×

Textilindustrie kehrt zurück

Eine Reise nach China hat ETH-Ingenieur Martin Klöti geschockt. Seit damals ist für ihn klar: Er wünscht sich, dass ethische Prinzipien besser berücksichtigt werden. Mit der Genossenschaft Glärnisch Textil setzt er sich zudem für eine gerechte, solidarische Wirtschaft ein. Doch wie genau kriegt die Genossenschaft das hin?

Südostschweiz
25.02.18 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Dank dieser Walze lassen sich je nach Bedarf Faserlänge und Faserbündeldicke steuern.
Dank dieser Walze lassen sich je nach Bedarf Faserlänge und Faserbündeldicke steuern.
MADELEINE KUHN-BAER

Von Madeleine Kuhn-Baer

2006: Martin Klöti fliegt von China retour und denkt geschockt über die katastrophalen Verhältnisse und die Ausbeutung der Arbeiter nach. Noch im Flugzeug beginnt er, seinen Doku-Roman «2026 – Rückblick auf die Zeit nach dem Ölschock» zu schreiben. Darin äussert er seine Bedenken über die «wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen» in der Welt.

Der Kultur- und Betriebsingenieur ETH fordert im Buch eine Rückbesinnung auf die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und die Rückgewinnung der Arbeitsplätze, die durch den Wegzug der Produktionsindustrie bei uns verloren gegangen sind. Er wünscht sich, dass ethische Prinzipien wieder vermehrt berücksichtigt werden. Und er schildert, wie mit der Kombination von Tradition und Innovation die Textilindustrie ihren Weg zurück ins Glarnerland findet.

2018: Martin Klöti ist seiner Vision ein gutes Stück näher gekommen. In einer alten Lagerhalle im nördlichen Gebäude des Holensteins bei Glarus stehen elf schwere Maschinen. Sie sind Bestandteil einer Faseraufbereitungsanlage, die Flachs und Hanf «bricht», das heisst Fasern und Holz voneinander trennt. Rund 40 Tonnen Rohmaterial lagern in den Räumlichkeiten an der Linth.

Zudem ist Ende 2017 die Genossenschaft Glärnisch Textil gegründet worden. Sie verfolgt die Prinzipien einer gerechten, zukunfts- und tragfähigen, solidarischen Wirtschaft. «Im Wesentlichen geht es um die umfassende Wahrnehmung der menschlichen Bedürfnisse unter vereinbarter Zustimmung aller Beteiligten und unter Respektierung der natürlichen Ressourcen und Begrenzungen», heisst es im Leitbild.

Die Genossenschaft will aus Flachs (Leinen) und Hanf Bekleidung wie individuelle Jeans, Polos und Bags, aber auch technische Textilien wie Sonnen- und Sportsegel, Blachen und Decken herstellen. Alles aus der Schweiz, zum grossen Teil gefertigt im Glarnerland. «Regional, fair, freundlich, solidarisch», sagt Klöti.

Drei der fünf Verwaltungsräte (von links): Martin Klöti, Eva Gallati und Yves Barth.
MADELEINE KUHN-BAER

Leinen ist in der Textilindustrie im späten 19. Jahrhundert fast völlig durch Baumwolle verdrängt worden, gewinnt jedoch in jüngster Zeit als ökologische Naturfaser wieder an Bedeutung.

Die Genossenschaft verwendet Flachs aus dem Emmental und Aargau sowie Hanf, der teilweise noch aus dem Ausland stammt, zum Beispiel aus dem österreichischen Waldviertel. Schmunzelnd erzählt Martin Klöti, wie er kürzlich Hanfmuster in zwei Säcken im Zug in die Schweiz eingeführt hat. Als er dem Zöllner sagte, es handle sich um Hanf, meinte dieser, da müsse der Hund schnüffeln. Gesagt, getan – der Hund gab aber nicht an.

