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Analoge Fotografie : Diese Kunst entsteht im Dunkeln

Dunkelkammer, Abzüge und viel Leidenschaft: Im Lab des Vereins Grain Circle Chur wird analoge Fotografie entwickelt. Die Büwo durfte einem Mitglied über die Schulter schauen.

Bündner Woche
09.06.24 - 06:30 Uhr
Leben & Freizeit
Das Bild wird nun in flüssiger Chemikalie versiegelt.
Jasmin Klucker

von Jasmin Klucker 

Abtauchen in eine andere Welt. In diesem Fall in das Lab des Vereins Grain Circle an der Bahnhofstrasse 8 in Chur. Zwischen unzähligen Kellerabteilen sieht man von Weitem eine Tür. Hinter dieser entstehen Kunst, Projekte, Freundschaften und Austausch zwischen gleichgesinnten Menschen. Das Licht wird oft ausgesperrt, die Zeit vergessen, das Resultat ist oft ungewiss.

Es beginnt schon eine ganze Weile vor dem Entwickeln der Fotos. Bei der analogen Fotografie ist das Resultat nicht der Mittelpunkt der Arbeit, sie soll einen Moment einfangen, der es wert ist. Und auf den man warten kann, bis man sich die Zeit nimmt, die Fotos zu entwickeln. Dies ist an diesem Ort, an dem Simon Zogg, Vizepräsident des Vereins Grain Circle, ist, möglich. Von Anfängerinnen und Anfänger bis zu Leuten, die sich in dieser Welt auskennen, sind alle willkommen. Es soll eine Gemeinschaft sein. Ein Ort, an dem man sich austauschen kann, voneinander lernen und sich so weiterentwickeln kann. Das als Mensch und im Thema Fotografie. Der grosse, geräumige Raum wirkt ruhig, geordnet und irgendwie magisch. An den Wänden Projekte der Mitglieder. Eine Bilderreihe springt ins Auge: ein Kind, das erste Bild mit einem leichten Blaustich, das daneben zu rot, das nächste zu blass. «Diese Bilder zeigen den Prozess. Man ist nicht mit dem Ersten zufrieden», sagt Simon Zogg, der diese Bilder auf seiner Reise in Indien eingefangen hat. Es ist ihm wichtig, ein Projekt zu haben, auf das er sich konzentrieren kann. Seine ganze Aufmerksamkeit diesem widmen. In Indien war es die Porträtfotografie. Der junge Analogliebhaber verbringt neben seinem eigentlichen Beruf als Lehrer unzählige Stunden im Labor des Vereins und beeinflusst immer wieder aufs Neue Bilder von Momenten, die er aus irgendeinem Gefühl heraus als wichtig empfunden hat. Oft sind es Schwarz-Weiss-Bilder. Diese haben es ihm besonders angetan, zudem sind sie deutlich einfacher zu entwickeln als farbige Bilder. Es ist ein anderer Prozess. Ein solches soll es heute an diesem letzten Mittwochabend des Monats Mai auch werden. Ein Abzug von einem Negativbild. Ein Foto, das er damals in Hamburg an einem U-Bahnhof eingefangen hat. Stühle, die leer stehen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ein Foto, das er damals in Hamburg an einem U-Bahnhof eingefangen hat. Stühle, die leer stehen.

Dies war den Vereinsgründern Christian Ritz und Fabian Florin, die der Fotografie schon lange Zeit vorher verfallen sind, wichtig. Ihnen war bewusst, dass es einen solchen Ort, der sich von einem grauen Kellerraum in ein rot erleuchtetes Lab verwandelt, noch nicht gibt. Auf jeden Fall nicht in Chur und Umgebung. Bis dahin war es nur möglich, seine Filme bei Drittpersonen entwickeln zu lassen. Das Experimentieren, wie es Simon Zogg heute Abend macht, blieb so aus. Heute hat der Verein 46 Mitglieder, die regelmässig in diesem Raum ihre Fotos entwickeln, digitalisieren oder produzieren. Ihnen stehen fünf Vergrösserer zur Verfügung, um Schwarz-Weiss- und Farbabzüge zu machen. Zudem ist es den Mitgliedern möglich, Negative zu scannen.

Alles hat seinen Platz gefunden, «Ordnung und die gleichen Abläufe sind hier unten wichtig», erklärt der Vizepräsident. Unter einem Gestell, das mit unzähligen Namen beschriftet ist, holt er eine Kiste hervor, in der viele verschiedene Grössen an Papier gelagert sind. Versteckt vor Helligkeit. Das Papier darf nicht an Tageslicht gelangen, ansonsten ist es nicht mehr brauchbar. Das einzige Licht, das es mag, ist das Rotlicht, das die Dunkelkammer erleuchtet. Solches Papier ist teuer, insbesondere grössere Formate. Heute wird das Foto mittelgross. «Diese Grösse nehme ich für viele Bilder, ich mag sie».

