×

Dilettantischen Räubern drohen drakonische Strafen

Der neue Glarner Staatsanwalt überrascht in einem Prozess gegen fünf jugendliche Täter mit hohen Strafanträgen. Gefängnisstrafen nützten niemandem etwas, halten die Verteidiger dagegen.

Daniel
Fischli
02.09.18 - 04:30 Uhr
Politik
In der Nacht auf Karfreitag 2014 wird ein Barbetreiber in Näfels an seinem Wohnort überfallen.
In der Nacht auf Karfreitag 2014 wird ein Barbetreiber in Näfels an seinem Wohnort überfallen.
SASI SUBRAMANIAM

In der Nacht auf Karfreitag des Jahres 2014 wird die Polizei nach Näfels gerufen. Im Eingang eines Wohnblockes findet sie einen jungen Mann mit einer Stichwunde im Bauch. Er wird von einem andern Mann festgehalten und an der Flucht gehindert, der noch den Griff eines Messers in der andern Hand hält. Die abgebrochene Klinge liegt am Boden. Auch dieser zweite Mann ist verletzt, ebenso seine Freundin, die sich auch am Schauplatz befindet.

Wie sich schnell herausstellt, wollte der junge Mann mit der Stichwunde das Paar ausrauben, das sich aber mit dem Messer gewehrt hat. Er hat vier Komplizen, die geflüchtet sind, aber noch am gleichen Tag festgenommen werden können. Jetzt musste sich das Quintett vor dem Kantonsgericht verantworten. Die fünf Räuber sind zur Tatzeit erst zwischen 19 und knapp 21 Jahre alt. Sie sind geständig.

Vor verschlossenen Türen

Die fünf Männer waren damals ebenso dilettantisch wie jung. In den Anklageschriften der Staatsanwaltschaft wird das Geschehen in dieser Nacht auf Karfreitag 2014 beschrieben: Etwa anderthalb Stunden vor dem Überfall in Näfels treffen sich sieben Männer beim Güterschuppen in Glarus. Sie planen, irgend einen Drogendealer «auszunehmen». Sie haben Masken dabei, um sich zu vermummen, und als Waffe ein Elektroschockgerät.

Kurz nach Mitternacht fahren die Sieben in zwei Autos zu einem Club, wo sie eine verschlossene Metalltüre vorfinden. Dieses Hindernis genügt, den Räubern die Lust am Überfall zu nehmen. Sie steuern ein zweites Ziel in Ennetbühls an, wo sie ebenfalls eine verschlossene Türe zur Aufgabe ihres Planes bringt.

Es sind dann noch die fünf Angeklagten, die den Plan fassen, einen Barbetreiber auszurauben. Es ist der Mann, der später mit dem Messergriff in der Hand von der Polizei gefunden wird. Die Räuber wissen, wo er in Näfels wohnt, und gehen davon aus, dass bei ihm etwas zu holen ist, fährt er doch immerhin einen Porsche.

Es klingelt mitten in der Nacht

Einer der Männer drückt um 1.45 Uhr den Klingelknopf des Barbetreibers im Eingang des Wohnblocks. Er behauptet über die Gegensprechanlage, er habe den Porsche zerkratzt und lockt sein Opfer so in die Tiefgarage. Dort warten zwei andere Täter, es kommt zu einer Rangelei, in deren Verlauf man offenbar in das Erdgeschoss hochsteigt. Das Elektroschockgerät kommt nicht zum Einsatz.

Die Hilfeschreie des Barbetreibers genügen, um nun einen der beiden Angreifer in die Flucht zu schlagen. Auch der Klingelknopfdrücker und die zwei letzten Räuber machen sich davon, die eigentlich hätten in die Wohnung im zweiten Stock eindringen sollen. Dort befindet sich die Freundin des Opfers, die ihm nun mit einem Messer bewaffnet ins Erdgeschoss zu Hilfe eilt. Der Barbetreiber reisst ihr das Messer aus der Hand und sticht dem letzten verbliebenen Räuber in den Bauch. Er kommt zuerst ins Spital und einen Tag später in Untersuchungshaft.

Seine vier Komplizen bekommen noch am selben Tag Besuch von der Polizei. Ein Verfahren gegen die beiden Opfer wegen übertriebener Notwehr wird eingestellt.

«Es war einfach nur blöd»

«Es war kein Plan, es war einfach nur blöd», brachte es vor dem Kantonsgericht einer der fünf Räuber auf den Punkt. Für ihn und zwei seiner Komplizen beantragte der Staatsanwalt eine bedingte Gefängnisstrafe von zwei Jahren. Nummer vier und fünf sollen aber zu unbedingten Gefängnisstrafen von vier und fünfeinhalb Jahren verurteilt werden. Sie sollen also auf jeden Fall ins Gefängnis wandern, denn sie haben noch mehr auf dem Kerbholz als den missglückten Raubzug vom Karfreitag.

