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Das ganze Dorf feiert seine Glarners

Die Oberstufenschüler von New Glarus spielen so gut Basketball, dass sie die beste Mannschaft im ganzen Bundesstaat Wisconsin stellen. Im Glarus in Übersee herrscht deswegen der Ausnahmezustand.

Sebastian
Dürst
19.03.19 - 04:30 Uhr
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Die Grossstadt Madison wird für das Finalturnier von New Glarnern gestürmt.
WISCONSIN STATE JOURNAL

An der Fussball-Europameisterschaft in Frankreich war Island der Sympathieträger schlechthin: Das Land mit 330 000 Einwohnern schaffte es in den Viertelfinal und das ganze Land feierte seine Mannschaft.

Etwas ganz Ähnliches ist am vergangenen Wochenende mit dem Dorf New Glarus in den USA passiert. Die Basketball-Mannschaft der Oberstufe, die «Glarner Knights», hat sich über diverse Regionalausscheidungen für das grosse Final-Turnier in der Bundeshauptstadt von Wisconsin in Madison qualifiziert. Das Stadion, in dem die Spiele ausgetragen werden, fasst 17 000 Zuschauer und dient normalerweise der Universitätsmannschaft als Kulisse.

Zum ersten Mal seit 90 Jahren

Zum letzten Mal hatte sich eine New Glarner Basketballmannschaft im Jahr 1932 für dieses Finalturnier qualifiziert. Das allein erklärt aber noch nicht die Begeisterung des Dorfes für ihre Basketball-Mannschaft. Die unzähligen Schilder, welche vor dem Match im Dorf aufgestellt worden sind, helfen da schon mehr. «Hometown Pride» steht auf einem: Stolz sein auf den Heimatort. Oder «Small Town – Big Dreams», kleiner Ort mit grossen Träumen. Im Internet kursiert ein Video von der Verabschiedung der Spieler, bevor sie abreisen: Sie werden noch im Schulgebäude von der Schulband eskortiert, draussen warten die Bewohner, um dem Reisecar zuzuwinken.

Die David-gegen-Goliath-Affiche stimmt tatsächlich. Am vergangenen Donnerstag spielen die Glarner ihr erstes Spiel gegen die Mannschaft aus Manitowoc, einer Stadt mit über 30 000 Einwohnern. In einem engen Spiel setzen sich die Knights 44:41 durch. Das freut nicht nur diejenigen, welche das Spiel vor dem Fernseher verfolgen. Sondern auch die Fans im Stadion. Weit über 1000 Tickets sind in New Glarus gelandet – das ist gut die Hälfte der Einwohner des Dorfes. In blauen und roten New-Glarus-Shirts, mit der Schulband und auch einigen Schweizerfahnen sind die New Glarner völlig in Ekstase, als die Schlusssirene ertönt: Die 16- bis 18-jährigen Basketballer haben soeben den grössten sportlichen Erfolg einer Mannschaft aus New Glarus errungen. Selbst für die USA scheint diese Begeisterung für den Heimatort ungewöhnlich: Noch nie war die Zuschauerzahl an einem Finalrundenspiel so hoch wie bei der Teilnahme der New Glarner.

Metzgerei bleibt geschlossen

Der Sieg am Donnerstag führt dazu, dass die Glarner am Samstag zum grossen Finale noch einmal im Stadion antreten können. Wieder verwandeln die New Glarner das Stadion in Madison in ein Tollhaus. Wieder sind es Hunderte, welche die gut einstündige Autofahrt auf sich genommen haben.

Das hat auch Folgen für das Leben im Dorf selbst. Waren die Strassen in New Glarus Anfang Jahr noch ausgestorben, weil es so kalt war, ist es jetzt so, weil die Leute heisslaufen. Die Metzgerei Hoesly kündigt an, dass man den Laden am Samstag geschlossen halte – weil man selber ans Spiel in Madison reise. Aber auch, weil ja eh keiner mehr im Dorf sei, um Fleisch zu kaufen.

Glarner Knights gegen Knights

Beth Zurbuchen, die Leiterin des «Swiss Center of North America», schreibt, dass sie Tränen in den Augen hatte, als sie im Publikum wieder die Schweizerfahne entdeckt habe. In einer Facebook-Gruppe diskutieren die Neu Glarner darüber, wie schön es doch sei, in einer Kleinstadt zu wohnen, die als Gemeinschaft so stark zusammenhalte.

Die Finalgegner stammen aus Oshkosh, einer Stadt mit über 60 000 Einwohnern. Man muss aber fairerweise auch erwähnen, dass die Fans dieses Teams auch eine deutlich längere Anreise nach Madison hatten. Zu reden gibt vor dem Spiel auch, dass die Mannschaft sich ebenfalls Knights nennt. Alteingesessene New Glarner wissen aber: Ihre Knights sind eben nicht nur die Knights, sondern die «Glarner Knights». Die Selbstbezeichnung als Glarner haben die New Glarner aus dem Deutschen übernommen.

Die Parade gehört dazu

Zurück zum Spiel: Auch der Final ist eine enge Geschichte, obwohl die Glarner die meiste Zeit in Führung liegen. Sie gewinnen das Spiel schliesslich mit 67:62. Als das Horn zu Spielende ertönt, jubeln nicht nur die Spieler auf dem Feld, das ganze Stadion scheint in diesem Moment aus New Glarnern zu bestehen.

Damit ist es aber noch nicht getan. Schliesslich findet das Spiel in den USA statt, auch wenn Spieler mit Namen wie Feller, Siegenthaler oder Zweifel auf dem Spielfeld stehen. Und das heisst in New Glarus auch: Die grossen Sieger müssen gebührend empfangen werden. Traditionell passiert das mit einer Eskorte des Reisecars durch die Feuerwehr. Für diesen Anlass holen sie alle Fahrzeuge aus dem Depot und verwandeln mit Horn und Blaulicht die Strassen in eine Chilbibahn.

In der Turnhalle der Schule gibt es einen offiziellen Empfang vor vollen Rängen. Feierlich wird das «State-Champion 2019»-Schild montiert. Auch danach ist weiter gefeiert worden. Wie genau, ist allerdings nur schwer zu erfahren. Nur so viel wird preisgegeben: Die Forderung nach einem Spezialbier zu Ehren der jungen Basketballer soll an diesem Samstagabend mehr als einmal gestellt worden sein.

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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