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Angeblich von Anfang an so geplant: Fotoverbot aufgehoben

Das gesetzlich verankerte Fotoverbot im Bündner Bergdorf Bergün ist nach zwei Tagen bereits wieder aufgehoben. Angeblich war das von Anfang an so geplant und das ganze eine Werbeaktion.

Agentur
sda
01.06.17 - 19:04 Uhr
Stars & Sternli
Das Medienecho auf das Bergüner Fotoverbot war riesig - die Reaktionen allerdings im besten Fall durchzogen. In der Schweiz braute sich ein Shitstorm zusammen.
Das Medienecho auf das Bergüner Fotoverbot war riesig - die Reaktionen allerdings im besten Fall durchzogen. In der Schweiz braute sich ein Shitstorm zusammen.
Bergün Fillisur Tourismus

Offenbar war es auch nie die Absicht, wie angekündigt Bussen für unerlaubtes Fotografieren zu verteilen. «Das Fotoverbot war eine Aktion in mehreren Akten mit einer geplanten Dramaturgie», sagte Cyrill Hauser, PR-Chef bei der federführenden Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat der Nachrichtenagentur sda.

Die Agentur entwickelte diese Kampagne zusammen mit dem Gemeindevorstand von Bergün, mit Bergün Filisur Tourismus und der kantonalen Organisation «Graubünden Ferien».

Der Bergüner Gemeindepräsident Peter Nicolay stellte am Donnerstagabend eine kollektive Sonderbewilligung aus für das Fotografieren im Dorf, wie die Gemeinde mitteilte. Die Sonderbewilligung ist notwendig, weil das Gesetz zum Fotoverbot nach Auffassung der Gemeinde rechtskräftig ist.

Stimmberechtigte waren eingeweiht

Das Verbot war am Montagabend von der Gemeindeversammlung nahezu einstimmig verabschiedet worden und trat schon am nächsten Tag in Kraft. Es wurde damit begründet, dass Bilder aus dem pittoresken Bergün Menschen unglücklich machten, die gerade nicht auf 1400 Metern über Meer im schönen Albulatal weilen könnten. Das wolle man verhindern.

Offenbar waren die Stimmberechtigten über die hinter dem Fotoverbot stehenden Absichten und auch dessen geplante Aufhebung informiert. Es scheint, als habe das halbe Dorf zwei Tage lang geblufft und Medien an der Nase herumgeführt. Nicht alle Journalisten goutieren das, wie branchenintern umgehend zu vernehmen war.

Das Fotoverbot im scheinbar verschrobenen Bergdorf in den Schweizer Alpen löste sofort ein riesiges, internationales Echo in Medien und auf Social Media aus. Obwohl den meisten Journalisten und Kommentarschreibern bewusst war, dass dahinter wohl eine Werbeaktion steckte, irritierte die gesetzliche Verankerung durch eine offenbar legitimierte Gemeindeversammlung.

Irritierte bis verärgerte Reaktionen

Viele Schreibende reagierten irritiert bis verärgert. In der Schweiz braute sich in den Kommentaren auf Zeitungsportalen ein Shitstorm zusammen. Der Tenor lautete: «Nach Bergün fahre ich nun erst recht nicht. Verbote gibt es in der Schweiz schon genug.» Die Kommentare im Ausland waren etwas wohlwollender, wenn auch selten überschwenglich.

Gemeindepräsident Nicolay zieht dennoch ein positives Fazit. Die Gemeinde hätte nie gedacht, ein derart grosse Medienecho auszulösen. Bilder des Dorfes seien nun gesuchter denn je. Nach Angaben der Beteiligten aus Werbung und Tourismus erreichte Bergün mit der Aktion Millionen von Menschen weltweit bei minimalen Ausgaben.

Mit Kritik gerechnet

Von den zahlreichen negativen und in der Schweiz nicht selten gar aggressiven Kommentaren wollen die involvierten Touristiker und Werber nicht überrascht worden sein, wie sie auf Anfrage erklärten. «Wir haben gewusst, dass die Geschichte kontrovers aufgenommen wird», sagte der Bergüner Tourismusdirektor Marc-Andrea Barandun.

Zudem würde sich die negative Welle bereits jetzt legen, positive Kommentare häuften sich, erklärte Cyrill Hauser, PR-Chef bei Jung von Matt/Limmat. Und im Ausland sei die Aktion von Anfang an positiver aufgenommen worden als in der Schweiz.

Zur Frage nach der Verhältnismässigkeit eines Gesetzerlasses im Dienste einer Werbekampagne sagte Tourismusdirektor Barandun: «Die Gesetzesänderung war notwendig, damit die Kampagne die richtige Wirkung entfaltet». Wie viele der dadurch auf Bergün aufmerksam gewordenen Menschen nun tatsächlich den Weg ins Albulatal finden, werde sich allerdings erst zeigen.

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Der bittere Aspekt ist wohl, dass gewissermassen Zwang oder eine Art von Gewalt (Staatsgewalt) benutzt oder missbraucht wird, um potenzielle Tourismuskunden zu "drücken". Dasselbe Muster fiel mir auf bei Marcel Friberg, der die GR-Schulkinder "obligatorisch" in die Skilager "zwingen" wollte, und als das auf Opposition stiess (Regierungsrat Jäger sagte damals, das gehe schon rechtlich nicht) doppelte Präsident Friberg für dasselbe Anliegen sogar in Bern (also national) nach: das finde ich eh falsch (und quasi unbelehrbar obendrein). Meine Lebenshaltung: Ein Mensch sollte etwas "möchten", aus eigenem Herzen sich wünschen, erst recht gilt das für Kunden: Anbieter sollten alles Streben in tollste Produkte investieren, quasi "Warme Weggli", die ihnen die Kunden von selbst "aus den Händen reissen", dann braucht es kein Marketing, es würde "selbsterklärend", automatisch funktionieren, sprich: Die Millionen für MarketigSCHEIN (besonders verlockende Worte) würde ich ausschliesslich in ProdukteSEIN uminvestieren.

SO titelt:
"Angeblich von Anfang an so geplant: Fotoverbot aufgehoben"
Behaupten können das die Absender dieser "Tourismusfotoverhinderungskampagne" natürlich - ebenso wie die Behauptung, es sei "wissenschaftlich erwiesen", dass (...) unglücklich mache.
HSG-Professor Laesser (SO 1.6.2017): "Ich wäre sehr interessiert an einer Quellenangabe, damit ich mir diese Studie selbst mal ansehen kann."
Ja, diese Quellenangabe würde sicher die meisten SO-Leser interessieren, wären nicht die Journalisten aufgerufen für Aufklärung zu recherchieren?

Den Satz «Trotz des anhaltenden Erfolgs dieser Kampagne erlaubt Bergün ab sofort das Fotografieren wieder» finde ich unlogisch.
«Gemeindepräsident Peter Nicolay: «Millionen von Menschen rund um den Globus kennen Bergün jetzt.»
Wenn das der "Massstab" ist: Millionen kennen auch Trump inzwischen.
Unsympathisch finde ich all diese Aktionen von Jung&Matt - aber das müssen die Bündner Steuerzahler selbst wissen. GRF ist ein Privatverein, der den grössten Teil seines rund 12-Millionen-Jahresbudgets vom Kanton bekommt. Erinnert mich irgendwie an Olympiadeabstimmung 12.2.2017.

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