Der 58-Jährige demonstriert im Holenstein, wie Fasern und Holz voneinander getrennt werden. Von Hand reibt, stösst, zieht und schüttelt er die Strohhalme, bis die Faserbündel frei liegen. «Die Fasern sind wie ein Stäubli», sagt er lachend. Einfacher geht es natürlich mit den Maschinen.

Nach etwas reiben, stossen, ziehen und schütteln, liegen die Faserbündel frei.
Nach etwas reiben, stossen, ziehen und schütteln, liegen die Faserbündel frei.
MADELEINE KUHN-BAER

Die Faseraufbereitungsanlage wird nun vorerst alle im Holenstein lagernden Strohballen entholzen respektive «brechen». Anschliessend wird sie auf Fahrzeuge verladen, um in Zukunft das Strohvolumen jeweils gleich auf den Bauern- höfen von den Holzschäben zu befreien. Diese mobile Anlage ist als zweiter Geschäftsbereich gedacht.

Sobald die Halle leer ist, sollen dort die Rohfasern gewaschen, veredelt und gefärbt werden. Im Moment passiert dies noch in Deutschland. Ebenso wird eine Spinnerei eingerichtet, um aus den Fasern Garn herzustellen. Gewoben wird in der Folge bei Partnern im Glarnerland. Das Schneiden, Nähen und Veredeln soll schliesslich «in Glarner Ateliers und bei Ihnen zu Hause» erfolgen, «mit auftragsgerechtem Material und Schnittmuster, gebracht und abgeholt vom eigenen Kurier». Für den Verkauf sind Läden in Glarus und Zürich sowie ein Webshop geplant.

Das Projekt, die Textilindustrie wieder ins Glarnerland zu holen, ist ehrgeizig. Martin Klöti glaubt daran: «Die Glarner sind gut verankert, innovativ, zuverlässig und authentisch. Für sie ist es kein Sinneswandel, sondern eine Sinnesbestätigung.» Klar sei das Projekt ein «Megalupf»: «Wir können es nicht alleine schaffen, sondern nur gemeinsam mit den Glarnerinnen und Glarnern.»

Der Thalwiler kennt das Glarnerland von Kindsbeinen an, als er in Braunwald das Skifahren erlernt hat. Regelmässig kommt er ins Tal, fühlt sich geborgen und verankert hier. Dass immer mehr Fabriken und Wohnhäuser leer stehen, bedrückt ihn.

Auch die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates/der Direktion sind überzeugt von der Idee. Eva Gallati aus Ennenda und Yves Barth aus Bern sind beim Gespräch mit der «Glarner Woche» mit dabei. Zudem gehören Frank Russek aus Männedorf und Mara Klöti aus Zürich dem Leitungsgremium an. «Ich möchte etwas Positives in die nächste Generation einbringen», sagt Barth. «Es soll langsam wachsen wie eine Pflanze. Wächst diese zu schnell, kippt sie im nächsten Sturm. Wir stehen nahe beieinander, um Halt zu geben», meint Gallati. Aktuell besteht die Genossenschaft aus rund 30 Mitgliedern. Es sollen noch mehr werden. Gesucht werden zudem Näherinnen im Kanton. «Wir brauchen helfende Hände und Portmonees», so Klöti. Genossenschafter können, wenn sie wollen, nicht nur mit der Idee sympathisieren, sondern auch aktiv mitwirken, Anteilscheine zeichnen, Obligationen erwerben oder für Bankkredite bürgen.

Ab Mitte 2018 soll die Produktion laufen. Wer sich für das Projekt interessiert, kann jeden 18. des Monats die Maschinen im Holenstein besichtigen. Nächster Termin ist am 18. März, von 12 bis 16 Uhr.

Infos und Kontakt: www.glaernischtextil.ch, contact@glaernischtextil.ch, 079 405 69 33 (Martin Klöti, VR-Präsident)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Wirtschaft MEHR