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Jagdinitiative einstimmig zur Ablehnung empfohlen

Die Februarsession des Bündner Grossen Rates findet im Kongresszentrum Davos statt. Grosse Themen sind das Wahlsystem, die Gerichte, die Jagd und Covid-19. Wir tickern wie gewohnt für Euch.

Philipp
Wyss
16.02.21 - 07:30 Uhr
Politik

Ticker

Am zweiten Tag der Februarsession hat der Grosse Rat

  • Die Anpassung des Wahlsystems des Grossen Rats zu Ende diskutiert und darüber abgestimmt. Darauf hat die SP die kantonale Volksinitiative «Für die Verkleinerung des Grossen Rats – 90 sind genug» zurückgezogen
  • Die Anfrage Preisig betreffend IKS der kantonalen Steuerverwaltung behandelt
  • Die Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes behandelt
  • Die kantonale Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» behandelt

Die Session wird am Mittwoch ab 8.15 Uhr fortgesetzt. Die Debatten sind aufgrund von Covid-19 nicht öffentlich. Wie bei jeder Session tickern wir auch von der Februarsession für Euch.

Regierungsratspräsident  Mario Cavigelli
Regierungsratspräsident Mario Cavigelli hat zur Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» eine klare Vorstellung.
PHILIPP BAER

Rat empfiehlt Initiative einstimmig zur Ablehnung

Nach der Nachmittagspause spricht Regierungsrat Mario Cavigelli (CVP, Domat/Ems) zur Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd». Cavigelli sagt, dass auch im Kanton Zürich das Jagdgesetz kürzlich im Kantonsrat behandelt worden ist. «Der Züricher Kantonsrat stärkt die Ökologie im Jagdgesetz», habe der «Tages-Anzeiger» getitelt, so Cavigelli. Alsdann gab der Bündner Regierungsrat seinem Departement den Auftrag, das Jagdgesetz von Zürich mit jenem von Graubünden zu vergleichen. «Ich möchte Ihnen das Ergebnis nicht vorenthalten», so Cavigelli.

  • Der Kanton Zürich will Wildschutzgebiete einführen – seit 1906 hat Graubünden 447 Wildschutzgebiete
  • Der Kanton Zürich will Wildruhezonen einführen – seit 1990 hat Graubünden 287 Wildruhezonen
  • Der Kanton Zürich will Wildtierkorridore einführen – seit 2001 hat Graubünden Wildtierkorridore
  • Der Kanton Zürich will Naturschutzarbeit einführen – in Graubünden müssen angehende Jäger 50 Stunden zu Gunsten der Natur leisten (Hegeobligatorium)

Cavigelli: «Die Wildbestände können dank der Jagd reguliert werden. Wenn wir das nicht tun könnten, gäbe es eine Übernutzung des Lebensraums und zu Schaden am Wald.» In dem Sinne zielt die Initiative in die falsche Richtung, so Cavigelli. Denn: «Man sollte die Jagd nicht schwächen. Und die Initiative schwächt neben der Jagd auch den Tierschutz», so Cavigelli. 

Nach einer einseitigen Debatte folgt der Rat der Regierung und empfiehlt die Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» mit 103:0 Stimmen bei 0 Enthaltungen zur Ablehnung.

Jäger Jagd 2019 Hochjagd Hirsch Gewehr
Zwei Jäger machen sich auf die Suche nach Wild (gestellte Aufnahme).
ARCHIV OLIVIA AEBLI-ITEM

Für eine naturverträgliche und ethische Jagd

Als nächstes dürfte es wieder emotional werden im Grossratssaal im Kongresszentrum Davos. Es geht um die kantonale Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd».

Worum geht es?
Die Bündner Regierung und der Grosse Rat hatten die  Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» im November 2015 respektive Oktober 2016 unter die Lupe genommen und sie als teilweise ungültig abgelehnt. Das Bündner Verwaltungsgericht widersprach dem Parlament in zwei von drei für ungültig erklärten Punkten, sodass sich das Parlament erneut mit der Initiative befassen muss.
Die Vorlage will etwa, dass bislang jagdbare Mutter- und Jungtiere künftig geschützt, also nicht mehr jagdbar sind. Weiter verlangt die Initiative längere Schonzeiten für alle Wildtiere, die Abschaffung der Vogeljagd und ein Verbot, Kinder unter zwölf Jahren auf die Jagd mitzunehmen.