Einfluss auf das Bild nehmen

Doch mit dem Papier ist es noch nicht getan. Die drei Becken in verschiedenen Farben müssen noch mit den dazu vorgesehenen Chemikalien befüllt werden. «Wir achten darauf, dass wir immer in eine Richtung arbeiten, immer gegen das Wasserbecken, so passieren weniger Fehler.» In das erste Becken fliesst der Entwickler, dieser ist dafür da, das Bild sichtbar zu machen. Das zweite Bad heisst Stoppbad. Dieses dient dem Verdrängen der vorherigen Chemikalien, die auf dem Papier haften. Der letzte Chemieschritt ist das Fixierbad. Dort wird das Bild lichtunempfindlich gemacht. Erst nach diesem Schritt darf das normale Licht an das Bild gelangen. Damit die Chemie ganz vom Bild verschwindet, wird es nun noch gewässert. Anschliessend darf es aufgehängt werden, sodass es trocknen kann. An Wäscheklammern hängen die Fotos dann im Raum. Schon bereits entwickelte Bilder zieren den grauen Sichtbeton. Die unterschiedlichsten Stufen von Grau und Schwarz stechen hervor. Auch da kann man den individuellen Einfluss der Entwicklerinnen und Entwickler deutlich erkennen. «Jetzt ist alles bereit, um den Prozess zu starten», erklärt Simon Zogg, der mit seiner Schürze sehr professionell wirkt. Er wirkt nicht nur so. Diesen Vorgang hat er jetzt schon einige Male hinter sich. Im April 2020, als Corona die Welt auf den Kopf stellte, hat er sich in das Lab begeben und dort die Leidenschaft für das Entwickeln und den Prozess entdeckt. «Es ist eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Ein Ausgleich zum gewöhnlichen Alltag.» Das hat ihn bis heute stundenlang hier unten gehalten. Oft arbeitet er alleine an Projekten, obwohl mehrere Leute gleichzeitig Platz hätten. Auf einer App, die er auf seinem Handy öffnet, kann man sehen, wer an welchem Datum im Lab anzutreffen ist. Mit dieser Möglichkeit kann man auch Projekte zusammen gestalten, sich Hilfe holen, voneinander lernen. Doch heute bleibt es bei Simon Zogg und seinem Projekt.

Simon Zogg, Vizepräsident des gemeinnützigen Vereins für die Förderung analoger Fotografie im Kanton Graubünden.

Die Zeit vergessen

Das Bild mit den Stühlen zieht er aus einer Mappe, in der er unzählige negative Filme aufbewahrt. «Viele Leute, die Filme bei einer Drittperson entwickeln lassen, holen diese gar nicht mehr ab, was ich schade finde.» Jetzt ist die Frage, wie gross das Bild werden soll, ob es einen Rahmen haben darf, und wie breit dieser sein soll. Die Entscheidung ist getroffen, es soll ein feiner Rahmen werden, so gefällt es Simon Zogg bei den meisten seiner Bilder am besten. Eine Millisekunde nach diesem Gedanken ist das Licht aus, nun leuchtet nur noch das Sicherheitslicht, das den ganzen Raum rot erleuchtet. Das Blatt Papier hat seinen Platz unter dem Vergrösserer eingenommen, nun kann es losgehen. «Jetzt habe ich die Blende ganz geöffnet, wenn ich sie schliesse, dann wird es dunkler», erklärt Simon Zogg. Das Bild wirkt jetzt noch sehr unscharf. In diesem Prozess, in dem es sich nun befindet, kann der Entwickler noch Einfluss darauf nehmen, welchen Ausschnitt er auf dem Bild haben möchte. Was auf dem Bild nun weiss ist, wird danach schwarz sein. Es ist ein Umdenken. «So ist es nicht schlecht.» Jedoch soll es nicht nur «nicht schlecht» sein, sondern gut! Damit das gelingt, benutzt man einen Kornsucher. Dieser ähnelt einer Lupe. Damit sucht man das Korn. Das, was man bei der digitalen Fotografie Pixel nennt. «Jetzt ist alles bereit für den Abzug.» Mit den Zeitstreifen schaut Simon Zogg, wie lange das Blatt belichtet werden muss, sodass es eine schöne Wirkung bekommt. Dazu kommt die Lichtmenge, die er steuert, wie auch die Zeit.

 

Einer von fünf Vergrösserern.

Einfluss auf das Bild hat an dieser Stelle des Prozesses der Kontrast. Je tiefer der Filter ist, desto weniger Kontrast hat das Bild. Je höher, desto stärker. Die Fotos werden durch die Chemiebäder geschaukelt, immer in Bewegung. Fünf verschiedene Bilder hängen jetzt an der grauen Wand. Jedes mit dem gleichen Objekt darauf: die Stühle in der U-Bahn. Sie zeigen einen Prozess. Einen Weg, der von zu hell über zu dunkel bis zu perfekt geführt hat. «Perfekt ist jedoch etwas, das im Auge des Betrachters liegt.» Abtauchen, die Zeit vergessen, sich dem Prozess hingeben, sich Zeit lassen. Das in seinen persönlichen Augen perfekte Bild zu erschaffen. Das ermöglicht dieser Verein, der Simon Zogg und dem Präsidenten Flavio Deflorin am Herzen liegen.

www.graincirlcle.ch

 

 

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