Kilometerbolzen mit den Augen überall
Die DZ-Leser Lotti und Werni Bitterli berichten an dieser Stelle regelmässig von ihrer Reise von der kanadischen Ostküste aus quer und längs über den amerikanischen Kontinent. Die auf rund 15 Monate veranschlagte Tour soll sie schliesslich bis nach Feuerland führen. Dieses Mal geht es quer durch Kanada bis Alaska.
Die DZ-Leser Lotti und Werni Bitterli berichten an dieser Stelle regelmässig von ihrer Reise von der kanadischen Ostküste aus quer und längs über den amerikanischen Kontinent. Die auf rund 15 Monate veranschlagte Tour soll sie schliesslich bis nach Feuerland führen. Dieses Mal geht es quer durch Kanada bis Alaska.
Wir umrunden die Gaspésie Halbinsel in Quebec und müssen uns langsam an das Kauderwelsch, sprich Französisch, gewöhnen. Es ist schwierig, zu verstehen. Auch sonst haben sie in Quebec Eigenartiges, das internationale Stop-Signal heisst hier «Arrêt». Mit Bärenspray bewaffnet, wandern wir trotz Bärenwarnung zum vier Kilometer entfernten Leuchtturm von Forillon, weit und breit kein Meister Pelz, nur seine noch relativ frischen Hinterlassenschaften.
Monstertrucks und Monsterunfälle
Mit der Fähre überqueren wir in zwei Stunden den St. Lawrence River und wissen, jetzt fängt das Kilometerbolzen an. Wir haben das nächste Etappenziel vor Augen: Alaska wartet auf uns. Die ersten 2000 Kilometer durchfahren wir mit Chamäleonblick Wälder, Wälder und nochmals Wälder. Wir lassen immer schön die Augen zirkulieren. So haben wir die Schlaglöcher im Griff, oder einen Elch, der aus dem Gebüsch springt, und von «halte, luege, lose, laufe» noch nie etwas gehört hat. Leider sehen wir einige Unfälle: Elch gegen Monstertruck mit Monstergitter vor der Kühlerhaube, aber die Wucht der tonnenschweren Elche zertrümmert trotzdem den Motorblock, ein Weiterfahren ist unmöglich.
Endlich wird es wärmer, aber die Freude ist von kurzer Dauer. Die Moskitojagdsaison beginnt und unsere Mückentöter sind im Dauereinsatz. Dank dem guten Rat unseres Arztes haben wir moskitoresistente Kleidung dabei, die wir nun testen können, und siehe da, es klappt tatsächlich (fast). Wir sehen unseren ersten Bären und erwischen ihn gerade, wie er versucht, das Abfallkübelsystem zu überlisten. Doch er hat keine Chance, sie sind bärensicher gebaut.
Um Winnipeg wechselt nun die Landschaft, wir sehen nur noch Weite, Weite und nochmals Weite, wir sind für circa 2000 schnurgerade Kilometer wieder in der Prärie. Sie empfängt uns mit Sturmböen, die ungebremst über die Felder fegen und unserem «Autöli» heftige Ohrfeigen erteilen. So schaukeln wir durch die frisch bestellten Äcker, die weit am Horizont in die Wolken verschwinden. Abwechslung fürs Auge sind die riesigen Siloanlagen, in denen das Korn gelagert und von denen es anschliessend in Eisenbahnwagen umgefüllt wird. In Saskatchewan, Manitoba und Alberta wird auf den Feldern noch zusätzlich Öl gefördert. Es sind ziemlich neue Installationen und alles ist unterirdisch erschlossen. So wundert es nicht, dass Güterzüge mit bis zu 200 Wagen quer durch Kanada schleichen, beladen entweder mit Öl oder Getreide.
Die Geschichte wiederholt sich
Auf den Rastplätzen stehen immer wieder Informationstafeln. Darauf wird auch die Geschichte der Ukrainer erzählt, die im 18. Jahrhundert vor den Russen aus ihrer Heimat flüchteten und in diesem weiten Land mit Landwirtschaft ein neues Leben aufbauten. Im 21. Jahrhundert wiederholt sich diese Geschichte.
Ganz Kanada hat ein gut ausgebautes Schulbussystem, die gelben Busse holen in weiten Umkreisen die Kinder mit ihren Lunchboxen ab und bringen sie am Nachmittag wieder zurück. Unterwegs stehen irgendwo im «nowhere» die teils künstlerisch gestalteten Warte- und Schutzhäuschen für die Kinder an der Strasse.
Rund um Winnipeg ist die Heimat vieler Quäker und Mennonitenfamilien, die in ihren Glaubensgemeinden noch sehr traditionell leben. Wir begegnen auch «Amish People», die ihre Überzeugung wirklich noch sehr konservativ leben. Kleine schwarze, von zwei zierlichen Pferdchen gezogene Kistenkutschen, traben elegant inmitten des hektischen Verkehrs auf dem Highway daher. Unter dem Dach sitzen der schwarz angezogene Mann und die schwarz angezogene Frau mit schwarzem Haubenhut.
