×

Die progressive SVP

Kolumnist Frédéric Zwicker spielt im Appenzellerland mit dem Gedanken, ein Konservativer zu werden.

Linth-Zeitung
26.11.18 - 18:05 Uhr
Politik
ARCHIVBILD

Ich muss das hier gerade von Hand schreiben und hoffen, dass mein Reisetablet zu Hause anspringen wird, damit ich es abtippen und senden kann. Ich habe heute Morgen wieder einmal ein Gläschen Wasser über einem Laptop ausgeleert. In meinem bisherigen Leben habe ich drei Laptops besessen. Zwei von ihnen sind ertrunken. Der erste und der dritte. Nur der zweite starb eines natürlichen Todes. Da funktionierte eines Tages der Bildschirm nicht mehr.

Eigentlich passt das aber eben ganz gut, dass mein Laptop nach sechs Jahren ausgerechnet jetzt den Geist aufgegeben hat. Denn in den vergangenen elf Tagen habe ich ohnehin in der Vergangenheit geschwelgt.
Da war einerseits die Umgebung. Ich war wieder im Appenzeller Bauernhaus. Ein paar Meisen im Garten, Mäusebussarde und Milane in der Luft und weiter entfernt einige Kuhglocken als einzige Klangtupfer in absoluter Stille. Holz hacken, im Kachelofen Feuer machen, und wenn ich einkaufen ging, musste ich zu Fuss eine gute halbe Stunde ins Dorf hinunter, an Kühen, Ziegen, Pferden und Hunden vorbei, und später wieder aufsteigen. Auch dem Internet entsagte ich weitestgehend und arbeitete elf Tage durch. Ein bisschen Alphorn geblasen habe ich sogar auch. Im Haus ist eines aufgehängt.

Diese ursprüngliche, ländliche Schweiz, die hat ja schon sehr viel für sich. Die zerstreuten Bauernhäuser inmitten grüner Wiesen, die frische Luft, und dass die Sonne trotz Hochnebels immer mal wieder lacht. Ein bisschen wie das SVP-Logo sieht es dort oben aus. Und wenn ich dort bin, spiele ich tatsächlich immer mit dem Gedanken, ein Konservativer zu werden. Das ist wohl so eine Art Gruppendruck.

Zuerst hat auch die Politik gut mitgespielt. Der Abstimmungskampf war nach dem Geschmack eines Konservativen, nämlich wie früher, als ich noch im Kindergarten war. Da haben Befürworter der Selbstbestimmungsinitiative im Parlament immer dieselben Fragen wiederholt, und die Gegner haben angefangen, sie zu ignorieren, wie es unsere Eltern uns ja auch geraten haben, als wir noch in der Schule waren und von den Gspänli gehänselt wurden. Es ging auch nach der Auszählung zuerst gut weiter. «Immer sind alle gegen uns», haben die Verlierer gesagt, gerade so, als ginge es den anderen nicht um die Sache, sondern als würden sie sie hänseln, weil sie dick sind oder eine Brille tragen. Aber dann passierte es. Hans-Ueli Vogt stellte sich den Fragen der Medien und sagte, wahrscheinlich habe man die Initiative zu früh lanciert.

Inzwischen bin ich wieder zu Hause und rücke langsam vom konservativen Gedankengut ab. Gerade noch rechtzeitig, wie es scheint. Denn die konservative SVP hat sich verändert. Jetzt denke ich umso mehr, sie könnte eine Partei sein, die ich in Zukunft unterstützen will. Denn wenn ein homosexueller SVP-Nationalrat sagt, die Partei sei jetzt eine politische Kraft, die der Zeit voraus ist, dann ist das doch äusserst progressiv!

Kontaktieren Sie unseren Autor zum Thema: redaktion@linthzeitung.ch

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Politik MEHR