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Eduard Blumer sitzt mit 24  Jahren im Landrat und mit 29 bereits im «Stöckli»

An diesem Freitag vor 175 Jahren wurde Eduard Blumer in Schwanden geboren. Der spätere Landammann und Ständerat hat den Kanton über Jahrzehnte geprägt. Eine politische Würdigung eines Ständerats.

Südostschweiz
10.02.23 - 04:30 Uhr
Politik
Im Regierungszimmer im Rathaus in Glarus verewigt: Noch heute wacht Blumer mit strengem Blick über die Arbeit der Glarner Regierung. Sein Porträt hängt im Regierungszimmer gegenüber dem amtierenden Landammann.
Im Regierungszimmer im Rathaus in Glarus verewigt: Noch heute wacht Blumer mit strengem Blick über die Arbeit der Glarner Regierung. Sein Porträt hängt im Regierungszimmer gegenüber dem amtierenden Landammann.
Bild Sasi Subramaniam

von Matthias Zopfi*

Dieses Jahr feiern wir das Jahr 1848. 175 Jahre ist es her, seit unsere erste Bundesverfassung in Kraft getreten ist und die moderne Schweiz geboren wurde. 1848 war aber auch das Geburtsjahr eines der grössten Glarner Politiker des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts, wenn nicht der gesamten Geschichte unseres Kantons: Eduard Blumer. Blumer wurde am 10. Februar 1848 im Thon ob Schwanden geboren. Sein späteres Wohnhaus steht nicht mehr, zwei schmucklose Blöcke aus den 50er-Jahren wurden an dessen Stelle erbaut. Auf einem Stein unter einen Baum wird dem grossen Glarner schlicht gedacht. Es ist der Gemeinde Glarus Süd zu danken, dass sie die überwachsene Inschrift im Sommer 2022 wieder sichtbar machte, sodass aufmerksame Passanten erkennen können, dass hier ein Mann lebte, der eine politische Karriere machte, die heute wohl in einem einzigen Menschenleben nicht mehr möglich wäre. Landammann 1887 bis 1925, Ständerat 1877 bis 1888, später ab 1899 bis 1925 Nationalrat.

Ein Experte in Handelsfragen

Eduard Blumer prägte den Kanton Glarus über Jahrzehnte. Hansruedi Mazzolini hat in seinem lesenswerten Buch «Eduard Blumer (1848-1925) – ein Glarner Landammann», erschienenen 2015 im Selbstverlag, nicht nur Auszüge aus dem Tagebuch des elfjährigen Blumers abgedruckt, sondern aufgezeigt, wie der Thoner Fabrikantensohn mässig erfolgreich seine durch den Abschwung der Textilindustrie getroffene Fabrik im Wyden betrieb und als Experte in Handelsfragen den Bundesrat an Konferenzen vertrat. Blumer, der als junger Student 1867 Dichter werden wollte und wie Mazzolini schreibt aufgrund der Schwierigkeiten seiner Fabrik und familiärer Probleme ein tragischer Held gewesen sei, blieb vor allem als grosser Politiker in Erinnerung, der in der erhaltenen Korrespondenz mit Ratsschreiber Balz Trümpy und in seinen Reden die Kraft des Wortes zu nutzen wusste. Es mutet heute, wo das Amt des Landammanns im Turnus wechselt eigentümlich an, dass ein Mann 38 Jahre lang unserer Regierung vorstehen konnte.

«Wie hätte er sich von seiner Landsgemeinde trennen können, an der er König ist, Prediger und Prophet.»

Die Freiburger «Liberté»

Während Blumer im Kanton das höchste politische Amt erreichen konnte, blieb ihm der Schritt in den Bundesrat verwehrt. 1902 wurde er nominiert und erreichte immerhin 70 von 200 Stimmen. Gewählt wurde der liberale Ludwig Forrer, doch für Blumer war es ein beachtliches Resultat. Immerhin war der Vertreter der Glarner Demokraten in Bern fraktionslos, was heute wohl die politische Bedeutungslosigkeit besiegeln würde und auch damals nicht hilfreich gewesen sein dürfte. Ob er das Amt als Bundesrat tatsächlich anstrebte? Die Freiburger «Liberté» stellte jedenfalls fest: «Wie hätte er sich von seiner Landsgemeinde trennen können, an der er König ist, Prediger und Prophet.» Eine bundesweite Krönung seiner politischen Tätigkeit erreichte Blumer doch noch, als er 1919 zum Präsidenten des Nationalrates gewählt wurde. Ironie der Geschichte ist es, dass er damit als erster Präsident einem nach Proporz gewählten Nationalrat vorstand. Er, der den Proporz vehement abgelehnt hatte, weil er um die Unabhängigkeit der Ratsmitglieder von den Parteien fürchtete.