Die Rockys winken
Und dann … Endlich, welch eine Freude! Ganz weit weg, winken die ersten Bergspitzen der Rocky Mountains. Jetzt fängt es an, interessant zu werden. Ab Dawson Creek fahren wir nun – gemeinsam mit Tausenden überdimensionierten rollenden Einfamilienhäusern – auf dem legendären Alaska-Highway. Als die Japaner im zweiten Weltkrieg einige Inseln vor Alaska eroberten, stampften die Amerikaner ein Mammutprogramm auf die Beine. Innert neun Monaten kämpften sich 26 000 tapfere Männer mit den einfachsten Maschinen, Pickeln und Schaufeln durch Sümpfe, Flüsse und Berge. Es entstand eine fahrbare Piste mit ausgebauten Kurven und die Militärkolonnen hatten freie Bahn. Heutzutage ist nicht mehr vorstellbar, unter welchen Bedingungen diese Arbeiter lebten. Und heute? Perfekte Piste, praktisch keine Kurven mehr und wenn, ruft die Co-Pilotin: Achtung eine Biegung! Nach 1422 Meilen endet diese fantastische Strasse, die uns mit sehr vielen eindrücklichen Tierbegegnungen verwöhnt, in Delta Junction in Alaska. Bären, Elche, Stachelschweine, Mufflon-schafe, Deers (eine kleine Hirschart) zwei Jungluchse – sie haben sich mitten auf die Strasse gesetzt. Vor allem aber imponieren uns die Bisonherden, die trottend und vor sich hin schnaubend dem Highway entlang futtern. Ein grosses Problem entlang des Alaska-Highways ist das Sterben der kleinen Unternehmen. Zahlreiche Betriebe wie Tankstellen, Motels und kleine Restaurants fielen dem modernen Tourismus zum Opfer. Fast jeder bringt mittlerweile sein eigenes Bett mit und der Kühlschrank mit Tiefkühltruhe ist auch gefüllt. Wir gehören ja auch zu dieser Sorte und so fährt man an zahlreichen, in sich zerfallenen und schiefen Bruchbuden vorbei.
Waldbrände und Campingglück
Ein Riesenproblem für Kanada sind die Waldbrände. Über Hunderte von Kilometern sehen wir nur verbranntes Gebiet. Die verkohlten Birkenstämme stehen wie Mahnfinger gegen den Himmel in der Landschaft, ein trauriger Anblick. Wir müssen unsere Reiseroute ändern. Denn Strassen werden gesperrt und Dörfer evakuiert. Sogar der meist besuchte Nationalpark Alaskas, der Denali-Park bleibt geschlossen. So müssen wir schweren Herzens verzichten und beschliessen, die Kenai-Halbinsel abzuklappern, wo wir den Lachsfischern zuschauen.
Längst schon schwelgen wir im Campingglück, Europa kann von solchen Campingplätzen nur träumen. Da hier genügend Land zur Verfügung steht, wird einfach ein Ring in den Wald geschlagen, Abgänge herausgeholzt, ein stabiler Holztisch hingestellt und eine Feuerstelle montiert: Fertig ist die Chose. An die Holzhäuschen mit Plumpsklo im Walde gewöhnt man sich bald einmal. Den Nachbarn sieht man kaum, nur das Knistern des Feuers verrät, dass man nicht allein ist. Die meisten solcher Plätze werden in Kanada von den Provinzen und in den USA von den Staaten betrieben und sind mittlerweile technisiert. Das heisst «Online booking only». Das ist für teilweise netzlose Touristen nicht ganz einfach.
Grossartige Anblicke
Wir können uns fast nicht sattsehen an dieser Landschaft, es gibt nur noch Wow-Szenen: Täler mit wilden Flüssen; flache verzweigte Flussbetten; Wald, gespickt mit Tümpeln voller Wasserlilien; sattes Grün bis hin zu Schnee und Gletscher. Was will man mehr?
Wir besuchen Valdez, das 1989 eine fürchterliche Ölkatastrophe mit dem Tanker Exxon Valdez erlebte. Davon hat sich die Bucht bis heute noch nicht ganz erholt. Trotzdem boomt diese kleine Stadt, es sieht sogar fast so aus, als ob es dort mehr Wohnmobile als Häuser gibt. Mit dem Boot «Lulu Belle» fahren wir, begleitet von putzigen Seeottern, für sechs Stunden durch den Prinz-William-Sund bis zum Columbia-Eisfeld. Der fitte 80-jährige Kapitän steuert das Schiff gekonnt durch das Treibeis. Aber auch hier in Alaska werden die Gletscher kleiner. Dieser hier zog sich in den letzten 40 Jahren um unglaubliche 21 Kilometer zurück.
Mit viel Nebel und Regen verabschieden wir uns von Valdez und nehmen die nächsten Highlights in Angriff. Es geht in Richtung des Goldgräberlandes Yukon.
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