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Zwei Wünsche: Ein Blick in den «Kulturpunkt» Chur und eine bewegende Fluchtgeschichte

Wie Menschen aus anderen Kulturen auf unser Weihnachtsfest blicken – die «Büwo» traf im Churer «Kulturpunkt» eine Geflüchtete aus Afghanistan.

Bündner Woche
16.12.24 - 11:00 Uhr
Menschen & Schicksale
Gastgeberin Lenka Petrzelova, Präsidentin Rita Gianelli und Geschäftsleiterin Anina Fümm (von links) reden mit Lika aus Afghanistan.
Gastgeberin Lenka Petrzelova, Präsidentin Rita Gianelli und Geschäftsleiterin Anina Fümm (von links) reden mit Lika aus Afghanistan.
Andri Dürst

Von Andri Dürst

Kulinarik, Handwerk, Sprache und Musik: Dies sind nur einige Berührungspunkte für Besuchende des «Kulturpunkt» in Chur. Diese Institution in Worte zu fassen, ist gar nicht so einfach: Sie ist Café, Restaurant, Begegnungsstätte, Konzertsaal und Seminarlokal zugleich. Aber so wichtig ist diese Definition eigentlich gar nicht; viel entscheidender ist, was in den Räumlichkeiten an der Planaterrastrasse 11 passiert. Viel darüber erzählen können Rita Gianelli und Anina Fümm. Die beiden Damen sitzen an einem langen Holztisch, der schräg im hellen Bistro steht. Rund 15 Leute finden daran Platz – alle auf unterschiedlichen Stühlen. «Diese verschiedenen Möbel symbolisieren unsere Idee: Die verschiedensten Personen sollen sich hier unkompliziert begegnen», erklärt Rita Gianelli, die als Präsidentin des Vereins «Kulturpunkt» amtet.

Eine unkomplizierte Begegnung gibt es auch beim Besuch der «Büwo». Denn nun öffnet sich die Türe und eine Frau mit langen Haaren und Brille tritt hinein. Sie setzt sich neben Rita Gianelli. Diese stellt die neu Hinzugekommene vor: «Das ist Lika, sie stammt aus Afghanistan.» Wir wechseln nun auf Englisch; Deutsch könne sie erst «ganz wenig», meint sie bescheiden. Lika flüchtete vor sieben Jahren aus ihrem Heimatland; seit neun Monaten ist sie in der Schweiz. Noch immer sind aber zwei ihrer Kinder in Afghanistan – eine sehr schwierige Situation für die Frau. Nun, hier in der Schweiz, wolle sie als erstes Deutsch lernen, erklärt sie. «Das Leben hier ist hart – besonders, wenn man die Sprache nicht kennt und keine Kenntnisse über die Kultur hat.» Dennoch gebe es auch Dinge, die gut laufen würden. Als Beispiel nennt sie eben ihren Deutsch-Kurs.

Mit dem Angebot «Café Surprise» kann man eine Tasse Solidarität spenden.
Mit dem Angebot «Café Surprise» kann man eine Tasse Solidarität spenden.
Andri Dürst

Weihnachten aus dem Blick einer Muslima

Nun aber wollen wir ihr noch einige Fragen zu Weihnachten stellen. Was wusste sie vor ihrer Ankunft in Europa von diesem Fest? «Ich wusste noch nicht allzu viel darüber. Aber es gibt sogar in meiner Heimatregion einige Leute, die Weihnachten feiern.» Vor vier Jahren sei sie dann in die Türkei und später nach Griechenland gekommen. Dort habe sie dann mehr über Weihnachten erfahren. Wie blickt sie auf das Ganze? «Ich finde es gut und wundervoll. Auch ästhetisch finde ich es ein schönes Fest – mit all der Dekoration.» Dennoch sei es ganz etwas anderes als die muslimischen Feste. Dort werde besonders das Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert. «Auch bei diesem Fest gibt es Geschenke, aber meist nur für die Kinder.» Wie werden nun bei ihr die Feiertage um den 25. Dezember aussehen? «Für mich sind das normale Tage», meint sie.

«Normale Tage», das gilt auch für den «Kulturpunkt». Das Haus werde zwar offen sein, aber das Café werde vom 22. Dezember bis am 5. Januar Betriebsferien machen. «Das ist leider eine wirtschaftliche Entscheidung, die wir treffen mussten. Gerne würden wir aber an 365 Tagen offen haben – das wäre unser Wunsch», sagt Rita Gianelli. Vor den Ferien werde man aber noch ein Adventskonzert veranstalten, und auch ein Christbaumschmuck-Bastelworkshop stehe auf dem Programm.

