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Bauarbeiten bei der Mühle in Grüsch: Vorbildbau in Sachen nachhaltiges Bauen

Aus der Mühle Grüsch entstehen Wohnungen – momentan ist der Rückbau des Turms im Gange, ein Blick darauf lohnt sich

Bündner Woche
31.01.24 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Abbauarbeiten von Anfang Dezember: Der Turm wird bald wieder aufgebaut und es entstehen 57 neue Wohnungen.
Abbauarbeiten von Anfang Dezember: Der Turm wird bald wieder aufgebaut und es entstehen 57 neue Wohnungen.
Bild Olivia Aebli-Item

von Laura Kessler

Baustaub aus dem Garten zu schaufeln, das tut niemand gerne. Auch die Kinder auf dem Schulweg an einer Baustelle vorbeigehen zu lassen, wo mit schwerem Gerät abgerissen wird, dürfte nicht im Sinne der Eltern sein. Doch mit solchen Szenarien sieht sich die Gutgrün AG, Bauherrin der Mühle Grüsch, konfrontiert. Theoretisch. «Praktisch aber haben wir schon drei Monate vor Beginn des Rückbaus die Bevölkerung von Grüsch informiert und sind Rede und Antwort gestanden, wie genau solche Szenarien verhindert werden», sagt Karl-Heinz Schönyan, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Bündner Gutgrün AG. Mit Erfolg, Einsprachen folgten keine. Der Dialog mit der Bevölkerung ist zentral, neben vielen anderen sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten. Denn das Grüscher Bauprojekt wird von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifiziert. Ein Zertifikat mit Verpflichtung, aus dem ein Projekt mit Vorbildcharakter resultieren soll.

Eine DGNB-Zertifizierung für das Bauprojekt

Seit dem 1. Dezember 2023 wird der alte Mühleturm in Grüsch rückgebaut. Er wird auf elf Etagen 37 Wohnungen beheimaten. Das alte Hauptgebäude der Mühle bleibt erhalten und wird neu ausgebaut. Auf vier Etagen entstehen hier 15 Loftwohnungen. Alle sind nach dem DGNB-Standard gebaut. «Die DGNB ist europaweit führend und wir sind die ersten, die sich ganzheitlich einer solchen Qualitätssicherung unterziehen», so Karl-Heinz Schönyan. Besonders der Rückbau ist hier nennenswert, denn er ist schweizweit der erste mit DGNB-Zertifizierung.

Widmen wir uns also diesem. Seit dem 1. Dezember wird der Siloturm abgerissen. Auch wenn es vordergründig so scheint, als ob der Abriss gleich vonstattengeht wie jeder andere auch, steckt hintergründig einiges mehr dahinter. Der Rückbau erfolgt nämlich nach zwölf Kriterien, die den drei Pfeilern der Nachhaltigkeit folgen: ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten. Während zu den sozialen Kriterien konkret zum Beispiel Gespräche mit der Nachbarschaft und Aspekte der Arbeitssicherheit gehören, sind es bei den ökologischen Punkten beispielsweise der Umgang mit Baustoffen. «Wir sind verpflichtet, eine eine Materialstrombilanz mit Optimierungsziel zu ziehen», erklärt Karl-Heinz Schönyan. Sprich, es muss entschieden und argumentiert werden, was mit den rückgebauten Baustoffen geschieht. «Die mineralischen Baustoffe wie Beton, Zement und Backstein werden zu 100 Prozent im Neubau wiederverwendet. Die nicht-mineralischen wie Holz, Eisen und Kunststoffe zu 90 Prozent. Uns hat die Zertifizierung gezwungen, die Verwendung der nicht-mineralischen Substanzen nochmals zu hinterfragen. Das macht man nur, wenn man Rechenschaft ablegen muss. Hier sehe ich den grossen Unterschied zu einem Bauprojekt ohne Zertifizierung», so der Nachhaltigkeitsbeauftragte.

Links: Ehemals: 1939 wurden der Turm (das Getreidesilo) und das Hauptgebäude der Mühle in Grüsch erbaut. | Bild zVg
Rechts: Zukünftig: 57 Wohnungen entstehen. Bezug ist im Frühling 2026. | Visualisierung Ritter Schumacher AG

Auch muss Rechenschaft abgelegt werden, warum der Mühleturm überhaupt rückgebaut und nicht saniert wird. Hier wurden acht Kriterien bewertet, zum Beispiel die statische Verwendbarkeit, die Barrierefreiheit oder auch der Brandschutz. Beim Turm sprachen mehr Punkte für einen Rückbau. Es sei kein Bauchentscheid gewesen, betont Karl-Heinz Schönyan.

Gesellschaftliches Bedürfnis nach Nachhaltigkeit

Warum entschied sich die Grüngut AG für dieses umweltbewusste Projekt und den damit verbundenen Aufwand? «Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Nachhaltigkeit ist gross – und zwar nicht nur, dass etwas im Zeichen der Nachhaltigkeit getan wird, sondern auch, dass es transparent ist», so der Spezialist. Deshalb ist beim Projekt nicht nur die Qualitätssicherung während des Rück-, Um- und Neubaus zentral, sondern auch die Berichterstattung. Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt in der Schweiz die Offenlegungspflicht für klimarelevante Faktoren. Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden müssen Massnahmen und Aspekte einer nachhaltigen Unternehmenskultur in ihren Geschäftsberichten offenlegen. Für das Grüscher Projekt wäre die Berichterstattung noch keine Pflicht. Für die Gutgrün AG sei es aber eine Selbstverständlichkeit, hinsichtlich Qualität und Berichterstattung, der Zeit voraus zu sein. Karl-Heinz Schönyan ist überzeugt, dass diese Art des Bauens zukunftsfähig und gesellschaftlich gewünscht ist und der Bau in Grüsch deshalb Vorbildcharakter hat. «Wir wünschen uns, dass andere nachziehen.» Und so das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet wird. Vom Backstein bis zur Wandfarbe, vom nicht-vorhandenen Baustaub im Garten bis zur sauberen Raumluft in der Wohnung.

Karl-Heinz Schönyan: «Die mineralischen Baustoffe wie Beton, Zement und Backstein werden zu 100 Prozent im Neubau wiederverwendet. Die nicht-mineralischen wie Holz, Eisen und Kunststoffe zu 90 Prozent.»
Karl-Heinz Schönyan: «Die mineralischen Baustoffe wie Beton, Zement und Backstein werden zu 100 Prozent im Neubau wiederverwendet. Die nicht-mineralischen wie Holz, Eisen und Kunststoffe zu 90 Prozent.»
Bild zVg

Weitere Informationen:
www.muehlegruesch.ch
www.gutgruen.ch

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