Laura Brülisauer: «Ich will leben»
Laura Brülisauers Mutter erkrankte früh an Brustkrebs. Ein Leben in Angst kann sich die junge Frau nicht vorstellen und entscheidet sich trotz allem bewusst gegen den Gentest.
Laura Brülisauers Mutter erkrankte früh an Brustkrebs. Ein Leben in Angst kann sich die junge Frau nicht vorstellen und entscheidet sich trotz allem bewusst gegen den Gentest.
von Annina Hartmann
Mit gerade einmal elf Jahren verlor die heute 26-jährige Laura Brülisauer ihre Mutter an Brustkrebs. Die Diagnose bekam ihre Mutter mit 26 Jahren, im gleichen Alter, wie Laura Brülisauer heute ist. Den Kampf gegen den Krebs verlor die Mama mit 32 Jahren im Februar 2009. Noch heute hat Laura Brülisauer Tränen in den Augen, wenn sie von ihrer Mutter und der Zeit während der Krankheit spricht. So auch während dieses Gesprächs.
Laura Brülisauer, als Sie elf Jahre alt waren, haben Sie Ihre Mutter an Brustkrebs verloren. Erinnern Sie sich noch an die Zeit, bevor alles begann?
Laura Brülisauer: Nein, für mich gab es nur eine kranke Mama. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie es war, als meine Mutter noch gesund war. Hatten Sie als Kind den Wunsch, eine gesunde Mutter zu haben, wie es auch Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler hatten? Ich kannte es nicht anders, daher erschien es mir normal. Jetzt, im Nachhinein, vermisse ich es jedoch. Ich wäre auch gerne anders erzogen worden. Ich wuchs bei meinem Nani auf, und sie hat mich manchmal etwas zu sehr verwöhnt. Natürlich bin ich meinem Nani sehr dankbar für alles, was sie für mich gemacht hat.
Wie war die Zeit von der Diagnose bis zum Tod Ihrer Mutter für Sie?
Es war eine schwierige Zeit. Ich kam jeden Tag von der Schule nach Hause und wusste nicht, was mich erwartet. Liegt meine Mutter auf dem Sofa, kocht sie, erbricht sie gerade oder geht es ihr gut? Meine Kindheit war von Ängsten geprägt. An meinem neunten oder zehnten Geburtstag hat mir meine Mama pinke Omeletten gemacht. Sie wollte mir eine Freude machen. Ihr ging es jedoch so schlecht, sie sass mit dem Stuhl am Herd und musste sich nach jeder gemachten Omelette übergeben. Sie wollte mir jedoch einen schönen Geburtstag bescheren.
Für Ihre Mutter muss es genauso schlimm gewesen sein, nicht voll für Sie da sein zu können.
Ein weiteres Beispiel war, als Bettler an die Haustür kamen und um Geld baten, weil es ihnen schlecht ging. Da schaute ich zurück in die Wohnung und sagte ihnen, dass ich eine kranke Mama zu Hause habe und ihnen auch nicht helfen kann.
Sie gingen damals zur Primarschule. Wie wirkte sich die Gesundheit Ihrer Mutter auf die Schule aus?
Ich hatte Schwierigkeiten. Ich konnte mich nur schlecht konzentrieren. Im Endstadium des Krebses, kurz vor dem Tod meiner Mutter, musste ich sogar eine Klasse wiederholen. Es war zu der Zeit, als sie schon nicht mehr zu Hause war. Zudem musste ich mir von den Mitschülern Sprüche anhören wie zum Beispiel: «Oh, Laura weint wieder, sie ist eine 'Brüelisauer'.» Das schmerzte, und ich ging dann oft nach Hause und weinte. Ich hatte aber auch einen Schutzmechanismus entwickelt und weiss nicht mehr alles aus dieser Zeit.
Wie ist es heute?
Schwer. Vor allem die kommende Zeit zwischen Weihnachten und Februar. Sie ist im Februar verstorben. Das letzte gemeinsame Weihnachten war 2008. Sie war da bereits im Rollstuhl. Es war mir damals nicht bewusst, dass es das letzte Weihnachtsfest sein wird, das wir zusammen feiern werden und meine Mutter danach nie mehr zurückkehren wird. Ich lenke mich noch heute ab. Unternehme viel mit Freunden und arbeite viel. Ich verbringe auch viel Zeit mit meinem Nani und meinem Neni. Die beiden geben mir Halt. Ich besuche gerne das Grab meiner Mutter und weine. Das tut mir gut. In diesem Jahr gehe ich in die Ferien. Es ist das erste Mal, dass ich zwischen Weihnachten und Neujahr weg bin. Keine Ahnung, wie es wird.
Sie haben Ihre Mutter in Ihrer frühen Kindheit, mit gerade elf Jahren, an Brustkrebs verloren. Was bereitet Ihnen heute mit 26 Jahren am meisten Mühe?
Wenn ich eine glückliche Familie sehe mit Kindern, die etwa elf Jahre alt sind. Es ist eine Zeit, in der die Kinder die Mutter so sehr brauchen, und ich hatte sie einfach nicht mehr.
Ihre Mutter war 26, als sie die Diagnose Brustkrebs bekam. Sie sind jetzt auch 26 Jahre alt.
Das bin ich. Es ist zwar nur eine Zahl, trotzdem ist es nicht einfach. Zu wissen, dass meine Mutter in diesem Alter krank wurde, holt mich schon manchmal ein.
Brustkrebs kann auch vererbbar sein. Wie oft gehen Sie zur Vorsorgeuntersuchung?
Sicher einmal im Jahr zum Gynäkologen und einmal zur Mammografie. Ich taste meine Brüste auch regelmässig ab, und wenn ich das Gefühl habe, es könnte etwas sein, gehe ich sofort zum Arzt.
Leben Sie mit der Angst, auch an Brustkrebs zu erkranken?
Nein. Meine Ärztin rät mir jedes Jahr zum Gentest. Ich lehne jedoch jedes Mal ab.
Wie trifft man so einen Entscheid?
Ich mache es für mich. Bei einem positiven Testergebnis würde ich wahrscheinlich durchdrehen und könnte nicht mehr klar denken. Ich würde in Angst leben. Das würde mich kaputt machen. Das will ich nicht. Ich will leben.
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