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Eine verfahrene Situation

Glarus wird vom Musterknaben zum Prügelknaben: Der Goodwill der Geburtsjahre ist einem deutlich spürbaren Unmut in der Bevölkerung gewichen. Wie ist es dazu gekommen? Eine Analyse.

09.02.19 - 04:30 Uhr
Politik
Wohin damit? Das Grundproblem ist, dass es zu viele Autos in der Stadt hat.
Wohin damit? Das Grundproblem ist, dass es zu viele Autos in der Stadt hat.
ARCHIVBILD MAYA RHYNER

Es rumort im Kantonshauptort. Überall hagelt es Kritik, und es will und will nicht enden. Nicht genug, dass die nationale Boulevard-Zeitung vom «dümmsten Parkplatz der Schweiz» spricht und die Leserbriefspalten der «Glarner Nachrichten» Woche für Woche voll sind, es wettert selbst die ehemalige Gemeindepräsidentin. Sie spricht gar von Wutbürgertum à la Deutschland.

Der TCS wettert noch viel deutlicher und will den Volksentscheid rückgängig machen. «Hexenhammer der Bürokratie» nennt er das neue Verkehrskonzept. Glarus mutiere «zum grimmigen Verbotsstaat» und befinde sich auf dem «bürokratischen Irrweg».

Welch ein Kontrast zu den Anfangsjahren der 2011 gegründeten Gemeinde. Lange konnte der Gemeinderat auf den Goodwill des Stimmvolks zählen. Den Nutzungsplan brachten Christian Marti und Co. praktisch unbeschadet durch – als einzige im Kanton. Und trotz der Steuersenkung zum Start der neuen Gemeinden bekam der Hauptort die Finanzen bald in den Griff. So gut, dass er die beiden anderen Gemeinden mittlerweile finanziell unterstützt. Fast alle Vorlagen, welche die Gemeinde auf den Weg bringen sollten, fanden Gnade beim Volk. Einzig bei den städtischen Absichten verweigerte das Volk dem Duo Christian und Christian die Gefolgschaft.

Die Stimmung kippt

Das änderte schlagartig, als der eine der beiden als Regierungsrat kandidierte. Tempo 30 in Netstal wurde von nun an lautstark kritisiert – paradoxerweise von jenen Personen, die selber zuvor Verkehrsberuhigung für die Mattstrasse gefordert hatten, aber das ist eine andere Geschichte. Das Szenario wiederholte sich beim Eisfelddach, das ein Anliegen der Eisvereine war, bei dem die Gemeinde dann aber den Lead übernahm und am Schluss Kostenüberschreitungen rechtfertigen musste. Es folgte die Rückweisung des Linthstegs, und seit Monaten dominiert nun der Ärger über Velobügel, Betonpflöcke und Parkbussen die Stimmung im Hauptort. Mit der anstehenden Fasnacht und der Einführung der Gebühr für Laternengaragen wird das Thema aktuell bleiben. Zu allem Unbill gesellt sich der Aufschrei zur Landsgemeinde-Inszenierung von Glarus Service hinzu. Die Vereinigung der Lädeler hat zwar nichts mit dem Gemeinderat zu tun, wird aber von vielen in denselben Topf geworfen. Kritik ist nicht nur aus der bekannten Nörgelerecke zu hören, sondern über die Stammtische hinaus.

Wer in der Öffentlichkeit steht, ist Kritik ausgesetzt. Macher ecken an. Kleinere Brandherde wie der weisse Steinbock auf dem Gemeindhaus-Brunnen oder die Probleme mit dem Werkhofpersonal gehören zum Alltag einer Gemeinde. Allen recht gemacht ... und, wo gehobelt wird, ... an sich nichts Besorgniserregendes.

Was tun?

Anders hier: Dauer und Heftigkeit der Kritik zeigen, dass der Gemeinderat Glarus dabei ist, sein «Volk» zu verlieren. Wie es Glarus Nord gegen Ende der vorangegangenen Legislatur auch passiert ist. Oder Glarus Süd beim Nutzungsplan und in der Schulfrage.

