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Bei Baumgartner ist die Freude zurück

Die Schweizer Alpin-Snowboarderinnen stehen in der letzten Vorbereitungsphase vor dem WM-Winter. Aktuell trainieren sie in Davos. Speziell motiviert ist die Uznerin Nicole Baumgartner am Werk – weil sie wieder so richtig Spass am Sport, aber auch einiges aufzuholen hat.

Silvano
Umberg
29.11.18 - 04:30 Uhr
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Der Abstecher in die «normale Arbeitswelt» hat bei Nicole Baumgartner das Feuer fürs Snowboard neu entfacht.
Der Abstecher in die «normale Arbeitswelt» hat bei Nicole Baumgartner das Feuer fürs Snowboard neu entfacht.
PRESSEBILD

Endlich stehe sie wieder mit richtig viel Freude auf dem Snowboard, frohlockt Nicole Baumgartner. Und ergänzt: «Auch das innere Feuer ist wieder da.» Dieses war der 25-Jährigen aus Uznach in den vergangenen Saisons zusehends abhandengekommen – weil es ihr im Weltcup alles andere als wunschgemäss lief, sie darum ins B-Kader von Swiss Snowboard zurückgestuft wurde und wie vier Jahre davor jene in Sotschi auch die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang verpasste.

Im vergangenen Frühjahr erlosch die Flamme für ihre grosse Leidenschaft sogar fast komplett. «Das Karriereende war nahe», gesteht Baumgartner. Dies nicht nur aufgrund ihrer sportlichen Situation, sondern auch wegen eines beruflichen Ansinnens – wobei Letzteres natürlich erst durch Ersteres so richtig aufgekeimt war.

Rausschmiss in Kauf genommen

«Ich machte mir zusehends mehr Gedanken zur Zeit nach der Snowboard-Karriere», erklärt Baumgartner. Dabei fasste sie den Entschluss, in beruflicher Hinsicht einen nächsten Schritt tätigen zu wollen. Also bewarb sie sich für ein Praktikum beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF – und sagte auch zu, als eine positive Rückmeldung kam.

«Es bestand die Gefahr, aus dem Kader gekippt zu werden. Doch ich war bereit, es darauf ankommen zu lassen.»

Dies tat sie im Wissen, dass ihr Vorhaben beim Verband auf wenig Gegenliebe stossen wird, zumal es sich um ein 100-Prozent-Pensum von Mitte Mai bis Mitte November handelte, also neben dem Sommertraining auch die Saisonvorbereitung auf dem Schnee tangiert war. «Es bestand die Gefahr, aus dem Kader gekippt zu werden», sagt Baumgartner: «Doch ich war bereit, es darauf ankommen zu lassen.»

Dabei hatte sie allerdings im Hinterkopf, dass sich ihre Situation zum Saisonende hin noch entscheidend verbessern könnte. Nämlich indem sie sich via Europacup noch einen persönlichen Startplatz im Weltcup ergattert. Dies gelang ihr als Gesamtzweite, hatte den Wiederaufstiegs ins A-Kader zur Folge und war letztlich wohl der entscheidende Trumpf, um Swiss Snowboard davon zu überzeugen, sie für einmal ein «Sonderzüglein» fahren zu lassen.

Qualität statt Quantität

Was folgte, war das bisher wohl intensivste und lehrreichste halbe Jahr im Leben von Nicole Baumgartner. Eine Doppelbelastung zu haben, war für sie zwar nichts Neues. Immerhin hatte sie zuerst die Schule und später das Studium (sie absolvierte den Diplomlehrgang in «Digital Film & Visuelle Effekte» am SAE Institut in Zürich) mit dem Spitzensport verbinden müssen. Diesmal war der Spagat jedoch ungleich schwieriger. Denn als Praktikantin beim SRF im Bereich Eventmarketing, wobei sie unter anderem im Rahmen des «Zurich Film Festival» ein Statisten-Casting für die letzte Schweizer Tatort-Folge organisieren musste, hatte sie ziemlich fixe Arbeitszeiten und lange Tage. «Ich ging meist um 7 Uhr auf den Zug und kehrte erst gegen 20 Uhr wieder heim», berichtet sie. Viel Raum fürs Training blieb da nicht. «Unter der Woche kam ich maximal auf 1,5 Stunden pro Tag.»

«Ich machte mir zusehends mehr Gedanken zur Zeit nach der Snowboard-Karriere.»

Weniger fit als in früheren Jahren, fühlt sich Baumgartner dennoch nicht – «weil die Trainingsqualität und -effizienz sehr hoch war». Enorm geholfen hat ihr auch da eine Luftveränderung. Sie verliess ihren langjährigen Coach Robin Städler und arbeitet stattdessen neu mit Lorenz Leuthold und Reto Brändli von «Training-Diagnostics» zusammen.

«Ich brauchte neue Inputs», begründet Baumgartner den Wechsel. Und schwärmt: «Obwohl ich seltener direkt mit ihnen zu tun habe, fühle ich mich super betreut.» Eine der Stärken der beiden sei zweifellos, dass sie sich als ehemalige Spitzensportler (Reto war Triathlet, Lorenz Skirennfahrer, die Red.) sehr gut in den Athleten hineinversetzen könnten.

Erst rund 15 Schneetage

Ein etwas anderes Fazit zieht Baumgartner, was die Form auf dem Snowboard anbelangt. «Da habe ich sicher noch einiges aufzuholen.» Beim ersten Zusammenzug auf dem Gletscher war sie zwar dabei, die nächsten verpasste sie aber. Ebenso machte sie den Trip nach Nordamerika nicht mit. «Für die Schneetrainings musste ich beim SRF ja Ferien nehmen – und es standen mir nur zwei Wochen zu, wobei es dank der vielen Überzeit dann drei wurden», begründet die Uznerin. Statt der üblichen knapp 30 stand sie deshalb erst gut 15 Tage auf dem Snowboard. Umso motivierter und eifriger trainiert sie seit dem Ende ihres Praktikums.

«Der spezielle Weg hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt.»

Baumgartner bleibt auch noch etwas Zeit, um in Form zu kommen. Der Weltcup-Auftakt erfolgt am 13. Dezember mit einem Parallel-Riesenslalom im italienischen Carezza. Der Saisonhöhepunkt, die Weltmeisterschaften, stehen Anfang Februar im amerikanischen Park City im Programm. Eine Teilnahme dort würde für Baumgartner die WM-Premiere bei der Elite bedeuten.

So oder so ein Gewinn

«Einige Dinge konnte ich bereits verbessern. Doch noch fehlen die Vergleichsmöglichkeiten, um zu wissen, wo ich wirklich stehe», berichtet Baumgartner auf ihre aktuelle Verfassung angesprochen. Und dann ergänzt sie: «Bei mir ist es sowieso mehr eine Frage des Kopfes.» Und dieser sei nach dem aussergewöhnlichen Sommer wieder so richtig «frisch» respektive «hungrig». Schon bevor das erste Rennen der neuen Saison absolviert ist, hält die Uznerin deshalb fest: «Der spezielle Weg hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt.» Einerseits sei die Freude am Snowboarden zurück, andererseits wisse sie jetzt, dass auch ein «normaler Job» Spass bereiten und erfüllen kann. «Etwas, dass ich mir davor kaum vorstellen konnte», sagt sie und lacht.

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