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«Es ist ein Gebot der Zeit, das heute zu machen»

Die Sitzungen des Grossen Rates werden schon bald in Echtzeit im Internet zu sehen sein. Das freut SP-Grossrat Conradin Caviezel, der dies vor rund drei Jahren in einem Vorstoss gefordert hatte.

Corinne
Raguth Tscharner
15.02.18 - 04:30 Uhr
Politik
Grosser Rat Februar 2018 Live Livestream
Wenn bei den Pilotversuchen im April und Juni alles gut läuft, soll bereits die Augustsession per Livestream übertragen werden.
YANIK BÜRKLI

Am letzten Tag der Februarsession sprachen sich gestern 105 Grossräte dafür aus, dass die Debatten aus dem Grossen Rat künftig per Livestream aus dem Grossratssaal online übertragen werden.

Herr Caviezel, weshalb braucht es eine Liveübertragung aus dem Grossen Rat in Bild und Ton?
Conradin Caviezel: Das Angebot gibt es ja heute schon in vielen anderen Kantonen. Wir als flächenmässig grösster Kanton der Schweiz sind prädestiniert dafür, so etwas einzuführen. Je nach Wohnort muss man über zwei Stunden anreisen, um in Chur eine Debatte mitverfolgen zu können. Vielleicht interessiert man sich nur für ein einziges Thema. So kann man das künftig zu Hause auf dem Handy oder dem Computer verfolgen. Das ist einfach eine bürgernahe Politik, und ich denke, es ist ein Gebot der Zeit, das heute zu machen.

Sie haben ihren Auftrag für einen Livestream aus dem Grossratssaal bereits 2015 eingereicht. Weshalb hat es so lange gedauert, bis er nun im Grossen Rat behandelt wurde?
Politik funktioniert leider nicht immer so schnell. Es hat unter anderem so lange gedauert, weil man verschiedene Varianten geprüft hat: Eine sehr umfassende und eine sehr günstige Variante. Am Ende haben wir nun einen Mittelweg gewählt. Ich glaube, wenn man es mit Autos vergleichen würde, hätten wir jetzt etwa einen Škoda, ein Mittelklasseprodukt. Das ist ein guter Bündner Kompromiss. Es hat innerhalb des Grossen Rates auch viel Überzeugungsarbeit gebraucht. In den letzten Jahren ist die Politik zum Glück transparenter geworden. Es hat ein gewisser Sinneswandel stattgefunden.

Weshalb ist es zu diesem Sinneswandel gekommen?
Ich glaube, der Grosse Rat versteht immer mehr, dass Transparenz nichts Problematisches ist, sondern ein Teil des demokratischen Prozesses. Wir haben auf Druck der SP das Öffentlichkeitsprinzip debattiert und dort einen wichtigen Schritt machen können. Das war vorher immer wieder abgelehnt worden. Wir haben es auch geschafft die Abstimmungsergebnisse aus dem Grossen Rat öffentlich zu publizieren. Da hatten auch viele am Anfang Befürchtungen. Nachdem man es eingeführt hatte, hat man gemerkt, dass es eigentlich gar kein Problem ist.

Denken Sie, dass mit einer konstanten Videoübertragung die Disziplin im Rat zunehmen wird?
Die Grossräte werden nach einer Weile wohl vergessen, dass ein Livestream läuft. Ich glaube auch nicht, dass es Debatten gibt, die primär gemacht werden, nur weil irgendwelche Leute zuschauen. Der Grosse Rat ist eigentlich heute schon relativ diszipliniert und es herrscht gute Anwesenheitsdisziplin. Ich denke nicht, dass sich das Verhalten ändern wird. Was aber neu ändert: Die Bürgerinnen und Bürger können zu Hause mitverfolgen, wie der gewählte Mann oder die gewählte Frau aus ihrem Kreis abstimmt und entscheidet. Das ist zentral, wenn man wissen will, wen man in vier Jahren wieder wählen will.

Ist die Einführung des Livestreams erst ein Zwischenschritt zu einer digitalen Teilnahme? Können sich Grossräte bald ortsunabhängig einloggen und mitdiskutieren?
Nein, soweit geht es heute und morgen sicher nicht. Ich kenne jedenfalls kein anderes Parlament, das so funktionieren würde. In dieser Session haben wir aber einen anderen wichtigen Schritt gemacht und haben E-Voting eingeführt. Die Digitalisierung hält also überall Einzug.
Die Digitalisierung hält Einzug. Die Technik wäre auch so weit. Woran würde die ortsunabhängige Teilnahme scheitern?
Unsere Verfassung sieht das nicht vor.. Das sind demokratietheoretische Experimente, die man vielleicht besser zuerst an anderen Orten ausprobiert. Der persönliche Austausch ist wichtig. Man muss wissen, was in den einzelnen Regionen und Tälern passiert. Das Digitale kann ein persönliches Gespräch nicht ersetzen – und soll es auch nicht. Ich denke, wir werden uns noch lange physisch im Grossen Rat treffen, aber die Sitzungen immer besser übertragen können, damit die Leute sehen, was wir tun.

Wäre es in Zukunft eine Option, dass sich Bürger aktiv digital in die Sessionen einschalten und Fragen stellen?
Dafür ist das Parlament nicht vorgesehen. Das Prinzip ist, dass die Bürgerinnen und Bürger sich bei der Wahl entsprechend engagieren und damit sagen wer später im Rat für sie die Fragen stellen soll. Ich erhoffe mir, dass sich speziell Jugendliche stärker für Politik anfangen zu interessieren, wenn sie mal eine Debatte online mitverfolgen können. Teilweise weiss die Bevölkerung nicht ganz genau, was im Grossen Rat eigentlich passiert und diskutiert wird. Wenn man das Geschehen aber unkompliziert auf dem Smartphone mitverfolgen kann und somit direkt mitbekommt, wie zum Beispiel über eine Initiative diskutiert wird, über die man später selbst abstimmen wird, kann das interessant sein. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es bei allen Themen hohe Einschaltquoten gibt. Es ist wie beim Fussball. Wenn die Schweizer Nationalmannschaft an der WM spielt und ins Achtelfinale kommt, dann schauen alle zu. Wenn es aber ein Testspiel auf den Färöer Inseln ist, dann interessiert sich kaum jemand dafür.

Der Livestream soll also auch von Jugendlichen genutzt werden. Erhoffen Sie sich von ihnen dann auch mehr Beteiligung in der Politik?
Der Livestream wird jetzt nicht alles verändern. Man muss nicht naiv sein und denken, die Wahlbeteiligung wird signifikant steigen, nur weil es einen Livestream gibt. Davon gehe ich nicht aus. Ich glaube aber, speziell für Junge, die oft mal unterwegs und sehr mobil sind, kann es interessant sein, das Ratsgeschehen digital zu verfolgen. Wenn man sich einfacher über Politik informieren kann, ist das für alle nur von Vorteil und kann im Besten Fall bei der einen oder anderen Person eine grössere Politik-Begeisterung auslösen. Aber davon auszugehen, dass nur wegen eines Livestreams jetzt massenhaft Jugendliche in die Politik strömen werden, wäre sicher falsch. So einfach ist die Welt dann natürlich auch nicht.

Corinne Raguth Tscharner ist stellvertretende Chefredaktorin Online und Zeitung und Chefin vom Dienst bei «suedostschweiz.ch». Zuvor erlernte sie das journalistische Handwerk als Volontärin in vier verschiedenen Redaktionen (Print, Online, Radio, TV) und war als Online-Redaktorin tätig. Mehr Infos

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