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Der gekaufte Nachbar

Seit 300 Jahren trägt der kleinste Schweizer Nachbar den Namen seiner Herrscherfamilie: Liechtenstein. Zum eigenen Staat war das Adelsgeschlecht im Januar 1719 auf ungewöhnlichem Weg gekommen.

Olivier
Berger
24.01.19 - 04:30 Uhr
Politik
Beschaulich: Im Jahr 1930 war Triesen noch ein Dörflein, heute zählt die Gemeinde über 5000 Einwohnerinnen und Einwohner
Beschaulich: Im Jahr 1930 war Triesen noch ein Dörflein, heute zählt die Gemeinde über 5000 Einwohnerinnen und Einwohner
KEYSTONE

In Skandinavien tobt der Grosse Nordische Krieg, in London wird Georg Friedrich Händel musikalischer Leiter der neu gegründeten Royal Academy of Music, im süddeutschen Augsburg wird Leopold Mozart, der Vater von Wolfgang Amadeus Mozart geboren, und in Graubünden erscheint erstmals das Wochenblatt «Montägliche Churer Zeitung». Wir schreiben das Jahr 1719.

Ein Herrscher ohne Land

Das Jahr 1719, genauer gesagt der 23. Januar dieses Jahres, markierte auch die Geburtsstunde eines neuen Landes im Herzen Europas. In Wien erhob Kaiser Karl VI. die beiden Herrschaften Vaduz und Schellenberg zu einem Reichsfürstentum, das den Namen seiner Besitzerfamilie trug: Liechtenstein. Bis heute ist das Fürstentum Liechtenstein einer von nur zwei Staaten weltweit, die nach ihrer Herrscherfamilie benannt sind – der andere ist Saudi-Arabien.

Die Familie Liechtenstein wurde allerdings nicht erst durch die Erhebung der beiden Herrschaften am Rhein zu Fürsten. Das nämlich waren sie schon lange, genauer seit dem Jahr 1608. Allerdings hatten die Fürsten von Liechtenstein ein Problem: Sie besassen gewissermassen kein eigenes Land und konnten deshalb nicht Teil des wichtigen Reichsfürstenrats sein.

Was heute undenkbar scheint, war an der Wende zum 18. Jahrhundert noch durchaus möglich: Johann Adam Andreas von Liechtenstein kaufte sich kurzerhand ein eigenes Territorium. Dabei profitierte er davon, dass die Grafen von Hohenems in finanziellen Kalamitäten steckten und die Herrschaft Schellenberg im Jahr 1699 und die Herrschaft Vaduz 13 Jahre später noch so gern an den Fürsten aus dem fernen Wien verkauften.

Ein Land ohne Herrscher

Sieben Jahre nach abgeschlossenem Landkauf wurde Johann Adam Andreas’ Nachfolger Anton Florian von Liechtenstein also doch noch Mitglied des Reichsfürstenrats. Allzu grosses Interesse an seinem Land zeigte der Fürst allerdings nicht. Er, der einst wegen seiner hohen Bildung Erzieher des späteren Kaisers Karl VI. gewesen war und danach dem spanischen König Karl III. als Erster Minister gedient hatte, dachte nicht im Traum daran, an den Oberlauf des Rheins zu ziehen. Er blieb in Wien und überliess das Tagesgeschäft vor Ort Landvögten. Erst im Jahr 1938 sollte mit Franz Josef II. der erste Fürst im Land wohnen.

Ein Land wird zum Staat

Als die Franzosen unter Napoleon Bonaparte im Jahr 1799 durch Liechtenstein in Richtung Feldkirch zogen, konnten sie den Fürsten auf Schloss Vaduz daher noch nicht antreffen. Napoleon war sieben Jahre später zu verdanken, dass das Fürstentum Liechtenstein zu einem selbstständigen Staat wurde. Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation wurde das Land im Jahr 1806 in den Rheinbund aufgenommen. An der neu erworbenen Unabhängigkeit änderte auch Napoleons Niederlage in den Koalitionskriegen nichts: Am Wiener Kongress wurde Liechtenstein im Jahr 1815 als selbstständiger Kleinstaat Mitglied des Deutschen Bunds.

Auch wenn damit die Weichen politisch im Sinne Liechtensteins gestellt waren: Wirtschaftlich ging es dem Kleinststaat am Rhein nicht besonders gut. Das änderte sich erst mit dem Abschluss eines Zollvertrags mit dem benachbarten Österreich-Ungarn im Jahr 1852 und der aufkommenden Textilindustrie. Die Kehrseite des Vertrags bekam das Land nach dem Ersten Weltkrieg zu spüren. Obwohl Liechtenstein politisch und militärisch neutral geblieben war, litt es unter den Sanktionen gegen Österreich. Nachdem dort die Monarchie im Jahr 1919 abgeschafft wurde, wurde auch der Zollvertrag aufgehoben.

Der Staat wird Teil der Welt

Statt mit Österreich machte Liechtenstein ab dem Jahr 1923 mit der Schweiz gemeinsame Sache. Ein neuer Zollvertrag trat in Kraft, der Franken wurde Landeswährung. Noch einmal war die Eigenständigkeit des Landes aber akut bedroht: Im Jahr 1939 plante die Volksdeutsche Bewegung einen Putsch, um Liechtenstein an Nazideutschland anzuschliessen. Der Umsturz misslang, und Liechtenstein war während des Zweiten Weltkriegs neuerlich neutral.

Just während des Zweiten Weltkriegs begann auch der wirtschaftliche Aufschwung Liechtensteins vom mausarmen Landwirtschaftsgebiet zu einem der reichsten Länder der Erde. Zunächst entstanden neue Industriebetriebe, danach sorgten eine äusserst liberale Gesetzgebung und die tiefe Besteuerung für einen Boom der Finanzindustrie. Allerdings entschied sich Liechtenstein im Jahr 2009 auch früh für eine Weissgeldstrategie.

Auch was die Einbindung in internationale Organisationen angeht, war Liechtenstein zuletzt aktiver als die Schweiz. Schon im Jahr 1990, zwölf Jahre vor der Schweiz, trat das Land der UNO bei. Im Jahr 1992 sagte Liechtenstein Ja zum EWR-Beitritt – eine Woche, nachdem das Schweizer Stimmvolk diesen abgelehnt hatte. Eines ist aber geblieben: Regiert wird das Land von den Fürsten von Liechtenstein – wie schon immer seit dem 23. Januar 1719.

Olivier Berger wuchs in Fribourg, dem Zürcher Oberland und Liechtenstein auf. Seit rund 30 Jahren arbeitet er für die Medien in der Region, aktuell als stellvertretender Chefredaktor Online/Zeitung. Daneben moderiert er mehrmals jährlich die TV-Sendung «Südostschweiz Standpunkte». Mehr Infos

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