Am längsten ist das Sündenregister desjenigen Räubers, der die Klingel gedrückt hat. «Er liess kaum etwas aus», meinte Staatsanwalt Patrick Fluri. Er ist seit dem Februar dieses Jahres im Amt und hat das Verfahren von seinem Vorgänger Willi Berchten geerbt.

Der heute 24-jährige Räuber hat mit Drogen gehandelt, mindestens seit er 18 war. Davor hatte schon die Jugendanwältin mit ihm zu tun. Zwei Wochen vor dem Raubzug hat er einem andern Dealer 50 Gramm Marihuana ohne zu bezahlen abgenommen. Seine Festnahme am Karfreitag und das seither offene Verfahren haben ihn nicht daran gehindert, einen Ladendiebstahl zu begehen, vor einem Club Gäste auszunehmen oder einen Kokaindealer zu berauben.

Die Anklageschrift listet gegen 30 Delikte auf. Dass er in einem Streit in einer Bar jemanden mit einer Flasche verletzt haben soll, bestreitet er.

Überrumpelte Verteidiger

Der Prozess vor dem Kantonsgericht dauerte einen ganzen Tag. In der bleiernen Hitze des grossen Gerichtssaales in Glarus harrten auch viele junge Leute aus, mehrheitlich Männer mit und ohne modische Bärte, in Hemden, zerrissenen Jeans und Turnschuhen. Augenscheinlich aus dem Freundeskreis der Angeklagten. Sie hörten sich an, wie Staatsanwalt Fluri dem Hauptangeklagten vorwarf, er zeige eine grosse kriminelle Energie, sei unbelehrbar und es fehle ihm an Schuldbewusstsein. Die fünf Verteidiger waren offenbar überrumpelt von den drakonischen Strafanträgen des neuen Staatsanwaltes. Er habe wohl in der Herleitung des Strafmasses absichtlich schnell geredet, damit man ihm nicht folgen könne, wurde ihm vorgeworfen.

Sein Mandant sei kein Musterknabe, erklärte der Verteidiger des Hauptangeklagten. Aber er habe eine grosse Entwicklung gemacht, er habe eine feste Arbeitsstelle und konsumiere heute weder Alkohol noch andere Drogen. «Er hat sich zu einem verantwortungsbewussten jungen Mann entwickelt, eine Gefängnisstrafe würde alles wieder infrage stellen.» Im besten Fall werde er nach dem Absitzen der Strafe wohl zum Sozialhilfebezüger. Der Antrag des Staatsanwaltes sei «völlig exorbitant», es könne doch nicht sein, dass die Dinge dermassen «explodieren», so der Verteidiger. Er beantragte eine nur bedingte Gefängnisstrafe. Damit ging es in die Mittagspause.

Ein wenig Theorie der Strafe

Auch die Verteidigerin des zweiten Angeklagten beantragte eine nur bedingte Gefängnisstrafe für ihren Mandanten. Das Gericht solle ihm eine Chance geben und «ihn nicht in die Kriminalität treiben, indem man ihn für mehrere Jahre ins Gefängnis steckt». Und ein dritter Verteidiger meinte: «Man kommt nicht unbedingt besser aus dem Gefängnis, als man hineingeht.»

Diesem von den Verteidigern vorgebrachten Resozialisierungsgedanken stellte der Staatsanwalt die Theorie der Vergeltung entgegen. Er meinte, die fünfköpfige Phalanx der Gegenseite habe für Verwirrung gesorgt, die er jetzt alleine wieder auflösen müsse. «Die Verteidigung blendet die Opfer aus und beschäftigt sich nur mit den Tätern, denen es möglichst gut gehen soll», so der Staatsanwalt. Die Strafe müsse nicht nur resozialisieren, sondern auch den Rechtsfrieden wieder herstellen.

Der Hauptangeklagte bat das Gericht in einem emotionalen Schlusswort um Milde. Seit dem Frühling habe er eine feste Stelle in einem Betrieb, der bereit sei, ihm eine Chance zu geben. Er sei verlobt, wolle heiraten und Kinder bekommen. «Jetzt habe ich Angst um meine Zukunft und bitte um eine letzte Chance.» Das Urteil wird später schriftlich eröffnet.

Der Antrag des Staatsanwaltes sei «völlig exorbitant», es könne doch nicht sein, dass die Dinge dermassen «explodieren», so der Verteidiger. Er beantragte eine nur bedingte Gefängnisstrafe.

Die Hilfeschreie des Barbetreibers genügen, um nun einen der beiden Angreifer in die Flucht zu schlagen. Auch der Klingelknopfdrücker und die zwei letzten Räuber machen sich davon, die eigentlich hätten in die Wohnung im zweiten Stock eindringen sollen.

Daniel Fischli arbeitet als Redaktor bei den «Glarner Nachrichten». Er hat Philosophie und deutsche Sprache und Literatur studiert. Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Politik MEHR