Bonaduzerin und die Magie der Märchen: Ein Adventskalender, der zum Eintauchen einlädt

Von Andri Dürst

In der Natur fühlt sich Gabriela Hänzi wohl. Das wird schnell klar, wenn man die pensionierte Lehrerin kennenlernt. Hier findet sie Kraft und tankt Energie. Doch sie hat noch eine zweite Welt, in die sie so richtig eintauchen kann: Märchen. Wer jetzt denkt, dass nun ein Text über die schrecklichsten Ergüsse der Brüder Grimm folgt, irrt: Denn die Welt der Märchen ist viel grösser. Doch von vorne.

Ein Märchen fix im Stundenplan 

Gabriela Hänzi erzählt, dass sie als Mädchen schon mit Märchenerzählungen aufgewachsen sei – ihre Mutter habe ihr die Geschichten jeweils vorgelesen. «Als ich selber Mutter wurde, habe ich auch meinen Kindern Märchen erzählt», blickt sie zurück. Und nun kämen auch die Enkelkinder in den Genuss ihrer Erzählungen. Auch als Primarlehrerin – sie unterrichtete die erste und zweite Klasse – habe sie im Wochenplan fix ein Märchen eingeplant gehabt. «Die Schülerinnen und Schüler waren dann jeweils mucksmäuschenstill und lauschten gebannt den Erzählungen», erinnert sie sich. Ein Zufall wollte es, dass sie 2010 auf die Ausbildung als Märchenerzählerin aufmerksam wurde. «Der Lehrgang dauerte zwei Jahre.

Ich absolvierte ihn parallel zu meiner Lehrerinnentätigkeit. Es war zwar eine strenge Zeit, doch die Ausbildungswochenenden, die etwa alle zwei Monate stattfanden, beseelten mich richtiggehend.» In der Ausbildung habe sie sehr viel über Märchen gelernt – und gemerkt, dass die Grimm’schen Geschichten nur ein kleiner Teil einer weltweiten Sammlung sind. «Oft existieren zum selben Thema ähnliche Märchen aus verschiedenen Regionen», ergänzt Gabriela Hänzi. So weise zum Beispiel das schweizerische «Hans Öfeli-Chächeli» viele Parallelen zum deutschen «Rumpelstilzchen» auf. 

Jeder Mensch hat seine eigene Fantasie

In der Ausbildung erfuhr die Bündnerin auch viel über die verschiedenen Genres, über soziale, psychologische und gesellschaftliche Aspekte von Märchen sowie über Erzählweisen. Sie begann bereits während der Ausbildung, Märchenabende für Erwachsene zu veranstalten. Im Rahmen ihrer Ausbildung erzählte sie manchmal alleine, manchmal zusammen mit Kolleginnen. «Nicht nur Kinder, auch Erwachsene hören den Märchen jeweils sehr aufmerksam zu.» Denn diese Geschichten seien es, mit denen man seine ganz eigene Fantasiewelt erschaffen könne. 

Dass diese Welten sehr unterschiedlich sein können, zeigt sich in einem Experiment, das die Märchenliebhaberin einst in der Schule durchführte: «Ich erzählte der Klasse die Geschichte vom Bergkönig. Anschliessend bat ich alle, mir ein Bild davon zu zeichnen. Am Schluss hatten wir rund 20 ganz verschiedene Zeichnungen vor uns liegen. Dies zeigt: Jede und jeder erschafft seine eigene Welt, weil sie oder er einzigartig ist.» Es sei sehr wichtig, dass man sich selbst finde, meint Gabriela Hänzi. Und in diesem Prozess seien die Märchen ein gutes Mittel, so ihre Ansicht.

Damit ist sie auch nicht alleine. Verschiedene Ergebnisse aus der Hirnforschung untermauern diese These. Der bekannte deutsche Neurobiologe Gerald Hüther meinte beispielsweise mal: «Stellen Sie sich vor, es gäbe ein Zaubermittel, das Ihr Kind still sitzen und aufmerksam zuhören lässt, das gleichzeitig seine Fantasie beflügelt und seinen Sprachschatz erweitert, das es darüber hinaus auch noch befähigt, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und deren Gefühle zu teilen, das gleichzeitig auch noch sein Vertrauen stärkt und es mit Mut und Zuversicht in die Zukunft schauen lässt. Dieses unbezahlbare Zaubermittel sind die Märchen, die wir unseren Kindern erzählen oder vorlesen. Märchenstunden sind die höchste Form des Unterrichtens.» 

Wie erreicht man die Kinder von heute?

Damit dieses Zaubermittel weiterhin als wertvolles Instrument für die ganzheitliche Entwicklung der Kinder wirken könne, dafür setzt sich Gabriela Hänzi ein – «damit dieses wertvolle Kulturgut nicht verloren geht.» Sie überlegte sich: Was kann ich tun, um die Kinder zu erreichen? «Mir kam die Idee eines Märchen-Adventskalenders. Meine Kinder und mein Partner bestärkten mich in dieser Idee und rieten mir, auch eine Kombination mit moderner Technik zu wagen.» Und so entstand letztes Jahr der erste Adventskalender. Die Märchenerzählerin las dafür 25 Geschichten ein, die alle über einen QR-Code abrufbar sind. «Der Kalender fand guten Anklang. Und so beschloss ich, dieses Jahr wieder ein solches Angebot bereitzustellen.» Das Produkt besteht aus einem gefalteten, hochwertigen A3-Papier. Alle so entstandenen vier Seiten wurden von Gabriela Hänzi mit viel Liebe gezeichnet. Nach dem Deckblatt sieht man den eigentlichen Kalender, wo die QR-Codes ersichtlich sind. Auf der dritten Seite listete sie alle Geschichten auf. Nebst der Nennung des Titels sind auch die Herkunft und die Länge der Aufnahme erwähnt. Und auf der hintersten Seite finden die Hörerinnen und Hörer Platz, ihrer eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen. 

Bei der Auswahl der Märchen habe sie auf eine breite Vielfalt geachtet. «Es ist auch mal etwas Ernstes, aber auch mal etwas Lustiges dabei.» Total gibt es drei Stunden Märchen zu hören. «Die Titel kann man auch alle herunterladen, um sie immer mal wieder anzuhören», fügt die Märchenerzählerin an. Dieser besondere Adventskalender bereitet also auch nach der Weihnachtszeit noch Freude. Denn wer mal in die Fantasiewelt «entführt» wurde, möchte immer wieder dorthin.

Gabriela Hänzi organisiert einen Märchenabend am Freitag, 22. November, um 20 Uhr, im Kirchgemeindehaus Bonaduz (Unkostenbeitrag). 
Anmeldungen sind erforderlich unter Telefon 079 528 60 44 oder an yajemalu@gmx.ch. 
Über diesen Kontakt kann man auch den Märchen-Adventskalender bestellen.