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«Die grosse Arbeit geschieht oft im Hintergrund»

Seit April 2014 wirkt Thomas Stauffer als Cheftrainer bei Swiss-Ski. Mit dem Berner Oberländer ist das Männer-Team, das bis auf Platz 7 abgerutscht war, an die Spitze zurückgekehrt.

Agentur
sda
18.01.23 - 06:00 Uhr
Ski alpin
Thomas Stauffer ist länger am Stück Cheftrainer der Schweizer Männer als es Karl Frehsner war
Thomas Stauffer ist länger am Stück Cheftrainer der Schweizer Männer als es Karl Frehsner war
KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

Diesen Winter haben die Schweizer Männer in 20 Saisonrennen schon 19 Podestplätze und mehr als 3400 Weltcup-Punkte geholt, so viele wie noch nie zuvor unter Stauffer und auch 700 Punkte mehr als die nächstbeste Nation (Norwegen).

Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der 53-jährige Stauffer über die Freude am Job, wie lange er diesen noch ausüben will, was dabei wichtig ist und wie gross der Anteil von Swiss-Ski an den Erfolgen von Marco Odermatt ist.

Thomas Stauffer, bestimmt haben Sie gerade sehr viel Freude an Ihrem Job, nicht wahr?

«Das ist so. Wenn der Erfolg da ist, geht es einfacher.»

Ist der Erfolg zum Selbstläufer geworden?

«Einfacher heisst nicht einfach. So war die Schneesituation in den letzten Wochen schwierig. Auch befindet sich das Team in einem gewissen Umbruch. Relativ viele Athleten sind an der Schwelle zum Weltcup, wir haben aber zu wenig Startplätze für alle. Darum gilt es für jedes Rennen zu überlegen: Wen bringe ich, wer ist in Form und kann sich qualifizieren? Gleichzeitig muss ich dafür einem anderen Fahrer sagen, dass er nicht zum Einsatz kommen wird und vorderhand vielleicht im Europacup fahren wird.»

Das sind doch eher kleinere Entscheide...

«Aber auch solche sind wichtig. Allzu viel sollte man nicht falsch entscheiden, denn es geht bei solchen Fragen um die nächsten zwei, drei Jahre.»

Wie meinen Sie das?

«Es geht immer darum, die Athleten zu entwickeln. Holt zum Beispiel heuer einer im Europacup einen Fixplatz und stösst er dann nächstes Jahr in die Top 30 vor, so ist er übernächste Saison voll drin. Solche Entscheide können also Auswirkungen auf mehrere Jahre haben. Wir sind nun so weit, dass wir in allen Disziplinen in die Top drei fahren können. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir auch in zwei oder drei Jahren in jeder Disziplin jeweils mit mehreren Podestanwärtern antreten können.»

Im Durchschnitt gewinnt das Schweizer Männer-Team aktuell mehr als 170 Punkte pro Rennen, das sind fast 20 Punkte mehr als in der vergangenen Saison. Ist diese Steigerung vor allem auf Marco Odermatt zurückzuführen?

«Anfang Saison sah es fast danach aus. Doch zuletzt in Bormio und Wengen war das anders, da punkteten auch viele andere Fahrer fleissig.»

Einer davon ist Loïc Meillard. Wie wichtig war es, dass er nach der letzten Saison von der Trainingsgruppe um Odermatt zu den Slalom-Fahrern gewechselt hat?

«Der Grund für den Wechsel war, dass er über mehr Slalom-Training auch mehr Konstanz in dieser Disziplin erreichen sollte. Diese hatte er zuvor nicht, weil in der anderen Gruppe der Slalom die vierte Disziplin war und er jeweils alleine Slalom trainieren musste. Doch für mich gehört der Athlet in die Gruppe, in welcher er im Moment am meisten profitiert. Bei Loïc kam der Slalom effektiv zu kurz, weil die Trainingsgruppe speed-lastig trainierte. Das Programm war mehr auf Odermatt und die anderen Athleten ausgerichtet. Zudem war in dieser Gruppe zu wenig Personal, um das Slalom-Training mit einer Qualität zu organisieren, die Loïc weiterbringt.»

Wie gross ist der Anteil von Swiss-Ski an den Erfolgen eines Marco Odermatt?

«Wenn der Athlet mit dem Sport beginnt, er ausgebildet wird und sich die Fähigkeiten erarbeitet, dann sind wir noch nicht dabei. Sein Weg fängt weit vor Swiss-Ski an. Wir sind später dafür da, die Bedingungen und das Umfeld so zu schaffen, dass sich ein Athlet darin entwickeln kann, wenn möglich auf ein Niveau, auf welchem sich jetzt ein Odermatt oder auch Meillard befinden.»