Für den Gemeinderat ist das eine verfahrene Situation, um ein Wortbild zum Thema zu benutzen. Was tun, damit er nicht in der Sackgasse landet? In einem Parkhaus abtauchen und warten, bis der Sturm vorüberzieht? Dann überlässt er das Parkfeld ganz den Miesmachern. Gas geben und kommunikativ in die Offensive gehen? Dann droht er, in die Rechtfertigungsfalle zu trampen. An der nächsten Gemeindeversammlung informieren? Dann erreicht er von den über 12 500 Einwohnern über 12 000 nicht. Die Polarisierung nimmt überhand.

Der erfolgsversprechendste Weg liegt wie meist bei einer guten Kommunikation, also ohne geschliffene PR, ohne elitäre Fachbegriffe, dafür mit konkreten Botschaften:

  • «Ja, eine Mehrheit des Stimmvolkes will weniger Blech in der Stadt.» Das geht nicht, ohne dass die Autofahrer eingeschränkt werden.
  • «Ja, fürs Parkieren muss man zahlen.» Wie sonst will man das Parkhaus unter dem Zaunplatz finanzieren? Die Abgaben für die Laternengaragen kannte Ennenda schon früher.
  • «Ja, in der Blauen Zone darf man das Auto nur eine gute Stunde abstellen.» Das gilt zwar schon lange, wurde aber kaum durchgesetzt. Die private Firma tut das nun. Und: «Wir wollen dabei das nötige Fingerspitzengefühl walten lassen.»
  • «Ja, es wirkt.» Die Kunden finden mehr freie Parkplätze im Zentrum. «Und ja, das hilft gegen das Ladensterben.» Schubiger, Dieffenbacher, Ochsner, Dosenbach und Voegele sind vorher verschwunden.
  • «Und ja: Wir haben wohl mit zu grosser Kelle angerichtet, wir werden das System besser erklären und wo nötig Korrekturen anbringen.» Bald, nicht erst in drei Jahren.

Viele begreifen nicht, dass Parkplätze verschwinden, aber die Parkhäuser Zukunftsmusik sind. Sie wollen verständlich erklärt bekommen warum. Die Gemeinderäte und die Gemeinderätin tun sicher gut daran, den Unmut ernst zu nehmen und Präsenz zu zeigen, in Beizen, in der Zeitung, in den sozialen Medien.

Ein Bügelspez am Bügelfest

Im Moment hat man jedoch das Gefühl, man steckt lieber den Kopf in den Sand und wartet, bis der Sturm vorüberzieht. Nach der ganzseitigen Attacke des TCS, die am Dienstag in alle Haushalte ging, schaffte es die Gemeindespitze erst am Donnerstag, dazu Stellung zu nehmen – durch den Vize, der ausbaden muss, was der alte Gemeinderat aufgegleist hat.

Man könnte auch agieren statt reagieren: Warum nicht auf einer grossen Infotafel auf dem Zauplatz die wichtigsten Punkte bekannt machen, wie man dies von grossen Baustellen kennt? So erreicht man auch die auswärtigen Besucher. Oder wie wäre es mit einem Bügelfest zur Einführung des neuen Parkregimes im Frühling, an dem jeder Gast ein Gratis-Bügelspez aus Schwanden erhielte? Leben statt Karossen in die Stadt zu bringen, ist ja eines der Hauptziele der ganzen Übung. Man sollte sie nicht abbrechen, sondern optimieren.

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Die einen revoltieren für die Autosucht-Ausdehnung-Neverending.
Die anderen machen Klimastreik und drängen in die Politik.
Die Gesellschaft ist zerstritten wie nie und wer ist der lachende Dritte?
Das Patt des Statusquo-Desasters?
Wozu die Leute wie wild Nachwuchs erzeugen, ist mir ein Rätsel.

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