Wie ein aufstrebendes Ennenda in nur einem Jahr seine Kirche gebaut hat
2024 kann Ennenda das 250-Jahr-Jubiläum seiner Kirche feiern. Ihr Bau ist Ausdruck einer wirtschaftlichen Blüte des Dorfes und des Wunsches nach mehr Eigenständigkeit.
2024 kann Ennenda das 250-Jahr-Jubiläum seiner Kirche feiern. Ihr Bau ist Ausdruck einer wirtschaftlichen Blüte des Dorfes und des Wunsches nach mehr Eigenständigkeit.
von Hans Thomann
In Ennenda herrscht zwischen 1750 und 1800 Aufbruchstimmung. Ennendaner Familien sind dank internationalem Handel vermögend geworden. Und so hat das Dorf in dieser Zeit ins Auge gefasst, auch kirchlich selbstständig zu werden und sich von Glarus zu lösen. In der herrschenden Aufbruchstimmung konnte Ennenda 1774 seine eigene evangelisch-reformierte Kirche bauen. So kann die Kirchgemeinde nächstes Jahr das 250-Jahr-Jubiläum feiern.
Der Plan, sich wie die anderen Glarner Dörfer von der Muttergemeinde loszulösen, muss sich im Herbst 1773 konkretisiert haben. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts war angesichts des Bevölkerungswachstums und des immer wieder witterungsbedingt beschwerlichen Kirchgangs nach Glarus der Wunsch gekeimt, diesseits der Linth eine Kirche zu errichten. Um die Mitte des Jahrhunderts sammelte man Geld für den Kirchenbau.
Doch trotz des aufkeimenden Souveränitätsgedankens auf nationaler und kantonaler Ebene und trotz wirtschaftlicher Erfolge der Glarner Handelsherren europaweit – was sich auch an den etwas später entstandenen Handelshäusern im Ennendaner Mitteldorf ablesen lässt – hatten Geldsammlungen bei Wohlhabenden noch nicht so richtig Erfolg.
Es bedurfte nach einer überstandenen Teuerungswelle einer Initiative der jüngeren Generation, die Pläne des Kirchenbaus wieder aufzunehmen. Der feste Glaube an eine gute Zukunft und die Gewissheit, dass man gemeinsam im Dorf etwas zustande bringen kann, mögen zu jener Zeit der innere Antrieb für die neuen Kräfte gewesen sein.
Es war dann aber ein äusseres Ereignis, das dem stillen Plan zum Durchbruch verhelfen sollte. Am Weihnachtstag 1773, also vor eben 250 Jahren, empfing nach dem Festgottesdienst in Glarus die Kirchgängerinnen und Kirchgänger auf dem Kirchweg in Glarus und Ennenda – damals noch über die offene Allmend – ein «entsetzlicher Sturmwind». Im alten Bericht heisst es denn auch: «Da fühlte jedermann, wie bequem, wie angenehm und vorteilhaft es bei solchen Umständen sein würde, wenn man eine eigene Kirche in der Nähe besuchen könnte.»
Weniger als ein Jahr Bauzeit
Die eigentliche Entstehungs- und Baugeschichte nimmt in den Annalen nur wenig Platz ein. Es wurde nur ein knappes Jahr (1774) gebraucht vom Einrichten des Bauplatzes im Mitteldorf bis zur Kirchweihe: Am 25. März wurde der Grundstein gelegt, am 24. August der Turmhelm aufgesetzt, am Samstag, 11. Oktober, wurden die Glocken des ersten Geläuts aufgezogen und am 22. November die Kanzel installiert.
Am Sonntag, 30. November 1774, feierte Ennenda die Kirchweihe, bei welcher der Pfarrer der Mutterpfarrei Glarus, Johann Jacob Tschudi, die Predigt hielt. Am Sonntag, 14. Dezember, absolvierte der im Vormonat gewählte erste Pfarrer Johannes Marti seine Antrittspredigt. Bilder vom Kirchenbau sind in den Archiven keine zu finden.
