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Nationalrat geht Initiative für generelles Tabakwerbeverbot zu weit

Ein lückenloses Verbot für Tabakwerbung hält eine bürgerliche Mehrheit im Nationalrat für übertrieben. Sie empfiehlt die Tabakwerbeverbotsinitiative zur Ablehnung. Trotzdem dürften einige Anliegen des Volksbegehrens umgesetzt werden - auf Gesetzesweg.

Agentur
sda
17.03.21 - 17:44 Uhr
Politik
Die Tabakwerbeverbotsinitiative erntet zwar viele Sympathien. Die neuen Verfassungsbestimmungen gehen der Mehrheit im Nationalrat aber dann doch zu weit. Lösungen sollen per Gesetzesänderungen gefunden werden. (Archivbild)
Die Tabakwerbeverbotsinitiative erntet zwar viele Sympathien. Die neuen Verfassungsbestimmungen gehen der Mehrheit im Nationalrat aber dann doch zu weit. Lösungen sollen per Gesetzesänderungen gefunden werden. (Archivbild)
KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER

Das Parlament will den Umgang mit Tabakprodukten strenger regeln. Die vom Bundesrat erarbeitete Revision des Tabakproduktegesetzes befindet sich im Differenzbereinigungsverfahren zwischen den beiden Räten. Umstritten ist insbesondere noch, wie weit die Werbe-, Verkaufsförderungs- und Sponsoringverbote gehen sollen.

Druck machen die Urheber der Tabakwerbeverbotsinitiative. Das im Jahr 2019 von mehreren Gesundheitsorganisationen eingereichte Volksbegehren «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)» fordert ein lückenloses Verbot für Tabakwerbung, die Kinder oder Jugendliche erreicht.

Faktisch würde damit Zigarettenwerbung auf Plakaten im öffentlichen Raum verboten. Aber auch Kinowerbung, Inserate, Festivalsponsoring und Onlinewerbung für Tabak würden in Zukunft nicht mehr erlaubt sein.

Umstritten ist nur der Weg zum Ziel

Das geht dem Nationalrat zu weit. Eine Mehrheit aus SVP-, FDP- und Mitte-Fraktion empfahl die Initiative am Mittwoch zur Ablehnung. Der Entscheid fiel mit 96 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen. Der Ständerat wird seine Abstimmungsempfehlung in den kommenden Monaten treffen.

Lorenz Hess (BDP/BE), Sprecher der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N), brachte zu Beginn der stundenlangen Debatte die Argumente gegen die Initiative auf den Punkt: Die meisten wollten «pragmatische, verhältnismässige Massnahmen im Bereich des Jugendschutzes» und «kein Totalverbot».

Mehrere Sprecher der bürgerlichen Fraktionen betonten, dass ein generelles Verbot ein «unverhältnismässiger Eingriff in die Markt- und Handelsfreiheit» darstellen würde. Zudem seien viele Veranstaltungen auf Werbung und Sponsoring von Tabakfirmen angewiesen. «Die Initiative schiesst weit über das Ziel hinaus», stellte Thomas Burgherr (SVP/AG) fest.

Doch auch die Gegner der Initiative wollen deren Hauptanliegen ernst nehmen. «Niemand von uns will, dass Kinder und Jugendliche rauchen oder dazu verführt werden», sagte Andreas Glarner (AG) im Namen der SVP-Fraktion. FDP-Sprecherin Regine Sauter (ZH) sprach von einem «gewissen Handlungsbedarf». Das Ziel solle aber mit dem revidierten Tabakproduktegesetz erreicht werden. Dieses sehe «zielgerichtete Bestimmungen» vor.

Angst vor weiteren Verboten

Ein generelles Werbeverbot, so befürchten die meisten Vertreterinnen und Vertreter von SVP und FDP, würde dagegen tausende Arbeitsplätze in der Tabakindustrie und im Detailhandel gefährden. SVP-Sprecher Glarner warnte zudem davor, dass bei einem Ja demnächst Werbeverbote für SUVs, Alkohol, Fleisch, Chips, Schokolade und Gummibären kommen könnten. Er appellierte an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger.

Für einen wirksamen Jugendschutz sei es «nicht zwingend, sämtliche Prinzipien einer liberalen Wirtschaftsordnung über Bord zu werfen», sagte Sauter. Der Schutz der Jugendlichen dürfe nicht als Vorwand dienen, eine ganze Branche verschwinden zu lassen. Philipp Kutter (CVP/ZH) erinnerte an die Selbstregulierung der Tabaklobby. Diese sei freiwillig und wirksam.

Mitte-Sprecher Christian Lohr (CVP/TG) zollte den Initianten für ihr «berechtigtes Schutzanliegen» zwar den vollen Respekt. Anders als vor vier Jahren, als die erste Tabakprodukte-Vorlage an den Bundesrat zurückgewiesen wurde, hätten die Räte nun aber den Handlungsbedarf erkannt.

Laut Gesundheitsminister Alain Berset ist die hängige Vorlage zum Tabakproduktegesetz der Grund, weshalb der Bundesrat die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehle.

«Grösste Sparmassnahme für Gesundheitswesen»

Verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der Ratslinken sahen dies anders. Zwar gingen die Schritte in die richtige Richtung, sagte Yvonne Feri (SP/AG), sie genügten aber nicht. Es sei Zeit für ein generelles Werbeverbot. Laut Feri wäre das «die grösste jemals getroffene Sparmassnahme für das Gesundheitswesen».

Der Grund: Das Rauchen von Zigaretten bleibt die häufigste Ursache von vermeidbaren Todesfällen und Behinderungen. 9500 Menschen in der Schweiz sterben jedes Jahr an den Folgen des Tabakkonsums. Das verursacht der Volkswirtschaft Kosten in Milliardenhöhe. Weil drei Viertel der Rauchenden als Minderjährige damit beginnen, sollen Kinder und Jugendliche vor Werbung geschützt werden.

«Wollen wir eine gesunde Bevölkerung oder eine gesunde Werbebranche?», fragte Feri rhetorisch. Wem der Schutz der jungen Generation ein Anliegen sei, könne ein Werbeverbot nicht ablehnen, doppelte Manuela Weichelt-Picard (Grüne/ZG) nach. Verschiedene Kantone sähen bereits heute weitgehende Werbeverbote vor.

Auf der Suche nach dem Kompromiss

Zwischen den beiden Blöcken positionierte sich die GLP. Zwar werde die wirtschaftliche Freiheit mit einem Werbeverbot tatsächlich eingeschränkt, sagte der Zürcher Grünliberale Jörg Mäder. Seine Fraktion nehme das aber in Kauf. Tabakwerbung sei «kein Geschäftsmodell, das Schutz finden soll».

Die Urheber der Tabakwerbeverbotsinitiative werden die Debatte zum Tabakproduktegesetz weiterhin gespannt verfolgen. Wenn das Parlament einen Kompromiss in ihrem Sinne findet, ist es durchaus möglich, dass das Volksbegehren zurückgezogen wird.

Das Tabakproduktegesetz kommt demnächst erneut in den Ständerat. Dessen Gesundheitskommission will an den für den Jugendschutz zentralen Elementen festhalten und ein Werbeverbot in Gratiszeitungen und im Internet verankern. Die Initianten sprechen von einem «Mittelweg, der auch die Mindestanforderungen des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs erfüllen würde». Der Nationalrat wollte bisher weniger weit gehen.

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