Die Bündner Regierung empfiehlt dem Grossen Rat, die kantonale Volksinitiative abzulehnen. Die Initiative hat ein jagdkritisches Fundament und richtet sich grundlegend gegen die Jagd als Institution, schreibt die Regierung. Und weiter: Die Initiative stellt das heutige Jagdsystem in seinen Grundfesten in Frage. Die Initiantinnen und Initianten finden die Jagd falsch und lehnen die private Jagd grundsätzlich ab. Eine Jagd nach dem gemäss der Initiative angestrebten Muster würde laut der Regierung dazu führen, dass die heutige erlebnisreiche, weitherum geachtete und nachhaltige Form der Nutzung des Jagdregals mit den Wildtieren als natürliche Ressource aufgegeben und in eine staatlich sichergestellte Form der Bekämpfung der Schädigung durch Wildtiere überführt werden würde.

Gemäss der Initiative sollen ausserdem im Amt für Jagd und Fischerei sowie in der Jagdkommission Tierschützerinnen und Tierschützer, Jägerinnen und Jäger sowie Nichtjägerinnen und Nichtjäger in Zukunft paritätisch vertreten sein. Die Wildhüterinnen und Wildhüter müssten künftig Alkoholtests im Jagdgebiet durchführen und im Weiteren sollen Kinder bis zu zwölf Jahren nicht auf die Jagd mitgenommen und schulisch nicht zur Jagd motiviert werden dürfen.

Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden an der Oberen Plessurstrasse in Chur.
ARCHIV

Unbestrittene Teilrevision

Eine kleine Meinungsverschiedenheit ergibt sich bei der Stellenausschreibung. Eine Kommissionsminderheit möchte, dass die Stellen für ausserordentliche Richterstellen öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Die Kommissionsmehrheit und die Regierung möchten darauf verzichten und die Kompetenz bei der Stellenausschreibung der Kommission für Justiz und Sicherheit übertragen, wie Justizminister Peter Peyer (SP) während der Debatte ausführte. 

Mit der öffentlichen Ausschreibung wird gemäss der Botschaft das Ziel verfolgt, die zu besetzende Richterstelle einem möglichst breiten Publikum zur Kenntnis zu bringen. Hierdurch erhöht sich die Chance, dass potentielle Bewerberinnen und Bewerber von der Richterstelle erfahren und sich für eine Bewerbung entscheiden. Nach mehreren Wortmeldungen stimmt das Parlament mit 60:50 Stimmen bei 0 Enthaltungen der Kommissionsmehrheit zu.

Letztlich stimmt der Grosse Rat der Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes (Zuwahl ausserordentlicher Richterinnen und Richter) mit 102:0 Stimmen bei 0 Enthaltungen zu.

Mehr Richterinnen und mehr Richter

Die Botschaft zur Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes betreffend die Zuwahl von ausserordentlichen Richterinnen und Richtern zuhanden des Grossen Rats hat die Bündner Regierung im Dezember des vergangenen Jahres verabschiedet. Mit der Revision soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Bündner Gerichte vorübergehend zu verstärken. Mit der Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes ist die laufende Justizreform aber nicht abgeschlossen. Diese wird hochpriorisiert vorangetrieben, um weitere Schwachstellen im Bündner Justizsystem zu beseitigen. 

