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Er schaut den Behörden auf die Finger

Die Landsgemeinde muss in einer Ersatzwahl das Verwaltungsgerichtspräsidium wieder besetzen. Dafür ist Colin Braun der einzige angekündigte Kandidat.

Fridolin
Rast
02.09.21 - 04:30 Uhr
Politik
Literatur und Ermessensspielraum: Colin Braun stützt sich für seine Arbeit auf Gesetze und Verordnungen, auf Auslegungen und Urteile, aber auch auf den Spielraum, den Behörden bei ihren Entscheiden nutzen, aber nicht überstrapazieren sollen.
Literatur und Ermessensspielraum: Colin Braun stützt sich für seine Arbeit auf Gesetze und Verordnungen, auf Auslegungen und Urteile, aber auch auf den Spielraum, den Behörden bei ihren Entscheiden nutzen, aber nicht überstrapazieren sollen.
Sasi Subramaniam

Nachdem Verwaltungsgerichtspräsident Markus Heer im Februar in den Regierungsrat gewählt worden ist, ist der Vorsitz des Gerichts neu zu besetzen. Als einziger bekannter Kandidat stellt sich Colin Braun aus Netstal zur Wahl, der seit zehn Jahren am Gericht als Gerichtsschreiber arbeitet.

Herr Braun, wann kommt eine Einwohnerin oder ein Einwohner mit dem Verwaltungsgericht in Kontakt, für das Sie als Präsident kandidieren?

Colin Braun: Allgemein gesagt dann, wenn man mit Behörden und ihren Entscheiden nicht zufrieden ist. Wir überprüfen als letzte kantonale Rechtsmittelinstanz Verfügungen aller Art. Die Spannweite der Rechtsgebiete ist dabei sehr breit, die Entscheide betreffen etwa das gesamte Sozialversicherungsrecht, das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, baurechtliche Streitigkeiten, Submissionswesen, Steuerrecht und so weiter. Wir überprüfen die Rechtmässigkeit dieser Entscheide. Gegen unseren Entscheid kann man, abgesehen von wenigen Ausnahmen, anschliessend noch ans Bundesgericht gelangen.

Der Staat oder andere öffentliche Organisationen könnten einem hier übermächtig vorkommen. Wie kommen die betroffenen Privatpersonen oder Firmen zu ihrem Recht?

Es ist dem Gericht ein grosses Anliegen, dass der Staat im Verfahren mit den Privaten auf Augenhöhe ist. Ausdruck davon ist beispielsweise, dass Mittellose um unentgeltliche Rechtsvertretung ersuchen und sich so professionell vertreten lassen können. Es ist aber ohnehin unsere Aufgabe, als neutrale, unabhängige Instanz den Staat als ebenbürtig anzusehen, ohne ihn zu erhöhen. Klar ist auch, dass es für Rechtssuchende überaus belastend sein kann, wenn der Staat einen Entscheid gegen einen trifft. Doch genau dafür ist das Verwaltungsgericht da, nämlich um dem Rechtssuchenden eine unabhängige Überprüfung dieses Entscheids zu ermöglichen.

Und wann müssen Sie Recht gegen diese Privaten durchsetzen?

Wir haben noch selten ein Urteil erlassen, das alle zufrieden stimmt. Unsere Anordnungen durchzusetzen, ist dann aber nicht Sache des Gerichts, sondern letztlich der Vollzugsbehörden.

Gibt es auch Spielraum für den gesunden Menschenverstand?

Sicher. Beispielsweise besteht in vielen Bereichen des öffentlichen Rechts ein gewisses Ermessen. Zur Illustration besteht ein solches etwa bei der Dauer eines Führerausweisentzugs, sofern nicht die minimale Entzugsdauer verfügt wurde. Hier kann das Verwaltungsgericht die Entzugsdauer im Rahmen des Ermessens anpassen, das ihm zusteht. Wir prüfen aber auch, ob eine behördliche Massnahme angemessen ist. Ist dies nicht der Fall, so kann eine weniger einschneidende oder eine einschneidendere Massnahme angeordnet werden. Wir versuchen uns auf dem Weg zu diesen Entscheiden immer so gut wie möglich in die Rechtssuchenden hineinzuversetzen und bemühen uns um ein Urteil, das sämtliche Gegebenheiten berücksichtigt.

Gibt es dabei Geschichten, die Ihnen nahegehen, Sie bewegen?

Ja. Man trifft immer wieder auf sehr bewegende Geschichten. Bei mir ist dies etwa im Sozialversicherungsrecht oder im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht oft so.

Können Sie Beispiele nennen oder allgemein sagen, worum es dann geht?

Generell gesagt, wenn Personen um Versicherungsleistungen kämpfen müssen und dies vor dem Hintergrund eines erlebten, eindrücklichen Unfalls, welcher sie wohl bis ans Lebensende körperlich oder auch psychisch einschränken wird. Aber auch wenn Kinder involviert sind, wenn besondere Familienverhältnisse bestehen oder Familien gar durch behördliche Massnahmen auseinandergerissen werden. Da achten wir sehr darauf, sorgfältig die Verhältnismässigkeit zu überprüfen: Nur das soll angeordnet werden, was notwendig und zielführend ist, aber nichts darüber hinaus.

