdenkerin wahrnimmt. Diese Strategie von Thomas Küchler, Vorsitzender der SOB-Geschäftsleitung, scheint aufzugehen: Nach den Sommerferien erwartet er grünes Licht von den SBB für die Strecke von Chur nach Bern. Am Gotthard sind sich die beiden Bahnunternehmen bereits einig.

Voralpen-Express als Probestrecke

Die Probefahrt für den Gotthard wird allerdings auf der bei Pendlern und Touristen gleichermassen beliebten Linie des Voralpen-Express’ stattfinden, der stündlichen Verbindung zwischen St. Gallen und Luzern via Linthgebiet. Man glaubt es kaum: Nirgends gibt es mit 50 Promille steilere Passagen als zwischen Pfäffikon (SZ) und Biberbrugg sowie zwischen Arth-Goldau und Rothenthurm: Sie sind fast zweimal so steil wie die Strecke am Gotthard – und damit ein Hindernis für den Fernverkehr. Der neue «Traverso» wird die Steigung wohl meistern. Mit 1,1 Metern pro Sekunde Beschleunigung kann der Zug auch kleinere Verspätungen ausgleichen, um den Fahrplan einzuhalten.

Der Ersatz der gesamten Voralpen-Express-Flotte beschäftigt Küchler seit neun Jahren, also seit er bei der SOB ist. Die Ostschweizer Kantone hätten den Zug, der seit 1992 unter dem Namen Voralpen-Express fährt, bereits aufgeben wollen, rief Küchler im Stadler-Inbetriebsetzungszentrum in Erlen in Erinnerung. «Wir haben zuerst aufzeigen müssen, dass es sich lohnt, in dieses Markenprodukt zu investieren.» Der Voralpen-Express trägt über 50 Prozent an den jährlichen Umsatz des Unternehmens mit über 560 Mitarbeitenden und über 13,5 Millionen beförderten Passagieren (2017) bei.

Die mit Prunk, Pomp und vielen prominenten Gästen aus Wirtschaft und Politik begangene Präsentation des neuen «Traverso», der sogenannte Roll-out, markierte also weit mehr als die Inbetriebnahme eines bekannten Markenzugs. Küchler spricht von einem «neuen Meilenstein der Mobilität auf Schienen».

1500 Vorgaben zu erfüllen

1500 «Flirts» hat der Thurgauer Schienenfahrzeughersteller in 17 Länder ausgeliefert. Für die elf elektrischen Niederflurtriebzüge, die ab dem Fahrplanwechsel 2019/20 die teils fast 40 Jahre alten SOB-Kompositionen ablösen, musste sich Stadler einiges einfallen lassen. Die internationale Ausschreibung 2013 umfasste 1500 Vorgaben, die zu erfüllen waren. Weitere 100 Änderungen von Verbänden von Menschen mit einer Beeinträchtigung kamen dazu. «Diesen Spagat zwischen Innovation und Finanzierung haben wir gut gemeistert», sagt SOB-Verwaltungsrat Hans Altherr.

Dank der SOB wird aus dem Flirt-Regionalzug nun ein Flirt, der als Intercity auf Fernverkehrsstrecken eingesetzt wird. Nach dem Roll-out beginnen nun die gesetzlich vorgeschriebenen Typentests. Im zweiten Quartal 2019 soll die Fahrzeugzulassung vorliegen. Ab diesem Zeitpunkt sollen die ersten Testfahrten mit Publikum stattfinden. Am 15. Dezember 2019 soll der «Traverso» dann die gesamte Voralpen-Expressflotte ablösen.

Für die unter der Fernverkehrskonzession der SBB betriebene Linie Zürich/Basel–Gotthard-Bergstrecke–Locarno ab Ende 2020 hat die SOB bei Stadler eine Option auf weitere elf Triebzüge angekündigt. «Dieser Auftrag kommt bestimmt», betonte Küchler an die Adresse von Stadler-Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler.

Aussen Kupfer – innen Eichenholz
Das Halbmetall Kupfer ist neu in der Schweizer Bahnlandschaft – es symbolisiert von Weitem die Hochwertigkeit der verarbeiteten Materialien und die Innovation, die im neuen Flirt «Traverso» steckt. Das zeigt sich etwa in den neuen Motorendreh- und den optimierten leichteren Laufdrehgestellen. Innovative Fahrzeugtechnik sorgt für einen minimierten Rad- und Schienenverschleiss auf dem kurvenreichen SOB-Streckennetz. Im Wageninnern halten grosse Panoramafenster zwar die Sonne ab, lassen die Handysignale aber durch. Ein WLAN-Netz gibt es daher im neuen Voralpen-Express nicht. 
Die achtteiligen Züge verfügen über 359 Sitzplätze, davon 68 Plätze in der 1. Klasse. In den vierteiligen Zügen gibt es 197 Sitzplätze, davon 22 in der 1. Klasse. In den Wagen ist ein sogenanntes Walk-in-System, eine Fahrtenerkennung, eingebaut. Es gibt ein Familienabteil, Verpflegungs- und Kaffeeautomaten sowie 12 bis 16 Stehplätze für Velos und Stauraum für Ski. Zu den Rollstuhlbereichen gehört auch ein Sitz in der 1. Klasse. Im «Traverso» wird auch ein neues rollstuhlgerechtes WC-System getestet. Rund um die Sitzplätze, alle mit Steckdosen ausgerüstet, ist viel Eichenholz zu finden. «Das ist ja wie in einem Flugzeug», staunte ein Gast bei der Erstbegehung. (cz)

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