Worum geht es?
Das Bündner  Kantonsgericht besteht aus sechs, das Verwaltungsgericht aus fünf vollamtlichen Richterinnen und Richtern. Nicht vorgesehen ist derzeit im Bündner Recht eine Zuwahl von Richterinnen und Richtern an die oberen kantonalen Gerichte, wenn ein Mitglied eines oberen kantonalen Gerichts während mehrerer Monate ausfällt oder wenn ein oberes kantonales Gericht wegen einer ausserordentlich hohen Geschäftslast nicht mehr in der Lage ist, Rechtsstreitigkeiten innert angemessener Frist zu erledigen.
Der Grosse Rat hat in der Junisession 2019 entschieden, diese Gesetzeslücke zu schliessen und die Zuwahl von Richterinnen und Richtern an die oberen kantonalen Gerichte für diese Fälle vorzusehen. Nicht diskutiert wurde damals, ob dieses Instrument auch für die Regionalgerichte eingeführt werden soll. Dies ist nach Auffassung der Regierung zu bejahen, wenn ein Regionalgericht nicht über hinreichend Richterinnen und Richter mit juristischer Ausbildung verfügt, um einen ausserordentlichen Ausfall oder eine ausserordentlich hohe Geschäftslast zu bewältigen.
Für diese Fälle soll das Instrument der Zuwahl von ausserordentlichen Richterinnen und Richtern auch für die Regionalgerichte eingeführt werden. Für die übrigen richterlichen Behörden erweist es sich nicht als erforderlich. Hinzuweisen bleibt darauf, dass mit der vorliegenden Revision nur die gesetzlichen Grundlagen für die Zuwahl von ausserordentlichen Richterinnen und Richtern geschaffen werden. Nicht Gegenstand der Vorlage sind allfällige Änderungen der Verfassung des Kantons Graubünden, die in Betracht zu ziehen sind, um den Kreis der Bewerberinnen und Bewerber für die Zuwahl von ausserordentlichen Richterinnen und Richtern zu erweitern. Ob und inwieweit die Verfassung des Kantons Graubünden zu diesem Zweck revidiert werden soll, wird im Rahmen des Rechtssetzungsprojekts geprüft werden, mit dem die weiteren Beschlüsse des Grossen Rats zur Optimierung der Organisation der oberen kantonalen Gerichte umgesetzt werden.

 

Und weiter gehts

Um 14.15 Uhr wird die Session fortgesetzt. Als nächstes geht es um die Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes. Die Teilrevision ist im Zusammenhang mit dem Bündner Kantonsgericht in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auch wegen Querelen am Kantonsgericht ist der schon vorhandene Pendenzenberg am Gericht weiter angewachsen. Unter anderem deshalb, weil es keine Möglichkeit gibt, zusätzliche Richterinnen zuzuwählen, wenn ein Richter längere Zeit ausfällt oder die Geschäftslast hoch ist. Der Grosse Rat hat 2019 entschieden, diese Gesetzeslücke zu schliessen und die Zuwahl von Richterinnen und Richtern an die oberen kantonalen Gerichte (Kantonsgericht, Verwaltungsgericht) für diese Fälle vorzusehen. Die Bündner Regierung will diese Möglichkeit auch für Regionalgerichte schaffen. Dies wurde im Juni 2019 noch nicht diskutiert.

SYMBOLBILD ARCHIV

An Guata

Nach einem intensiven Vormittag entlässt Standespräsident Martin Wieland (FDP, Trins) das Parlament in die Mittagspause.

Wir wählen nach dem Modell C

Mit 85:31 Stimmen bei einer Enthaltung spricht sich das Bündner Parlament für das Modell C aus. Die Bündner CVP gibt sich enttäuscht. Parteipräsident Kevin Brunold (Surcuolm) sagt: «Seit 1937 hat sich die Bündner Bevölkerung acht Mal für den Majorz entschieden. Bei der neunten Abstimmung kann die Bevölkerung nun nicht mehr über den Majorz befinden. Deshalb werden wir uns aus Protest – aus Protest – bei der nun folgenden Abstimmung der Stimme enthalten.» Der heutige Entscheid des Grossen Rates ist wahrlich keine Sternstunde in der Bündner Politik, so Brunold abschliessend.Das Parlament gibt Modell C mit 85:0 Stimmen bei 32 Enthaltungen den Vorrang gegenüber Modell E. Und auch dem Grossratswahlgesetzt wird im Sinne des Models C mit 84:0 Stimmen bei 32 Enthaltungen zugestimmt.

Wie funktioniert Modell C?
Beim Doppelproporz («Doppelter Pukelsheim») erfolgt die Sitzzuteilung in zwei Schritten: In einem ersten Schritt werden die 120 Grossratssitze entsprechend der erzielten Wähleranteile im gesamten Kanton auf die Parteien verteilt (sogenannte Oberzuteilung). Danach werden in einem zweiten Schritt die den verschiedenen Parteien aufgrund der Oberzuteilung zustehenden Sitze auf die Parteienlisten in den 39 Wahlkreisen verteilt (sogenannte Unterzuteilung).