Welche Grundsätze sind Ihnen am wichtigsten bei dieser Arbeit, die Sie nun seit zehn Jahren als Gerichtsschreiber kennen?

Ein wichtiger Grundsatz ist, dem Rechtssuchenden möglichst rasch ein für ihn verständliches Urteil zu fällen. Die Begründung soll in möglichst einfachen Worten gefasst sein. Betreffend die Raschheit, so kann es für Personen, die an uns gelangen, teilweise extrem nervenaufreibend sein, wenn sie lange auf Entscheide warten müssen. Unserem Verfahren geht ja manchmal ein bereits lange dauerndes Verfahren voraus.

Die Arbeit des Gerichtes ist wichtig – wie messen Sie die Qualität der Entscheide?

Ich finde, unsere Urteile sind qualitativ stark. Markus Heer hatte diesbezüglich auch einen stets hohen Anspruch an unsere Entscheide. Man darf an dieser Stelle sicherlich erwähnen, dass ihm dies durchwegs sehr gut gelungen ist. Für die Qualität beachten wir intern, dass wir unsere Arbeiten gegenseitig mehrfach überprüfen. Der Anspruch ist natürlich, dass wir faire und korrekte Entscheide fällen. Dass wir da, wo wir ein Ermessen haben und walten lassen sollten, dieses auch nutzen. Wie gut die Entscheide sind, lässt sich in etwa daran ablesen, wie oft das Bundesgericht unsere Entscheide bestätigt, wenn sie angefochten werden. Die Erfolgsquote ist hier sehr gut. Die Zahlen dazu werden jährlich im kantonalen Amtsbericht publiziert.

Sie sind im Kanton Glarus aufgewachsen und haben Wirtschaft und Recht studiert – wie hat Sie das geprägt?

Wirtschaft hat mir ein gewisses Fingerspitzengefühl für Zahlen gegeben. Im Wirtschaftsstudium wurde mir dann aber bald einmal bewusst, dass mir diese Materie teilweise zu abstrakt und zu wenig fassbar ist. Deshalb auch mein Entscheid, Rechtswissenschaften zu studieren. In dieser Materie fühle ich mich wohler und es fasziniert mich heute noch, wie uns die rechtlichen Rahmenbedingungen beziehungsweise die Gesetze stets umgeben und begleiten. Als Gerichtsschreiber ist es unter anderem meine Arbeit, den Milizrichterinnen und Milizrichtern die rechtlichen Grundsätze respektive die rechtlichen Grundlagen für einen Entscheid zu erklären. Letztlich liegt es dann aber an ihnen, zu entscheiden, wobei mich immer wieder erstaunt, wie präzise ihre Voten in den Urteilsberatungen sind. Ich bin immer wieder dankbar, auf ihre Lebenserfahrung zurückgreifen zu können, und bin immer wieder gespannt auf ihre Argumentationen und ihre Anträge.

Es gab einen Fall, bei dem das Verwaltungsgericht die sehr harten Fristen für Anträge zur Krankenkassenverbilligung kritisierte. Können auch Sie sich vorstellen, der Politik einen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben?

Nun ja. Es kommt immer mal wieder vor, dass uns eine Rechtsgrundlage ungerecht vorkommt oder zu unstimmigen Ergebnissen führt. Das Gesetz ändern können wir dann aber nicht. Dies ist Sache der Legislative. Immerhin können wir in unserem Urteil aufzeigen, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Zudem müssen wir dort, wo ein Gesetz nicht genügend klar ist, dieses auslegen und wo der Sachverhalt nicht genügend liquide ist, diesen weiter abklären. Dabei steht uns auch die Möglichkeit einer Rückweisung offen, und gerade solche Rückweisungen enthalten dann oft einen Passus, dass nicht genügend abgeklärt worden sei und die Vorinstanz nochmals über die Bücher müsse.

Was motiviert Sie am meisten, das Präsidium übernehmen zu wollen?

In erster Linie möchte ich die Anliegen der Rechtssuchenden weiterverfolgen. Ihnen will ich weiterhin eine qualitativ und quantitativ gute Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts bieten. Dann ist mir der Ruf unseres Gerichts wichtig, der schweizweit sehr gut ist. Das Gericht ist mir über die vielen Jahre hinweg aber auch eine zweite Heimat geworden, und mir liegt das ganze Team am Herzen. Als Präsident Markus Heer seine Kandidatur als Regierungsrat ankündigte, war mir klar, ich bin gerne an diesem Gericht und würde im Falle seiner Wahl gerne zusätzliche Verantwortung übernehmen.

Wie stehen Sie dazu, dass Sie sich in der Wahl keiner Konkurrenz stellen müssen?

Zuerst hat es mich ein bisschen befremdet, dass es bislang keine Gegenkandidaturen gegeben hat. Das Gerichtspräsidium ist eines der höchsten Ämter im Kanton Glarus und entsprechend wichtig. Ein Sieg in einer Kampfwahl wäre wohl schon etwas spezieller. Dennoch ist es aber auch eine gewisse Anerkennung, dass meine Kandidatur bislang nicht bekämpft wurde. Ich hoffe natürlich, auch so den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern aufzeigen zu können, dass meine Eigenschaften für dieses Amt passend sind.

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