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Als der Jazz in der Schweiz noch Popkultur war

Auf 328 Seiten spürt der Berner Autor Samuel Mumenthaler der Zeit nach, als der Jazz in der Schweiz noch Popkultur war. Das Buch «Hot! Jazz als frühe Popkultur» beleuchtet, wie der Musikstil während rund 40 Jahren die Schweiz zum Tanzen brachte.

Agentur
sda
07.02.24 - 11:00 Uhr
Kultur
Der Berner Autor Samuel Mumenthaler hat bereits mehrere Bücher über Schweizer Popmusik verfasst. "Beat Pop Protest" etwa erzählt die Entwicklung der Musik und Jugendkultur von den Halbstarken bis zum Flower Power in der Schweiz.
Der Berner Autor Samuel Mumenthaler hat bereits mehrere Bücher über Schweizer Popmusik verfasst. "Beat Pop Protest" etwa erzählt die Entwicklung der Musik und Jugendkultur von den Halbstarken bis zum Flower Power in der Schweiz.
Handout: Hans Burkhalter

«Heute ist der Jazz definitiv nicht mehr Pop - aber man findet seine Spuren im Hip-Hop und anderen aktuellen Musikstilen», sagt Samuel Mumenthaler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Das war vor rund 100 Jahren deutlich anders. Nach dem Ersten Weltkrieg kam der Jazz in die Schweiz, zum Anfang in die Kurorte. «Die Schweiz als Tourismusland musste den Gästen geben, was sie wollten», sagte Mumenthaler. Jazz wurde zur Tanz- und Unterhaltungsmusik der Stunde. Die Bands sattelten um, Klassik zum Beispiel war weniger gefragt.

Zeitgleich machte die Technik die Verbreitung von Musik deutlich leichter. Radios hielten Einzug in den Schweizer Stuben und im Laufe der Zeit wurden Schallplatten erschwinglicher. Plötzlich war Musik präsent im Leben. Es brauchte keine Musikanten mehr vor Ort. «Der technologische Fortschritt war wichtig für die Verbreitung des Jazz», sagt Mumenthaler. Von den Kurorten schwappte die damals neue Musik in die Städte über. In den neuen Clubs war der Jazz gefragt.

Jazz schwappt in die Städte

«In den Kurorten war die Szene international, in den Städten waren es eher Studenten, die dem Jazz huldigten», sagt Mumenthaler. Erstmals sei in der Schweiz vor diesem Hintergrund eine Jugendbewegung entstanden, die sich über die Musik definiert habe. Gerade im Zuge des Swing, eine sehr tanzbare Spielart des Jazz, entwickelte sich die Jugendkultur weiter, bis sie in den 1940er-Jahren ihren Höhepunkt erlebte. «Die Leidenschaft der Fans hat mich fasziniert: Wie sie die Musik und Mode lebten - und quasi den American Way of Life adaptierten», führt Mumenthaler aus.

Die Musik war in den ersten Jahren stark vom Ausland geprägt, wie Mumenthaler in seinem Buch schreibt. Die Bands spielten nach Noten, und hatten teilweise Mühe, die neue Musik zu verstehen. Vieles war neu, etwa dass ein Schlagzeug so gut wie Pflicht war. Im Buch schreibt Mumenthaler, wie eine Formation um Ernest Berner 1923 ein Schlagzeug bastelte: «[...] einem eigenartigen Konstrukt aus einer überdimensionierten Regiments-Basspauke, einer Basler Trommel als 'Snare'-Ersatz, einem mit dem Fuss bedienten Hi-Hat-Prototyp und allerlei Cinellen sowie Blech- und Rassel-Utensilien.»

Die Bands werden kleiner

Während rund fünf Jahren arbeitete Mumenthaler an dem Buch-Projekt. Viele der Künstler - wie der Autor sagt, war es eine männerdominierte Szene - sind heute vergessen. Musiker, wie die Berner Teddy Stauffer oder Hazy Osterwald, fanden Eingang ins Buch. Im Kontext des Zweiten Weltkriegs und der geistigen Landesverteidigung entwickelte sich aus dem Jazz der Mundartschlager heraus. Zur Kriegszeit war der musikalische Einfluss aus dem Ausland begrenzt. Nach dem Krieg wurde der Jazz dann noch mehr als zuvor zum «Soundtrack der Globalisierung», wie Mumenthaler es formuliert.

Die Recherche für das Buch gestaltete sich für Mumenthaler nicht ganz einfach. Die meisten Zeitzeugen sind verstorben. Zeitschriften über die frühe Szene wurden teils gar nicht archiviert und sind in Vergessenheit geraten. Die Nachforschungen führten Mumenthaler bis in die USA. Im New Yorker Rutgers Institute of Jazz Studies fand der Popkultur-Chronist einige Ausgaben von «Jazz», einem Berner Musikmagazin. Die Zeitschrift wurde von 1932 bis 1939 verlegt und war in der Schweiz nicht mehr auffindbar.

Rock'n'Roll löst den Jazz ab

«Ich finde es wichtig, Geschichte auch aus der Perspektive der Zeit zu beschreiben, in der sie noch Gegenwart war», so Mumenthaler. Der Autor fand auch französische Zeitschriften, die einen Blick auf die Schweiz warfen. Gegen Ende der 1950er-Jahre hatte es sich dann bei den Jungen langsam aber sicher «ausgejazzt». Der Rock'n'Roll kam - und wurde zum neuen letzten Schrei. Stars wie der Musiker Elvis Presley begeisterten die Jugend.

Heute sei der Jazz in einer guten Position: «Jazz ist nicht mehr das Echo unserer Zeit, aber er hat sich als Musikstil stetig weiterentwickelt und ist in der Schweiz etabliert - auch dank den vielen Festivals», sagt Mumenthaler. Und während rund 40 Jahren brachten Jazz, Swing und alle anderen verwandten Spielarten die Schweiz zum Tanzen.

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