Um in der Oberzuteilung die Wähleranteile der Parteien zu ermitteln, werden alle Wählerstimmen der gleichen Partei in den 39 Wahlkreisen zusammengezählt. Damit die Stimmen aus allen Kreisen gleich grossen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, werden die Wählerstimmen aber vor dem Zusammenzählen immer noch durch so viel geteilt, wie Sitze im Wahlkreis zu vergeben sind.

Wenn also Partei A in Wahlkreis X, wo fünf Sitze zu vergeben sind, 2000 Stimmen holt, fliessen 400 «gewichtete» Stimmen in die gesamtkantonale Berechnung mit ein. Das Ergebnis heisst Wählerzahl der Partei. Die zusammengezählten Wählerzahlen aus allen Kreisen jeder Partei werden dann durch einen Verteilschlüssel geteilt. Das Ergebnis zeigt, wie viele Sitze die jeweilige Partei auf kantonaler Ebene erhält.

Danach folgt die Unterzuteilung der Sitze auf die Parteien in den einzelnen 39 Wahlkreisen. Wenn Partei A nach der Oberzuteilung gesamtkantonal 20 Sitze zugesprochen erhält, müssen diese auf die verschiedenen Wahlkreise verteilt werden, wo diese Partei angetreten war. Ziel ist es, eine möglichst genaue Abbildung der Stärkenverhältnisse in den Kreisen zu gewährleisten. Natürlich kann dabei eine Partei nicht mehr oder weniger Sitze erhalten, als ihr gemäss der gesamtkantonalen Zuteilung zustehen. Dadurch könnte in einzelnen Wahlkreisen der Fall eintreten, dass das Ergebnis der Sitzverteilung im Kreis nicht mit der genauen Parteistärke im Wahlkreis übereinstimmt.

Dem soll mit zwei Zusatzregeln entgegengewirkt werden:
1. Um bei der Grossratswahl Sitze zu erhalten, muss eine Partei gesamtkantonal mindestens drei Prozent Wähleranteile erreichen (sogenanntes Quorum). Ansonsten wird die Partei bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt.
2. Die wählerstärkste Partei in einem Wahlkreis erhält in jedem Fall auch einen Sitz in diesem Kreis (sogenannte Majorzbedingung). Das ist vor allem bei Wahlkreisen, die nur einen Sitz zu vergeben haben, sehr entscheidend.

Nach der Zustimmung von Modell C hat die SP ihre Initiative «90 Grossräte sind genug», wie vor der Debatte über das Wahlsystem angekündigt, zurückgezogen.

Bündner befinden nur über eine Variante

Die Variantenabstimmung über die Anpassung des Wahlsystems des Grossen Rats ergibt mit 79:37 Stimmen bei einer Enthaltung, dass dem Bündner Stimmvolk nur eine Variante vorgelegt wird.

Über welches Modell die Stimmberechtigten im kommenden Juni befinden können, darüber stimmt das Bündner Parlament als nächstes ab.

Der grosse Bündner Kompromiss zum neuen Wahlsystem des Grossen Rates steht! Der Rat hat seine grosse Verantwortung...

Posted by Patrik Degiacomi on Tuesday, February 16, 2021
Wie wird der Grosse Rat Graubündens künftig gewählt?
Wie wird der Grosse Rat Graubündens künftig gewählt?
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Die Meinungen sind gemacht – das sind mögliche Folgen

Kurz vor der Abstimmung über die Anpassung des Wahlsystems des Grossen Rats steigt die Spannung. Die Meinungen in den Fraktionen scheinen gemacht; es gibt ein grosses Lager für ein Doppelproporz-System (Modell C) sowie die CVP, die sich für ein Mischsystem aus Majorz und Proporz stark macht.

Je nach Ausgang der «Doppelabstimmung» ergäben sich unterschiedliche Konsequenzen (aus der Botschaft der Regierung an den Grossen Rat):

