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Cavigelli sagte den Volksvertretern nicht alles

Das Bundesamt für Umwelt hielt die Sonderjagdinitiative für rechtskonform und somit für gültig. Nur wusste das Bündner Parlament nichts davon, als es die Initiative seinerseits für ungültig erklärte. Regierungsrat Mario Cavigelli wollte es so.

Südostschweiz
28.11.17 - 19:13 Uhr
Politik
Regierungsrat Mario Cavigelli hat vor der Sonderjagddebatte  im Grossen Rat die Meinung des Bafu für sich behalten.
Regierungsrat Mario Cavigelli hat vor der Sonderjagddebatte im Grossen Rat die Meinung des Bafu für sich behalten.
YANIK BÜRKLI

Das Fazit des Bundesamts für Umwelt (Bafu) war klar: Die Sonderjagdini-tiative verstösst nicht offensichtlich gegen Bundesrecht. So steht es am Ende eines vierseitigen Schreibens, welches das Bafu an den Bündner Regierungsrat Mario Cavigelli geschickt hat, rund einen Monat bevor die Initiative im Bündner Parlament behandelt wurde.

Nur: Niemand wusste damals von der Existenz des Schreibens, welches der «Südostschweiz» heute vorliegt. Zumindest keiner der Grossräte, die am 9. Februar über die Rechtskonformität der Sonderjagdinitiative entscheiden mussten. Einer Initiative, welche zuvor von rekordverdächtigen 11 000 Stimmberechtigten unterschrieben worden war.

CVP-Regierungsrat Cavigelli hatte das Bafu selber um dessen Sichtweise angefragt und eine Antwort noch vor der Behandlung durch die grossrätliche Vorberatungskommission und des Bündner Parlaments erbeten. Doch selbst die Mitglieder der Vorberatungskommission, die zehn Tage nach Erhalt des Schreibens tagte, erfuhren nichts von der Stellungnahme des Bafu, die der Sichtweise der Regierung diame-tral widersprach.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Das Parlament erklärte die Sonderjagdinitiative am 9. Februar mit 79:36 Stimmen für ungültig, im Wissen, dass die Volksinitiative zu den verfassungsrechtlich am besten geschützten Instrumenten der direkten Demokratie zählt. Die Initianten akzeptierten den Entscheid nicht und gelangten ans Bundesgericht. Dieses drehte den Entscheid, und die Initiative, welche die Sonderjagd abschaffen will, kommt nun doch vors Volk (Ausgabe vom 9. November).

Für Fraktionschefs ist Bafu-Stellungnahme relevant ...

Der Schriftwechsel zwischen Cavigelli und dem Bafu kann heute nachgelesen werden, weil Radio Südostschweiz die Briefe mit Verweis auf das Öffentlichkeitsgesetz beim Bafu eingefordert hatte. Dessen Inhalte – und vor allem Cavigellis Umgang damit – kommt bei den meisten Fraktionspräsidenten der Bündner Parteien nicht gut an. «Die Informationen im Schreiben des Bafu wären für uns relevant gewesen», findet etwa Gian Michael, Fraktionschef der BDP. Die Meinung des Bafu als Vertreterin des übergeordneten Rechts wäre seiner Ansicht nach für die Meinungsbildung zentral gewesen. «Ich kann mir gut vorstellen, dass die Meinungen in der Kommission anders ausgefallen wären, wenn die Mitglieder Kenntnis von der Sichtweise des Bafu gehabt hätten», sagt Michael. Die BDP hatte die Sonderjagdinitiative im Grossen Rat geschlossen mit 26:0 Stimmen für ungültig erklärt.

Vera Stiffler von der FDP meint ebenfalls, dass die Kommission in ei-nem solchen Fall in Kenntnis gesetzt werden müsse. Und selbst Marcus Caduff von der CVP findet, diese Information wäre für die Kommission «wichtig» gewesen. Trotzdem bezweifeln beide, dass dies etwas am Ausgang der Schlussabstimmung geändert hätte. Die FDP (19:13) und die CVP (28:3) hatten die Initiative ebenfalls für ungültig erklärt.

«Diese Information wäre matchentscheidend gewesen.» Jan Koch, SVP-Fraktionspräsident

Die SVP (6:2) und die SP (13:2) waren die beiden einzigen Parteien, welche die Initiative für gültig erklärten. «Wenn es um so zentrale Themen wie demokratische Grundrechte geht, müssten dem Parlament alle wichtigen Informationen so früh und so umfassend wie möglich zur Abwägung vorgelegt werden», sagt SP-Fraktionschef Conradin Caviezel. Und die Stellungnahme des Bafu wäre für ihn zweifellos eine wichtige Information gewesen.