Im «Kulturpunkt» sollen sich alle wohlfühlen.
Im «Kulturpunkt» sollen sich alle wohlfühlen.
Andri Dürst

Wertvolle Freiwilligenarbeit

Die beiden Anlässe sind nur zwei aus dem bunten Veranstaltungskalender des «Kulturpunkt». Begonnen hat alles 2021, als engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter ein Konzept für die Belebung der Räumlichkeiten im ehemaligen Chemielabor entwickelten (siehe «Büwo» vom 21. August 2021, online einsehbar). Dabei habe man das Rad aber keineswegs neu erfunden, sagt Rita Gianelli und verweist auf solche Begegnungsstätten, wie man sie in anderen Schweizer Städten schon lange kenne. «Hier in Graubünden fehlte so etwas.» Beim Aufbau des «Kulturpunkt» habe man immer stark mit dem Amt für Migration und mit der Fachstelle Integration zusammengearbeitet. Wer nun glaubt, dass das Lokal nur von Geflüchteten besucht wird, irrt: Auch viele Einheimische hätten Gefallen daran gefunden. So sind beispielsweise die Bewohnenden des Gebäudes – ein Mehrgenerationenhaus – oftmals im Café oder bei Anlässen in einem der Säle anzutreffen. Die meisten Angebote sind offen für jedermann und jedefrau. Einen Konsumzwang gibt es nicht. Auch die Möglichkeit eines «Café Surprise» besteht: Wer möchte, kann zwei Kaffee bezahlen, sodass jemand ohne viel Geld gratis einen trinken darf (die «Büwo» berichtete ebenfalls).

Rita Gianelli, Lenka Petrzelova, und Anina Fümm (von links) freuen sich über jeden Besuch im «Kulturpunkt».
Rita Gianelli, Lenka Petrzelova, und Anina Fümm (von links) freuen sich über jeden Besuch im «Kulturpunkt».
Andri Dürst

Dass im «Kulturpunkt» viel läuft, weiss niemand so gut wie Geschäftsleiterin Anina Fümm. Und hier kommen die eingangs erwähnten Berührungspunkte ins Spiel. «Jeden zweiten Sonntag gibt es bei uns einen Kulturenbrunch. Dort kann jeder und jede eine Speise aus seinem Heimatland mitbringen. Zusammen geniesst man dann dieses bunte Buffet.» Mit der Kulinarik ist also der erste Schritt zur Begegnung schon getan. «Einmal waren eine Frau – etwa um die 50 – und ihr Sohn – etwa 18 Jahre alt – hier. Sie haben per Zufall vom Event erfahren. Als sie dann hier waren, kamen sie mit einer Somalierin ins Gespräch, die gerade Deutsch lernte. Die beiden beschlossen kurzerhand, sie beim Lernen zu unterstützen, und trafen sie dann regelmässig.» Mit der Sprache war also die zweite Verbindung geknüpft. Rita Gianelli und Anina Fümm erzählen noch von anderen Anlässen, die hier stattfinden. Vom Nähtreff. Von einer Vernissage einer Ausstellung einer ukrainischen Künstlerin. Von Konzerten, Lesungen und vielem mehr. Sie alle beleben die Räumlichkeiten im «Kulturpunkt». Und gleichzeitig schaffen sie einen Ort der Begegnung: Zwischen Menschen, die neu sind im Kanton, und Einheimischen. Genau das war nämlich das Ziel, das sich der Verein 2021 gesetzt hatte.

«Hoffnungen und Herausforderungen»

Doch nicht nur die Macherinnen und Macher vom «Kulturpunkt» haben mit dem angedachten Ganzjahresbetrieb einen Wunsch. Auch Lika liegt etwas auf dem Herzen: Ihre beiden Kinder hierher in die Schweiz zu holen. «Meine Tochter ist 16. Sie könnte bald zwangsverheiratet werden.» Das würde ihr ganzes Leben kaputtmachen. «Ich leide hier in der Schweiz an der Sehnsucht nach meinen Kindern, und sie leiden dort an der schrecklichen Situation.» Ob ihr Wunsch in Erfüllung geht, hängt von politischen Faktoren ab. Und der Wunsch des Vereins «Kulturpunkt» von wirtschaftlichen Eckpunkten. Eines aber haben sie gemeinsam: Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben. Wer weiss, vielleicht gehen die Wünsche ja in Erfüllung – ob mit oder ohne Weihnachten.

www.kulturpunktgr.ch

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