Beachtliche Erfolge

Auch wenn Blumer in Bern Gewicht hatte und geschätzt wurde, blieb er in erster Linie Landammann von Glarus. Tatsächlich sind die Erfolge, die in seiner Amtszeit erreicht werden konnten, beachtlich. Auch wenn mit Sicherheit nicht allein sein Verdienst, so prägte er doch die Reformen und die sozialpolitisch ungeheuerlich progressive Zeit um die Jahrhundertwende. Glarus setzte als Pionier die Progression bei den Einkommenssteuern um, verstärkte den Arbeitsschutz, nachdem die Landsgemeinde bereits 1864 mit dem noch heute bekannten Fabrikgesetz vorausgegangen war und führte 1916 die obligatorische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung ein. Es waren diese Pioniertaten, welche andere Kantone und schliesslich die Schweiz inspirierten, die heute in unserem Bundesstaat nicht mehr wegzudenkenden sozialpolitischen Errungenschaften umzusetzen. Wir sind uns gar nicht immer bewusst, wie klar und hervorstechend Glarus zur sozialpolitischen Avantgarde gehört hat.

«Blumer war eher eine aristokratische Natur, aber dennoch von rein demokratischer und sozialer Gesinnung.»

Fridolin Heer, Pfarrer

Die Grundlage für diese Errungenschaften legte die Kantonsverfassung von 1887. Blumer war es massgeblich gewesen, der die Revision der Kantonsverfassung prägte und zum Durchbruch brachte, nachdem er mit nur 24 Jahren Landrat und mit 29 Jahren Ständerat geworden war – notabene als damals jüngstes Mitglied der Bundesversammlung. Noch heute berufen sich die jeweils frischgewählten Landratspräsidentinnen und Präsidenten in der Zählung der Amtsträger auf dieses Jahr. Das Amt des Landratspräsidenten entstand 1887. Zuvor wurde der dreifache Landrat vom Landammann geleitet und Regierung und Parlament waren nicht getrennt. Die liberale Kantonsverfassung von 1837 hatte viel Fortschritt und Glarus verlässlich ins Lager der Befürworter des Bundesstaats gebracht, doch sie brach doch nicht mit dem alten Glarner System der Ratsherren. Die von Blumer geprägte Verfassung von 1887 war ungleich konsequenter, führte zu einem Rücktritt der vorhergehenden Politikergeneration und brachte Blumer ins höchste Landesamt.

Schwer enttäuscht und gekränkt

Doch auch Blumer wurde mit zunehmendem Alter konservativer und wohl auch sturer. So wurde zunehmend die starke Stellung des alternden Landammanns kritisiert und die Landsgemeinde 1919 führte auf Antrag der neu gegründeten Sozialdemokraten eine Amtszeitbeschränkung ein. Den schwer enttäuschten und gekränkten Blumer liess man noch eine Legislatur im Amt, sodass er bis 1926 hätte amten können. Seinen politischen Ruhestand erlebte er nicht mehr. Nach 39 Landsgemeinden verstarb er im Amt. «Blumer war eher eine aristokratische Natur, aber dennoch von rein demokratischer und sozialer Gesinnung», schrieb Pfarrer Fridolin Heer in den «Basler Nachrichten» nach dessen Tod.

Es wäre eigentlich angezeigt, diesem grossen Glarner zu seinem 100. Todestag 2025 ein Denkmal zu widmen, wie es die grossen Staatsmänner der Generation vor ihm, Johann Jakob Blumer und Joachim Heer, auf der Steinpyramide im Volksgarten ehrt.

*Mathias Zopfi (Grüne, Engi) ist seit 2019 Ständerat des Kantons Glarus.

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sehr interessanter Artikel. Ja auch ihm gehört eine grosse Ehrung die für ALLE sichtbar ist. Es gibt nur wenige die auch wenn sie aristokratischer Natur waren so viel für das Volk und das Land auch in sozialer Richtung unternommen haben

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