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Nationalrat tastet Taggelder von IV-Rentnern nicht an

Der Nationalrat will IV-Rentnerinnen und -Rentnern die Taggelder während Eingliederungsmassnahmen nicht kürzen. Der Rat hat sich am Mittwoch im Rahmen der Beratungen zum zweiten Teil der 6. IV-Revision ganz knapp gegen diese zusätzliche Sparmassnahme ausgesprochen.

Südostschweiz
12.12.12 - 17:20 Uhr

Bern. – Entschieden hat Ratspräsidentin Maya Graf (Grüne/BL), nachdem in der Abstimmung je 90 Ratsmitglieder für und gegen die Massnahme gestimmt hatten. Die Massnahme vorgeschlagen hatte die vorberatende Kommission. Sie wollte damit zusätzlich 30 Millionen Franken einsparen.

Die Grundentschädigung, die während Eingliederungsmassnahmen bezahlt wird, sollte für IV-Rentnerinnen und -Rentner ohne Unterhaltspflichten statt wie heute 80 nur noch 70 Prozent des letzten Erwerbseinkommens betragen, das vor der Invalidität erzielt wurde. Um Härtefälle zu vermeiden, wollte die Kommission eine Untergrenze von 101 Franken festlegen.

Im Rat setzten sich aber am Ende SP, Grüne und CVP durch, die sich gegen die Massnahme stellten. Christian Lohr (CVP/TG) gab zu bedenken, viele Behinderte lebten in prekären finanziellen Verhältnissen. Die Grundentschädigung sei schon heute oft knapp. Mit einer Kürzung würden viele in noch grössere finanzielle Schwierigkeiten geraten. «Es ist der falsche Ansatz», sagte Lohr.

Die Gegnerinnen und Gegner der Kürzung argumentierten zudem, dass diese dem Ziel der Revision widerspreche, die Eingliederung von IV-Rentnern in den Arbeitsmarkt zu fördern. Die Massnahme würde nämlich dazu führen, dass Personen mit Leistungskürzungen bestraft würden, wenn sie sich Eingliederungsmassnahmen unterzögen, sagte Barbara Schmid-Federer (CVP/ZH).

Die Befürworter einer tieferen Grundentschädigung widersprachen: Es handle sich um einen zusätzlichen Anreiz, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Ausserdem sei es sinnvoll, wie in der Arbeitslosenversicherung zwischen Personen mit und ohne Unterhaltspflichten zu unterscheiden.

Zuvor hatte der Nationalrat entschieden, die Renten für Kinder von IV-Bezügerinnen und -Bezügern vorläufig nicht zu kürzen. Er beschloss, diese umstrittene Massnahme aus dem zweiten Teil der 6. IV-Revision auszuklammern.

Der Nationalrat stimmte mit 97 zu 90 Stimmen bei einer Enthaltung einem Antrag von Maja Ingold (EVP/ZH) zu, die Kürzung der Kinderrenten und auch der Reisekostenbeiträge von den übrigen Massnahmen zu trennen und an die Kommission zurückzuweisen. Damit könnte der Rat später darauf zurückkommen.

Auch Sozialminister Alain Berset plädierte für dieses Vorgehen. Er sprach von einem «Mittelweg». Damit sei die Chance am grössten, dass die übrigen Massnahmen umgesetzt werden könnten. Die Kürzung der Kinderrenten könnte nämlich die gesamte Revision gefährden, und die Revision sei wichtig.

Im Nationalrat kam die Mehrheit zum selben Schluss. Viele zogen ausserdem in Zweifel, dass die Kürzung der Kinderrenten wirklich nötig sei. Darüber sollten die Räte erst beraten, wenn aussagekräftige Erkenntnisse zu den bisherigen Revisionen vorlägen, befand Ingold. Sie verwies auf die Auswirkungen für Behinderte.

Der Ständerat hatte sich für die Kürzung der Kinderrenten ausgesprochen. Klammert auch er die Massnahme aus der Revision aus, verschiebt sich die Sanierung der IV-Revision laut Sozialminister Alain Berset um rund zwei Jahre.

Für das Ausklammern der beiden umstrittenen Massnahmen sprachen sich SP, Grüne, Grünliberale und die CVP aus, dagegen die Mehrheit der FDP, der BDP sowie die SVP. Der eingeschlagene Weg sei konsequent zu Ende zu führen, forderten die Gegner.

Die Entscheide zu vertagen, sei unverantwortlich, sagte Bruno Pezzatti (FDP/ZG). Es gelte, die Versprechen gegenüber dem Volk einzuhalten. Dieses zahle nämlich derzeit seinen Beitrag an die IV in Form von erhöhten Mehrwertsteuern. Nun müsse die Politik ihren Beitrag leisten und die Sparmassnahmen beschliessen.

Die Massnahmen seien unumgänglich, befand auch Toni Bortoluzzi (SVP/ZH). Der Wille, die IV zu sanieren, dürfe nicht erlahmen. Die «Überentschädigungen» - gerade durch Kinderrenten verursacht - hätten die Zahl der IV-Rentner in die Höhe getrieben. Lorenz Hess (BDP/BE) gab zu bedenken, dass nur ein gesundes Sozialwerk sei in der Lage sei, die nötigen Leistungen zu erbringen.

Der Rat entschied sich jedoch dafür, auf die Kürzung der Kinderrenten und der Reisekostenbeiträge vorläufig zu verzichten. Chancenlos waren dagegen die Anträge aus den Reihen der Linken, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten oder die gesamte Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen.

Die Gegnerinnen und Gegner der Revision sprachen von drastischen und unnötigen Sparmassnahmen auf dem Buckel der Schwächsten der Gesellschaft. «Eine IV-Revision jagt die andere», kritisierte Silvia Schenker (SP/BS). Nun brauche es einen Marschhalt. Die 5. Revision habe positive Effekte. Sie habe aber auch zur Folge, dass der Zugang zur IV-Rente deutlich erschwert worden sei. (sda)

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