  • Bei Annahme der Wahlsystemvorlage und Ablehnung der Verkleinerungsinitiative würde das Verfahren zur Einführung des neuen Wahlsystems, wie im Abschnitt «VII. Inkrafttreten» dargestellt, weiterlaufen.
  • Bei Ablehnung beider Vorlagen wäre eine neue Wahlsystemvorlage mit 120 Sitzen auszuarbeiten. Das wäre, wie eben aufgezeigt, rechtzeitig nur im Rahmen eines «Eilverfahrens» und mit einer zweiten Volksabstimmung (28. November 2021) zu erreichen.
  • Bei Ablehnung der Wahlsystemvorlage und Annahme der Verkleinerungsinitiative wäre eine neue Wahlsystemvorlage, sinnvollerweise mit 90 Sitzen, auszuarbeiten. Das wäre rechtzeitig nur im Rahmen eines «Eilverfahrens» und mit einer zweiten Volksabstimmung (28. November 2021) zu erreichen.
  • Bei Annahme beider Vorlagen gäbe es grundsätzlich zwei Handlungsoptionen. Da es sich bei der Verkleinerungsinitiative um eine Initiative in Form einer allgemeinen Anregung handelt, müsste diese erst noch in einer formellen Verfassungsrevision umgesetzt werden. Dazu wäre eine zweite Volksabstimmung erforderlich. Die Wahlen 2022 könnten also rechtlich korrekt noch mit 120 Sitzen und dem neuen Wahlsystem durchgeführt werden. Erst auf die Wahlen 2026 würde die Verkleinerung dann greifen, vorausgesetzt, dass diese in der zweiten Volksabstimmung bestätigt würde. Auf diesen Zeitpunkt hin müsste dann auch das Wahlsystem an die neue Sitzzahl angepasst werden. Ein solches Vorgehen erscheint sachlich und rechtlich vertretbar, auch wenn die Verkleinerungsinitiative unter anderem eine Umsetzung der Verkleinerung auf die Wahlen 2022 hin fordert. Sachlich, weil man durch die Annahme des neuen Wahlsystems in der Lage wäre, im Jahr 2022 rechtlich korrekte Wahlen durchzuführen und anschliessend genügend Zeit hätte, um auf die Wahlen 2026 hin ein auf die geringere Parlamentsgrösse zugeschnittenes Wahlsystem auszuarbeiten. Rechtlich, weil die Forderung der Umsetzung auf die Wahlen 2022 als Beschleunigungsgebot zu verstehen und als Ordnungsvorschrift zu betrachten ist, deren Verletzung keine rechtlichen Folgen hätte. Man könnte aber auch aus demokratiepolitischen Gründen (rasche Umsetzung des Volksentscheids) versuchen, die Verkleinerung bereits auf die Wahlen 2022 umsetzen. Dazu müsste die formelle Verfassungsrevision betreffend der Verkleinerung vorgezogen und am 28. November 2021 zur Abstimmung gebracht werden. Zugleich müsste auch das Wahlsystem auf die reduzierte Sitzzahl angepasst und eine entsprechende Verfassungsrevisionsvorlage gleichentags zur Abstimmung gebracht werden. Selbstverständlich müsste der Rechtsetzungsprozess im bereits skizzierten «Eilverfahren» erfolgen. In beiden Fällen könnte die Volksinitiative «Für die Verkleinerung des Grossen Rates – 90 sind genug» dargelegt, das Modell E nicht mehr in vorgeschlagener Form umgesetzt werden.

Sollte es bis Ende 2021 weder auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg noch auf dem Weg des Dringlichkeitsrechts des Grossen Rates gelingen, die Rechtsgrundlagen für ein neues Wahlsystem zu schaffen, wäre die Regierung von Bundesrechts wegen verpflichtet, die geltenden bundesrechtswidrigen Wahlvorschriften nicht anzuwenden und im Rahmen der Kantonsverfassung eine provisorische Ersatzordnung zu erlassen (das heisst maximal 39 Wahklreise, Mehrheitswahlverfahren und Einhalten der Vorgaben des Bundesgerichts unter anderem bezüglich Wahlkreisgrösse) und so die Durchführung der Grossratswahlen 2022 sicherzustellen.

Die Regierung könnte ihre Kompetenz zum Erlass einer ersatzweisen Wahlordnung auf die Vollziehungskompetenz stützen. Diese letzte Möglichkeit hat die Regierung vorsorglich abklären lassen. Natürlich hofft aber die Regierung, dass dem Kanton Graubünden ein solches – staatspolitisch heikles – Szenario erspart bleibt.

Philipp Wyss ist Chefredaktor der gemeinsamen Redaktion der Zeitung «Südostschweiz» und der Internetseite «suedostschweiz.ch». Damit zeichnet er für das Team und für den Inhalt dieser Produkte verantwortlich. Mehr Infos

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