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Zwei Politneulinge wollen handeln, statt verzweifeln

Sie haben keine politische Erfahrung und wollen in Rapperswil-Jona in Rekordzeit gleich zwei Volksmotionen einreichen. Christian Frei und Timon Reichmuth sehen es als Akt wider die Machtlosigkeit.

Pascal
Büsser
31.01.22 - 20:04 Uhr
Politik
Ambitioniertes Projekt: Die Jungbürger Timon Reichmuth (l.) und Christian Frei möchten in und auf dem Stadthaus klimapolitisch etwas bewegen.
Ambitioniertes Projekt: Die Jungbürger Timon Reichmuth (l.) und Christian Frei möchten in und auf dem Stadthaus klimapolitisch etwas bewegen.
Bild Pascal Büsser

Der Treffpunkt ist symbolisch gewählt. In der «Genussschmiede» auf dem Rapperswiler Zeughausareal erzählen Christian Frei (26) und Timon Reichmuth (21) von ihrem Politprojekt. Sie wollen gleich zwei Volksmotionen parallel lancieren. Und in nur 20 Tagen mindestens die 200 nötigen Unterschriften zusammenbekommen. Als Politneulinge. Wie kam es dazu?

Das Zeughausareal: Auf Initiative aus der Bürgerschaft und mit Support der Stadt hat sich hier ein grauer Parkplatz zum Urban-Gardening-Areal gewandelt, die ausgemusterten Militärgebäude zum Hort hipper Lokale, Kultur- und Gemeinschaftsinstitutionen. Einen ähnlichen Impuls möchten Frei und Reichmuth im Bereich der Energiewende setzen, wie sie bei einer Tasse Kaffee erzählen. «200 – für Rappi-Jona’s Zukunft» haben sie ihr Projekt getauft.

Die Suche nach dem Hebel

Das Thema Klimawandel und Energiewende habe sie die letzten Jahre stark beschäftigt, sagen die beiden Freunde. «Vor zehn Jahren habe ich es noch nicht hinterfragt, irgendwohin in die Ferien zu fliegen», sagt der 26-jährige Frei. Heute sei das nicht der einzige Bereich, in dem er sich bemühe, seinen persönlichen CO2-Ausstoss zu senken. «Gleichzeitig verspüre ich Frust, wie wenig passiert auf der politischen Ebene», sagt Frei. Er denkt etwa an die letzte Klimakonferenz in Glasgow. Wo die Staatengemeinschaft sich nach zweiwöchigem Ringen nur auf einen Minimalkompromiss einigen konnte.

«Da kam für mich die Frage auf, wie kann ich selber grössere Hebel bewegen, als nur meine eigenen ‘Klimafürze’ zu stutzen?», sagt Frei mit Schalk. Er habe sich dann einmal die Gemeindeordnung angeschaut. Und festgestellt, dass sich mit 200 Unterschriften eine Volksmotion einreichen lässt. «Das schien machbar», sagt Frei. «Ob es machbar ist, wird sich in den nächsten drei Wochen zeigen», fügt Reichmuth an.

Die zwei lernten sich einst in der Pfadi kennen. Beide sind in Rapperswil-Jona aufgewachsen. Frei studiert in Basel Kunstvermittlung und arbeitet als freischaffender Grafiker. Reichmuth belegt an der Uni Zürich Politikwissenschaften. Er wirkt bei einer nationalen Initiative mit, die einen neuen Bürgerdienst etablieren will. Politische Erfahrung haben die beiden sonst keine. Und auch kein eigentliches Budget.

Parteipolitisch seien sie ungebunden. Ihre beiden Volksmotionen haben sie allen Parteien vorab geschickt. Mit der Bitte um Feedback und Unterstützung bei der Unterschriftensammlung.

Lokal und konkret

«Wir haben recherchiert, was auf kommunaler Ebene überhaupt möglich ist», sagt Frei. Die eine Motion verlangt, dass die Stadt die Dächer all ihrer Liegenschaften bis 2029 zur Erzeugung von Solarstrom nutzt. So auch auf dem Stadthaus, vor dem die beiden fürs Bild posieren. Damit lasse sich das von der Stadt angestrebte Label Energiestadt Gold erreichen.

Bei der letzten Zertifizierung 2017 hatte sich gezeigt, dass die Stadt bei den kommunalen Gebäuden Aufholbedarf hat. «Die Investitionen binden kurzfristig Liquidität, werfen aber mittelfristig Rendite ab», sagt Reichmuth. Es lohne sich also ökologisch und wirtschaftlich, ist er überzeugt.

Die zweite Motion dreht sich um den Heizungsersatz und die Förderung von Fernwärmenetzen. Die Stadt soll Liegenschaftsbesitzer mit älteren Öl- und Gasheizungen direkt anschreiben und auf die kantonale Energieberatung aufmerksam machen. Und den Umstieg auf ein Heizsystem mit erneuerbarer Energie neben Kanton und Bund mit einem zusätzlichen städtischen Beitrag fördern.

«Es geht uns nicht um ideologisch aufgeladenen Klimaaktivismus», meint Frei, «sondern darum, dass technisch bessere Lösungen zur Anwendung kommen.» Mit der Annahme des Netto-Null-Ziels 2050 habe eine Mehrheit der Bevölkerung der Stadt gezeigt, dass sie etwas gegen den Klimawandel tun wolle. «Geredet wurde genug, jetzt müssen wir kollektiv handeln», finden die Zwei.

Als Erstes müssen sie vorerst mindestens je 200 Stimmberechtigte der Stadt zum Unterschreiben bringen. Sie wollen das primär via Instagram, Website und Bekanntenkreis tun. Und nur im Notfall auf die Strasse. Zeit haben sie formell unbegrenzt. Mit der Sammlung in 20 Tagen möchten sie ein Zeichen setzen, vorwärtszumachen. Schaffen sie die Hürde bis Ende Monat, müsste der Stadtrat die Motionen spätestens im Dezember der Bürgerversammlung vorlegen. «So weit haben wir noch nicht geplant», sagt Frei.

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