Adrian Oertig macht halbes Dutzend voll

von Bernhard Camenisch

«Hühnerhaut hat man immer – ob man das erste oder das sechste Mal dabei ist», sagt Adrian Oertig. «Nicht 
viele können ihren Sport vor 50'000 Zuschauern ausüben.» Für den 35-Jährigen aus Goldingen wird es morgen tatsächlich schon die sechste Teilnahme an einem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest. Seit 2001 hat er kein «Eidgenössisches» verpasst. 

Das in Estavayer wird für Oertig ein ganz spezielles. Zum einen weiss er, dass er zum letzten Mal an einem «Eidgenössischen» schwingt. Zum andern konnte er vor einem Jahr nicht unbedingt damit rechnen, nochmals für eines selektioniert zu werden. Die Saison 2015 war für ihn vorbei, ehe sie richtig begonnen hatte. Anfang April zog sich Oertig ausgerechnet beim «Rapperswiler» Verbandsfest und ausgerechnet in seiner Heimat Goldingen einen Kreuzbandriss im linken Knie zu. «Es war die schwerste Verletzung in meiner Karriere», sagt er. Das Knie ist längst wieder verheilt. Die mentale Auswirkung der Verletzung machte ihm hingegen länger zu schaffen, 
erklärt der Vater der achtjährigen Amélie und des sechsjährigen Lionel.

So wollte ich nicht aufhören

Für Oertig war immer klar, dass er sich nach der Verletzungspause nochmals zurückkämpfen wollte. Nicht wegen des «Eidgenössischen» in Estavayer, denn dieses hatte er zunächst gar nicht mehr auf dem Radar. «Aber so wollte ich nicht aufhören», spricht er den Kreuzbandriss an.

Im letzten Winter konnte der Routinier einen «sauberen Aufbau» machen. Dass er aber schon Anfang Mai am Zürcher Kantonalschwingfest wieder den Kranz, den 38. seiner Karriere, machen würde, überraschte ihn zu diesem Zeitpunkt selbst. Mittlerweile muss der Pöstler aber von einer durchzogenen Saison sprechen, denn ein weiterer Kranz kam nicht mehr dazu. «Immerhin konnte ich bis auf das NOS immer um den Kranz schwingen. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass der eine oder andere mehr resultiert, doch der letzte Zwick fehlte.»

Oertig gibt zu, dass er bibberte, bis seine Selektion fürs «Eidgenössische» durch den Nordostschweizer Schwingerverband Tatsache war. In Estavayer gehört der Goldinger mit seinen 174 Zentimetern zu den kleinsten und mit seiner sechsten Teilnahme zu den erfahrensten unter den 275 Schwingern. 

Im Kranzausstich war Oertig bei einem «Eidgenössischen» aber noch nie vertreten. Spätestens nach sechs Gängen war für ihn Schluss. «Vielleicht wird es ja doch noch eine Liebesgeschichte», sagt er. Dies aber mit einem Lachen, denn er weiss, dass seine Erfolgsaussichten mit den Jahren nicht grösser geworden sind, und gibt zu, dass sein Ziel nicht mehr so hoch sei, wie noch vor sechs Jahren. In Estavayer will er Gang für Gang nehmen und nicht zuletzt einfach auch das Fest geniessen.

Ein Jahr soll noch dazukommen
Als Adrian Oertig am Anfang seiner Karriere stand, schwang er 1997 am St. Galler Kantonalschwingfest in Uznach in einem Feld mit seinem Vater Arnold und seinem Onkel Hans. Deshalb freut es ihn besonders, dass er nun zum Abschluss seiner «Eidgenössischen»-Karriere mit seinem 15 Jahre jüngeren Cousin Dominik in die Arena einmarschieren kann: «Das ist schon sehr speziell. Wir haben ein gutes Verhältnis.»

Auch wenn er keine drei Jahre mehr weiterschwingt; die nächste Saison will Adrian Oertig auf jeden Fall noch anhängen. Der grosse Reiz ist das St. Galler Kantonalschwingfest, das Ende Mai 2017 im eigenen Verbandsgebiet stattfindet. «Und dies in der Eishalle von Rapperswil-Jona, da möchte ich gerne dabei sein», sagt Oertig.