Was meinen Sie mit Bedingungen und Umfeld?

«Die grosse Arbeit geschieht oftmals im Hintergrund. Wohl 75 Prozent sind Bereitstellung des Umfelds. Sei es, dass der Athlet möglichst immer die richtige Piste zur Verfügung hat, damit er sich auf die entsprechenden Rennen vorbereiten und das Material abstimmen kann. Sei es, dass der Athletiktrainer genau weiss, was er machen muss und wo der Athlet noch Nachholbedarf oder Schwächen hat. Für einen Athleten, der drei Disziplinen fährt, gibt es nicht wirklich viele freie Tage während der Saison. Er benötigt also optimale Trainingsbedingungen. Die wenigen Tage müssen gut genutzt werden. Wir können nicht irgendwo hinfahren, und dann ist die Piste in schlechtem Zustand.»

Sie sind seit neun Jahren ununterbrochen Cheftrainer, so lange wie vor Ihnen keiner, nicht einmal der legendäre Karl Frehsner. Das war ja kaum beim Job-Antritt so geplant, oder?

«Als ich kam, plante ich schon langfristig. Aber wie lange genau, das kann ich nicht in Jahren ausdrücken. Ich wollte einen Athleten-Zyklus absolvieren. Ein solcher dauert für mich etwa acht Jahre. Vier Jahre, um die Athleten in den Weltcup zu bringen, vier weitere Jahre, bis sie an der Spitze sind.»

Mittlerweile feiern Sie grosse Erfolge. Zu Beginn Ihrer Ägide war es viel schwieriger, da standen Sie vor Wengen mit nur einem (2015) oder gar keinem (2016) Podestplatz da. War Ihre Arbeit damals die gleiche?

«Das Arbeiten an sich ist nicht grundlegend anders. Du musst immer schauen, dass es vorwärtsgeht und dass du besser wirst. Du musst auf allen Stufen und in allen Disziplinen immer dranbleiben. Sei es im Weltcup- und Europacup oder sei es im Frühling mit dem Zusammenstellen der Trainingsgruppen. Dabei musst du überlegen, welchen Athleten du wohin einteilst, welcher was an Athletik-Training braucht, wo welches Skitraining nötig ist. Oder wo mache ich mehr Prävention, damit mir die Athleten erhalten bleiben? Die Arbeit ist sehr ähnlich, einfach die Resultate sind anders.»

Was haben Sie anders gemacht als Ihre Vorgänger?

«Ich habe gar nicht gross geschaut, was sie gemacht haben. Ich achte vielmehr darauf, wer braucht was und wen teile ich wo ein. Während jedem Frühling erfolgt eine Auslegeordnung. Das Ganze ist ein Prozess von rund zwei Monaten, ab März diskutiere ich mit den Trainern. Irgendwann ergibt sich ein klareres Bild, wen ich wo am effizientesten einsetzen und einteilen kann, seien es die Athleten oder die Betreuer.»

Was sind für Sie wichtige Führungsprinzipien?

«Führen geschieht auf Augenhöhe. Wichtig ist auch die Konstanz, die wir bei den Trainern haben. Man kennt einander, führt gute Dialoge. Jeder weiss vom anderen, was er erwartet, wie er arbeitet und wie er 'tickt'. Zwei, drei oder vier Köpfe bringen meist mehr zustande als nur einer. Ich bin nicht der Meinung, dass ich von Anfang an immer alles am besten weiss. Wenn mir etwas auffällt, so muss ich dafür besorgt sein, den anderen zu überzeugen.»

Auf was legen Sie besonders Wert?

«Ich will eine Diskussion haben. Ich will möglichst viel davon wissen, was im Detail läuft. Manchmal muss ich nachhaken. Nicht um der Kontrolle wegen, aber damit ich vollständig informiert bin. Dann kann ich nämlich schon vorausdenken. Wenn du hingegen nicht weisst, was gelaufen ist, stehst du plötzlich da, und es ist schwierig Änderungen oder Anpassungen zu machen. Es geht darum, aus jeder Situation das Beste zu machen. Wenn einem das häufig gelingt, dann geht es vorwärts.»

Wie lange sehen Sie sich noch in diesem Job?

«Ich sehe durchaus noch interessante Aufgaben. Ich muss die zweite Garde heranbringen, den Umbruch schaffen. Die, die du jetzt noch nicht bemerkst, musst du so gut machen, dass du sie eben bemerkst.»

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