Die Frage nach der Motivation
Seit der Jahrhundertmitte hatten sich die Verhältnisse verändert. Vor allem dank der durch die «kluge auswärtige Handlung und gute Haushaltung» in Ennenda angesammelten bedeutenden Privatvermögen flossen tatsächlich ungleich grössere freiwillige Beiträge als noch bei der ersten Sammlung 1745, wie Pfarrer Gottfried Heer in einem Büchlein erklärte. Und «so konnten sich die Bewohner des Fleckens Ennenda dazu entschliessen, einen Theil des ihnen von der Vorsehung bescherten Segens dem Herrn zu huldigen, zur Ehre Gottes und der Religion und zur eigenen mehrern Erbauung (…), und eine eigene Kirche nahe an ihren Häusern zu erbauen».
Nebst dieser von Pfarrer Gottfried Heer festgehaltenen finanziellen Betrachtungsweise muss es aber klar noch weitere Motivationen gegeben haben, sich von der Mutterkirche Glarus zu trennen und eine eigene Seelsorge zu stiften. Es mag der bereits angesprochene Souveränitätsgedanke – diesmal auf Gemeindeebene – gewesen sein, dazu ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl nicht zuletzt der Jugend gegenüber, bei dem in geradezu vorherseherischer Art die Sorge um die Bildung des Nachwuchses mitschwang.
Von der Nützlichkeit einer guten Schulbildung
Bereits zehn Jahre nach dem Kirchenbau beschloss Ennenda, eine eigene Schule zu eröffnen, wobei als Erstes die Notwendigkeit und Nützlichkeit einer guten Beschulung und Erziehung ins Feld geführt wurden. Zudem wollte man dem Beispiel «aller gesitteten Völker» und dem Beispiel anderer Gemeinden aus «Rücksicht auf die Vermehrung des Volkes und die Ausbreitung des Handels» folgen. Anlass zur Selbstständigkeit gab auch «die Entlegenheit von der Schule in Glarus und damit verbunden die Nachlässigkeit vieler Eltern, die Kinder in die Schule zu schicken». Nicht unwesentlich war auch «der glückliche Umstand, dass sich die Gemeinde vom Kirchen- und Pfarrhausneubau finanziell rasch erholt hatte». Bereits 1785 wurde eine freiwillige Schulsteuer beschlossen, die alsdann reichlich floss.
Am 1. Dezember 1787 eröffnete Ennenda im neuen Pfarrhaus – im heute noch bestehenden Unterrichtszimmer – mit 50 Kindern den Schulbetrieb mit je fünf Lektionen, für die einen am Vormittag und die andern am Nachmittag. Nach 40 Jahren war dann die Schülerzahl auf 100 angestiegen, sodass es ab 1829 zum Bau eines zweigeschossigen Gemeinde- und Schulhauses kam. Eingeweiht wurde es 1832, fünf Jahre vor dem kantonalen Schulgesetz mit Schulpflicht für Kinder bis zum erfüllten zwölften Altersjahr. Zwei Lehrer unterrichteten 135 Schülerinnen und Schüler. Die Schulentwicklung nahm ihren Lauf.
Keine Bilder, dafür ein ausführliches Kirchenbuch
So bedauerlich es ist, dass vom Kirchenbau kaum Zeichnungen oder Illustrationen vorhanden sind, umso wertvoller sind die detaillierten Aufzeichnungen des ersten Ennendaner Pfarrers Johannes Marti. Im Kirchenbuch hielt er in vier Teilen die Baugeschichte, den politischen Vorgang der Trennung von der Mutterkirche, die Liste der freiwilligen Gaben und Steuern sowie die Auflistung der Kirchgenossen und Stifter fest.
Gerade dieses vierte und letzte Buch legt Zeugnis ab vom ungeteilten Engagement für dieses Gemeinschaftswerk: Die beteiligten Kirchgenossen und Stifter sind alphabetisch nach den Geschlechtern aufgeführt, von Äbli und Altmann über Becker, Dürst, Freuler, Hösli und Jenny bis hin zu Örtli, Trümpy und Vögeli, um einige Namen aus der rund 20 Seiten umfassenden Namensliste zu benennen. Sie alle und viele mehr trugen zum «anständigen Bau» bei und belebten fortan als zukunftsfreudige Gemeinde das Gotteshaus.
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Bereits Abonnent? Dann schnell einloggen.