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Nachhaltigkeit am Berg: «Tropfen um Tropfen füllt auch einen See»

Ein Gespräch mit Marina Morgenthaler, der Präsidentin des Bergflohmarkts Chur, über das Denken am Berg

Bündner Woche
19.04.24 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Rückblick auf den letzten Bergflohmarkt: Der Verkauf ist in vollem Gange.
Rückblick auf den letzten Bergflohmarkt: Der Verkauf ist in vollem Gange.
Yanik Bürkli

von Jasmin Klucker

Daunenjacken soweit das Auge reicht. Man sieht sie überall am Berg, sie gehören einfach irgendwie dazu. Damit einher gehen auch die unzähligen Flicken, die man auf den Daunenjacken sehen kann. Jeder einzelne erzählt eine andere Geschichte. «Ich weiss genau, wo das Loch in meiner Daunenjacke entstanden ist», sagt Marina Morgenthaler mit einem breiten Grinsen. Man kann sich irgendwie einfach nicht davon trennen. Man möchte mit der Jacke noch viele neue Dinge erleben und so eine noch grössere Geschichte schreiben. Dieser Gedanke ist nachhaltig. Geschichten und Nachhaltigkeit haben Gemeinsamkeiten. Umso schöner ist es, wenn auf dem Bergflohmarkt in Chur, der einmal im Jahr stattfindet, die Teile ihren Besitzer oder ihre Besitzerin wechseln. Und damit dem neuen Menschen die Möglichkeit geben, auch solche Geschichten zu schreiben.


Bewusster kaufen

Nachhaltigkeit hat am Berg an Bedeutung gewonnen. Dutzende Sportmarken setzen auf nachhaltige Materialien und möchten sicherstellen, dass der Mensch auch in Zukunft seine Sportarten in der Natur ausüben kann. Zur Nachhaltigkeit am Berg gehören Materialien, die langlebig sind und die extremen Situationen standhalten. Dank dieser Eigenschaft ist es auch möglich, die Teile in einem guten Zustand weiterzuverkaufen. Auf dem Bergflohmarkt in Chur haben alle die Möglichkeit, Dinge zu verkaufen – sei es an einem eigenen Stand, der schneller gefüllt ist, als man denkt, wie Marina Morgenthaler sagt. Oder aber man überlässt seine Teile dem Verein Bergflohmarkt, der sie dann verkauft. So können alle ihre Keller aufräumen und Platz für neue Dinge schaffen. Überlegungen, Teile zu besitzen, die für mehrere Sportarten geeignet sind, tragen zudem dazu bei, weniger zu besitzen und somit auch nachhaltiger zu leben. Der Bergflohmarkt ist nicht nur perfekt, um Dinge zu verkaufen, sondern dient auch als Vernetzungsplattform und ermöglicht neue Kontakte, mit denen man dann eventuell gemeinsam am Berg Geschichten schreiben kann.

Marina Morgenthaler ist am liebsten jede freie Minute in den Bergen.
Marina Morgenthaler ist am liebsten jede freie Minute in den Bergen.
Yanik Bürkli

Frau Morgenthaler, beschreiben Sie sich in wenigen Worten. 

Ich heisse Marina Morgenthaler und bin unter anderem Co-Präsidentin des Bergflohmarkts Chur. Erst vor Kurzem haben wir einen Verein mit vier Personen gegründet. Zusammen organisieren wir einmal im Jahr den Bergflohmarkt, der jeweils im Oktober stattfindet. In meiner Freizeit bin ich oft in den Bergen unterwegs, sei es mit den Tourenski, beim Trailrunning, an der Kletterwand oder auf Hochtouren. Hauptsache, ich verbringe eine gute Zeit mit guten Menschen. Wenn dann noch ein Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang dazukommt, ist das Paket perfekt.

Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit am Berg und privat?

Für mich ist Nachhaltigkeit in den Bergen oder im privaten Bereich ein sehr weitreichendes Thema. Jede und jeder interpretiert es ein wenig anders. 