Jan Koch, Fraktionspräsident der SVP, ist überzeugt, dass das Vorgehen von Cavigelli Einfluss auf das Abstimmungsergebnis hatte: «Diese Information wäre matchentscheidend gewesen.» Er will nun die Fragestunde der Dezembersession dazu nutzen, um Cavigelli in dieser Angelegenheit auf den Zahn zu fühlen.

... nicht so für Mario Cavigelli

Gegenüber der «Südostschweiz» bezeichnet Cavigelli sein Vorgehen als üblich im Vorfeld einer Abstimmungsdebatte. Die Stellungnahme des Bafu habe er den Volksvertretern nicht vorgelegt, weil er das Schreiben als nicht relevant für die Meinungsbildung eingeschätzt habe. Und daran habe sich nichts geändert. «Wir haben zwei Gutachten erstellen lassen, die sich viel gründlicher mit der Initiative auseinandergesetzt haben als das Bafu. Diese Gutachten waren für uns deshalb als einzige relevant.» Nur die Gesamtregierung habe er mündlich von der abweichenden Meinung des Bafu in Kenntnis gesetzt, so Cavigelli.

Selbst die Mitglieder der vorberatenden Kommission hatten keine Kenntnis vom Schreiben des Bafu.

Die Antwort des Bafu habe er vor der Kommissionssitzung und der Grossratsdebatte erbeten, weil er diese von den eigenen Gutachtern habe überprüfen lassen wollen. Dass sich die Einschätzung von Umweltbehörden des Bundes mit jener des Kantons nicht immer deckt, sei kein unüblicher Umstand. «Die Argumentation des Bafu änderte nichts an der Schlussfolgerung unseres Obergutachters Tomas Poledna. In einem Schreiben an uns bestätigte er seine Meinung in aller Deutlichkeit», betont Cavigelli. Damit habe sich auch gezeigt, dass das Gutachten «belastbar» sei. «Es gab für uns deshalb keine Veranlassung, der Sichtweise des Bafu noch grösseres Gewicht zu verleihen.»

«Wir wissen einfach»

Cavigelli war sich seiner Sache am 9. Februar so sicher, dass er in der Debatte im Grossen Rat keinen Zweifel an der Richtigkeit der regierungsrätlichen Position aufkommen liess, wie ein Blick ins Ratsprotokoll zeigt: «Wir wissen einfach, es ist aus unserer Sicht klar, das Waldrecht und das eidgenössische Jagdrecht sind nicht einhaltbar mit der Initiative, und somit ist diese ungültig.»

So kann man sich irren.

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Langsam aber sicher wird offenkundig, dass Cavigelli ein Trickser ist, der es mit der Wahrheit nur dann hat, wenn sie ihm gefällt. Ein anderer Trick des Regierungsrats ist nach meiner Wahrnehmung nie diskutiert worden. Sogar die SP, die ums Haar (137 Stimmen) damit verschaukelt worden wäre, hat sich an Cavigellis Trick von 2012/13 scheinbar nicht gestört. Die Formulierung des Gegenvorschlags zur Anti-Kohle Initiative war irreführend gewesen. Mit ihr erweckte Cavigelli den Eindruck, dass entweder auch der Gegenvorschlag das Projekt in Saline Joniche als neues Kraftwerk verhindern würde oder, dass in Saline Joniche ein ganz besonders fortschrittliches Kraftwerk jenseits bestehender Umweltstandards geplant würde. Beinahe hätte es Cavigelli geschafft, die Initiative mit diesem Trick zu verhindern. Seine im Zusammenhang mit der Initiative gemachten Behauptungen, die sich unterdessen — wenig überraschend — fast alle als Fehlbehauptungen entpuppt haben, sind auch nicht vergessen. Ebenfalls nicht vergessen ist aber, dass SVP, BDP, FDP und CVP Cavigellis Fehlbehauptungen zur Anti-Kohle Initiative mittrugen. Cavigellis grosse Sünde betreffend Repower, war und sind aber seine Gleichgültigkeit, Kulanz und Unterwürfigkeit gegenüber dem überheblichen und gefährlichen Gebaren der GL und des VR. Auch dabei hatte Cavigelli stets die Unterstützung der genannten Parteien.

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