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So verändern sich Bündner Gemeindeversammlungen

In Graubünden gibt es immer noch viele Gemeinden, welche wichtige Entscheidungen an einer Gemeindeversammlung fällen. Doch die Stimmbeteiligung liegt oft bei einer einstelligen Prozentzahl. Ob das problematisch ist, erklärt Thomas Kollegger vom Amt für Gemeinden.

08.07.19 - 04:30 Uhr
Politik
Immer mehr Stühle an Gemeindeversammlungen bleiben leer.
Immer mehr Stühle an Gemeindeversammlungen bleiben leer.
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Vergangene Woche hat die Gemeinde Maienfeld in einer Versammlung über den bislang grössten Gesamtkredit von 17 Millionen abgestimmt. Die Investition wurde mit 119:1 Stimmen angenommen. Von über 2500 Einwohnern besuchten gerade einmal 120 Stimmberechtigte die Versammlung.

In anderen Teilen von Graubünden sieht es ähnlich aus. Das Protokoll der letzten Gemeindeversammlung im Dezember der Gemeinde Domleschg vermeldet eine Stimmbeteiligung von 8.4 Prozent. In der Gemeinde Samedan waren im Dezember 54 von 1905 Stimmberechtigten an der Versammlung.

Gesellschaftswandel und selektives Interesse

Eine mögliche Erklärung für die oft leeren Versammlungsstühle hat Thomas Kollegger vom Amt für Gemeinden bereit. «Die Tendenz der letzten Jahre zeigt schon einen Rücklauf der Stimmbeteiligungen an den Versammlungen. Das ist ein schweizweiter Trend und eine gesellschaftliche Entwicklung» meint Kollegger. «Früher war man weniger mobil und mehr verwurzelt. Vor vielleicht 20 Jahren war eine Gemeindeversammlung noch ein gemeinschaftlicher Treffpunkt, man sass nach der Versammlung zusammen. Heute gibt es das kaum noch.»

Aber auch die Interessen der Bürger haben sich verändert. «Das politische Interesse ist selektiver geworden. Wenn es ein Thema ist, das eine Person direkt betrifft, sei es ein Neubau der Schule beispielsweise, geht sie eher an eine Versammlung.»

Dies bestätigt auch Heinz Dürler, Stadtpräsident von Maienfeld. «Bei Wahlversammlungen ist die Stimmbeteiligung wesentlich höher als bei gewöhnlichen Gemeindeversammlung. Da nehmen in Maienfeld manchmal rund 400 Stimmberechtigte teil.»

Auch Enthaltung ist ein politischer Entscheid

Streng genommen sage die Stimmbeteiligung aber nicht viel über den qualitativen Entscheid einer Versammlung aus. «Auch mit einer Nichtbeteiligung gibt man Auskunft. Man kommuniziert, dass es einen nicht interessiert und seine Stimme nicht gebraucht wird. Dann muss man eine demokratische Entscheidung aber auch akzeptieren. So funktioniert unsere Demokratie, auch wenn der Prozentsatz der Stimmbeteiligung sehr klein ist.» Bei Einzelfällen, welche die Gemüter stark erhitzen, sehe die Stimmbeteiligung wieder sehr gut aus. Die Bandbreite ist laut Kollegger riesig.

Die Entwicklung ist schon länger zu verfolgen. Doch wird es langsam zu einem Problem? «Ob es problematisch ist oder nicht, entscheidet eigentlich die Gemeinde selbst. Sie müssen selbst sagen, ob sie eine grössere Legitimation brauchen. Es gibt keine Grenze, wann die Stimmbeteiligung zum Problem wird», sagt Kollegger.

Heinz Dürler ist jedoch nicht enttäuscht, wenn die Stimmbeteiligung so tief ist. «Klar, wünschen wir uns eine grössere Beteiligung. Wir möchten auch die Jungen mobilisieren, sich einzubringen. Für mich ist es jedoch ein Vertrauensbeweis an die Exekutive, wenn man ihr Spielraum lässt, Entscheidungen zu treffen.»

Verfassung bestimmt

Wie Kollegger erklärt, gibt es für die Gemeinden ohne Parlament aber immer noch die Möglichkeit, brieflich (an der Urne) abzustimmen. Die Urnenabstimmung würden die Gemeinden auch immer mehr einführen. Ob und wie das geht, steht in den jeweiligen Gemeindeverfassungen. «Die Gemeindeverfassung definiert, welche Organe für welche Aufgaben zuständig sind. Sie bestimmt auch, ob und wann ein Kredit an einer Versammlung abgesegnet wird. Danach kann, je nach Gemeinde, ein fakultatives Referendum ergriffen werden oder es gibt eine obligatorische Urnenabstimmung. Die Gemeinden sind in dieser Hinsicht mit ihren Verfassungen autonom.»

Die Gemeinde Maienfeld zum Beispiel verzichtet ganz auf Urnenabstimmungen für kommunale Vorlagen. «Wir haben bei der letzten Verfassungsrevision darüber diskutiert. Auch wir als Politiker erleben die immer kleiner werdende Stimmbeteiligung. Wir möchten aber die wichtigen Themen an der Gemeindeversammlung behandeln. Der Dialog soll in der Versammlung stattfinden, auch wenn er dadurch kleiner wird.»

Anna Nüesch ist freie Mitarbeiterin und arbeitet neben ihrem Multimedia-Production-Studium bei der Südostschweiz in den Redaktionen von Online/Zeitung und TV. Zuvor hatte sie ein Praktikum bei diesen Kanälen absolviert. Mehr Infos

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