Wenn ich in meinen eigenen Keller gehe und sehe, was dort alles steht, aufgrund der verschiedenen Sportarten, die ich betreibe, wird mir bewusst, dass es Dinge gibt, die ich nicht mehr benötige, aber nicht einfach wegwerfen möchte. Daher ist es umso schöner, diese Dinge zu verkaufen und anderen Menschen damit Freude zu bereiten. Es ist erfreulich zu beobachten, wie durch diese Gelegenheit Menschen Zugang zu Sportarten erhalten können, die sie sich sonst vielleicht nicht leisten können oder wollen. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit auch, dass andere wieder Freude an diesen Dingen haben können. Man kann Sportarten auf nachhaltige und weniger nachhaltige Weise betreiben, es hängt immer von einem selbst ab. Es sind die kleinen Dinge, die Grosses bewirken können. Zum Beispiel, wenn man zum Klettern geht oder andere Aktivitäten unternimmt, kann man anstelle einer PET-Flasche seine eigene Flasche mitbringen und an einem Brunnen wieder auffüllen. Nachhaltigkeit ist etwas, das jeder für sich selbst definieren muss. Man muss verstehen, welchen Wert es für einen hat. Es nützt nichts, wenn man es anderen aufzwingt; es muss von einem selbst kommen. Nur dann ist es nachhaltig. Und auch Tropfen um Tropfen füllen letztendlich einen See.

Wieso braucht es Ihrer Meinung nach einen Bergflohmarkt?

Ich sehe, wie viel Material sowohl ich als auch mein Umfeld zu Hause haben – oder jetzt eben nicht mehr haben. Wir haben bereits zwei Veranstaltungen organisiert. Bei der ersten Veranstaltung habe ich mit drei anderen Personen selbst einen Stand betreut, wir hatten extrem viel Material, das wir verkaufen konnten, und das zu sehr guten Preisen. Der Aufwand, Dinge im Internet zu verkaufen, ist für viele Menschen zu gross. Sie schätzen es, das Material persönlich verkaufen zu können und zu wissen, wohin ihre Sachen kommen und wie sie weiterverwendet werden. Der Austausch mit anderen Gleichgesinnten macht das Ganze noch schöner.

Was hat sich in letzter Zeit am meisten im Thema Nachhaltigkeit am Berg verändert?

Ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei jedem Einzelnen wächst, und es scheint, als würden auch immer mehr Marken dieses Thema aufgreifen. Allein in Graubünden gibt es unzählige nachhaltige und faire Marken wie Muntagnard oder Rotauf. Ich habe das Gefühl, dass Menschen, die in die Berge gehen, bereit sind, mehr für qualitativ hochwertiges Material zu bezahlen. Es geht weniger um den Konsum von vielen Dingen, sondern vielmehr um das Motto «Weniger ist mehr», verbunden mit dem Fokus auf Qualität. Es ist auch akzeptiert, eine Jacke zu reparieren, anstatt sie sofort wegzuwerfen. Ich denke, es hat einen grossen Wandel im Denken der Menschen gegeben, was mich sehr freut. 

Wie entstand die Idee, einen Bergflohmarkt zu veranstalten?

Das war die Idee von Andy Roth, dem Co-Präsidenten des Bergflohmarkt Chur. Nachdem er in einem Magazin von einem ähnlichen Event gelesen hatte, stellte er sich die Frage: Warum machen wir das nicht in Chur? Viele Leute fanden die Idee gut, also plante er zusammen mit seiner Frau die Organisation. Wir trafen uns an einem Abend in der Kletterhalle. Da wir uns bereits kannten und ich aus dem Eventbereich komme, stellte er mir viele Fragen wie «Wie machst du dies oder das?». Daraus entstand die Frage, ob ich nicht auch mitmachen möchte. Es war schnell klar, dass das meine Welt ist, da ich die Berge liebe. So ergab sich alles. Jetzt sind wir zu viert und organisieren dies ehrenamtlich neben unserem Beruf. Bis jetzt hatten wir zwei sehr erfolgreiche Veranstaltungen, die zeigen, wie beliebt diese Art von Flohmarkt ist.

Welche Menschen kommen an den Bergflohmarkt?

Von Jung bis Alt ist alles vertreten, sowohl Personen, die einen eigenen Stand haben, als auch «Resellerinnen und Reseller.» Letztes Jahr haben uns 60 Personen ihre Artikel überlassen, und wir haben insgesamt 400 Produkte verkauft. Darüber hinaus arbeiten wir mit verschiedenen Unternehmen zusammen, darunter jetzt auch mit «Go Vertical», die uns tatkräftig unterstützen, da ihnen Nachhaltigkeit sehr am Herzen liegt. Sie haben Tourenskis aus dem Verleih zu einem ausgezeichneten Preis verkauft. Ausserdem haben wir andere Partnerinnen und Partner, die Upcycling betreiben. Jung und Alt finden am Bergflohmarkt etwas Passendes. Beim letzten Mal habe ich von einem 86-jährigen Bergführer eine Daunenjacke ergattert, die sicherlich schon 40 Jahre alt ist. Es ist einfach toll, dass die Jacke eine so lange Geschichte hat, und ich sie nun weitertragen darf. 

 Nächster Bergflohmarkt: 18. und 19. Oktober im Titthof Chur / https://bergflohmarkt.ch/

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