Inklusion im Freizeitsport: Ein Betroffener erzählt
Auch für Personen mit Gehbehinderung ist es möglich, Tandem-Gleitschirmflüge zu erleben. Michael Cipriani erzählt über seine Erfahrungen und verrät, welche Träume er noch hat.
Auch für Personen mit Gehbehinderung ist es möglich, Tandem-Gleitschirmflüge zu erleben. Michael Cipriani erzählt über seine Erfahrungen und verrät, welche Träume er noch hat.
von Chiara Schmed
«Angst beginnt im Kopf, Mut auch», lautet ein bekanntes Sprichwort. Es zeigt, dass unsere Gedanken beeinflussen, wie wir Herausforderungen begegnen. Während Angst oft lähmend wirkt, ist Mut der Schlüssel, um trotz Furcht zu handeln. Wer die Kontrolle über seinen Geist übernimmt und mutige Entscheidungen trifft, hat im Leben gewonnen. Genau so eine Person hat die «Büwo» getroffen. Sein Name lautet Michael Cipriani. «Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg», beginnt Michael Cipriani zu erzählen. «Das habe ich mir hinter die Ohren tätowiert», fügt er schmunzelnd hinzu und zieht sein Ohrläppchen nach vorne. Er dreht seinen Kopf zur Seite und zeigt die Stelle. Jedoch ist dort nur Haut und kein Tattoo zu sehen. «Das war ein Scherz», meint Michael Cipriani und lacht von ganzem Herzen.
Der Humor sei eines der einzigen Dinge, die seit seinem Unfall nicht kaputtgegangen wären. So oder so, das Sprichwort «Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg» nimmt er sich zu Herzen.
Willensstark trotz Schicksalsschlag
Doch nun von vorne. Michael Cipriani, der neben einem Cap auf dem Kopf auch immer ein Lachen im Gesicht trägt, erlitt 2019 einen schweren Unfall. Seit fünf Jahren ist er gehbehindert. Nach dem Unfall verbrachte der gelernte Autolackierer einige Monate in der Rehaklinik Valens, wo er sich zurück ins Leben gekämpft hatte. «Innerhalb von einem Jahr habe ich wieder laufen gelernt», berichtet der ursprüngliche Mastrilser stolz. Den gelernten Beruf als Autolackierer musste er dennoch aufgeben. Seinen Willen hat er jedoch nie verloren. Michael Cipriani lässt sich von seinem Schicksal nicht einschränken, er will weiterhin das Leben leben und Adrenalin spüren. Aus diesem Grund hat er sich an eine ganz spezielle Herausforderung gewagt.
Schwerelos und frei
«Am letzten August-Wochenende habe ich einen Tandem-Gleitschirmflug gemacht», berichtet Michael Cipriani. Es wird schnell klar, dass er Abenteuer und Risiko zugleich liebt. Doch wie es so schön heisst: «Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.» Und er hat gewonnen, die Erfahrung lief reibungslos ab. Dies aufgrund der vorsichtigen Planung sowie auch seiner Begleitung; eines Gleitschirmpiloten, der eine langjährige Erfahrung im Tandemfliegen vorweist. Auf diese Möglichkeit ist er durch den Bildungsklub Graubünden der «Pro Infirmis» gestossen. «Der Pilot verfügte über spezielle Ausrüstung, welche auf die Bedürfnisse von Menschen mit Gehbehinderung wie mich abgestimmt war», erklärt Michael Cipriani. Vor dem Flug wurde er detailliert über den Ablauf und die Sicherheitsvorkehrungen informiert. Die Betreuungspersonen und der Pilot sorgten dafür, dass er sich sicher und wohl fühlte.
«Meine Vorfreude war riesig», meint er strahlend. Der Start des Gleitschirms erfolgte in der Region Fronalpstock. Diesen Punkt erreichte Michael Cipriani mittels eines Transportbusses. Angst verspürte er während des ganzen Flugs keine. «In der Luft erlebte ich ein Gefühl der Schwerelosigkeit und Freiheit», berichtet er. Dies stellte für ihn eine neue Erfahrung dar.
Am liebsten direkt nochmal fliegen
Während des Fluges genoss er besonders die Aussicht. Das Wetter spielte zu seinem Glück mit. Neben ein paar wenigen Wolken strahlte die Sonne klar am blauen Himmel. «Am coolsten fand ich, dass ich von oben Häuser mit Pools und dem glasklaren blauen Wasser sah», berichtet Michael Cipriani verträumt. Er zückt sein Handy und öffnet die Fotogalerie. In Erinnerungen schwelgend tippt er ein Bild an und begutachtet dies eine Zeit. «Das war direkt nach dem Start», sagt er mit leiser Stimme und zeigt das Bild.
Auf diesem Foto ist ein junger Mann zu sehen, der über das ganze Gesicht strahlt. Er schwebt in der Luft, direkt neben einigen kreisenden Vögeln. «Ich hätte nie gedacht, dass ich trotz meiner Behinderung einmal fliegen kann», sagt er. Das Gefühl, keinen Boden unter den Füssen zu haben, dauerte ungefähr 20 Minuten. Danach wurde die Landung vorbereitet, die sanft erfolgte. Das Team vor Ort half Michael Cipriani, sicher aus dem Sitz zu steigen. «Ich wollte am liebsten direkt noch einmal fliegen», erzählt er mit glänzenden Augen. Michael Cipriani verdankt diese Erfahrung neben dem Bildungsklub Graubünden der «Pro Infirmis» auch sich selbst und seinem Mut.
Ein Tag für die Erinnerungen
«Eine solche Erfahrung hat nicht nur eine physische, sondern vor allem auch eine tiefgreifende emotionale Bedeutung», fügt Thomas Heer, Bereichsleiter Bildung und Begleitetes Wohnen der «Pro Infirmis Graubünden» hinzu. Er hat Michael Cipriani an diesem besonderen Tag begleitet. «Der Erfolg dieses Fluges zeigt, dass mit der richtigen Vorbereitung, Ausrüstung und einem engagierten Team auch Menschen mit Behinderung an Aktivitäten teilnehmen können, die auf den ersten Blick unerreichbar erscheinen», meint er weiter. «Es war eine erinnerungswürdige Erfahrung, die sowohl Michael als auch dem gesamten Team in lebhafter Erinnerung bleiben wird», ergänzt Thomas Heer.
Michael Cipriani ist ein perfektes Beispiel dafür, dass auch mit körperlicher Behinderung nichts unmöglich ist. Mit diesem Tandem-Gleitschirmflug zeigte er ein beeindruckendes Beispiel für Inklusion im Freizeitsport auf. «Ja, ich würde mich selbst als mutig bezeichnen», meint er mit überzeugter Stimme und einem Funkeln in den Augen. «Ich will es unbedingt wieder einmal machen», fügt er hinzu. Sein grösster Wunsch sei aber, einmal alleine fliegen zu können.
Über «Pro Infirmis»
«Pro Infirmis» führt in der ganzen Schweiz Beratungsstellen und unterstützt Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen. Mit ihren Dienstleistungen fördert «Pro Infirmis» seit gut einem Jahrhundert das selbstständige und selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen. Sie setzen sich dafür ein, dass Beeinträchtigte aktiv am sozialen Leben teilnehmen können und nicht benachteiligt werden. Dieses Ziel möchte die «Pro Infirmis» gemeinsam mit den Betroffenen erreichen.
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