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Zwei unterschiedliche Romane und ein Thema: der Tod der Väter

Tonnenschwer ist das Erbe, das zwei Väter ihren Kindern hinterlassen. Während Ursula Fricker mit ihrem Roman «Gesund genug» den Lesern einiges abverlangt, bietet Lorenz Langenegger mit «Was man jetzt noch tun kann» leichtfüssige Unterhaltung.

Agentur
sda
28.07.22 - 08:00 Uhr
Kultur
Zwei Romane zu einem Thema: der Tod des Vaters. In Ursula Frickers "Gesund genug" entdeckt eine Tochter an ihrem fanatischen Vater auch Leichtes; Lorenz Langenegger lässt in "Was man jetzt noch tun kann" einen Sohn doch noch erwachsen werden. Beide…
Zwei Romane zu einem Thema: der Tod des Vaters. In Ursula Frickers "Gesund genug" entdeckt eine Tochter an ihrem fanatischen Vater auch Leichtes; Lorenz Langenegger lässt in "Was man jetzt noch tun kann" einen Sohn doch noch erwachsen werden. Beide…
Handout: Atlantis Verlag (Fricker), Jung und Jung (Langenegger)

«Ich will von meinem Erbe nicht erschlagen werden, also habe ich beschlossen, es mir darauf gemütlich zu machen.» So entschieden äussert sich der Protagonist in Lorenz Langeneggers neuem Roman selten. Und in diesem Fall tut Manuel Keller wortwörtlich, was er sagt. Aus drei Tonnen Rohschlüsseln mit passenden Zylindern, verpackt in Kartonschachteln, baut er sich das Interieur seiner neuen Wohnung: Bett, Tisch und Stuhl, Sideboard, Deko.

Der Vater ist gestorben, Erfinder des Bohrmuldenschlüssels und erfolgreicher Unternehmer. Manuel entdeckt, dass die einst florierende Firma am Ende ist, löst sie auf und bleibt auf den im digitalen Zeitalter nicht mehr gefragten Schlüsseln sitzen – bis sich ein chinesischer Geschäftsmann bei ihm meldet und ihn nach Dar es Salaam in Ostafrika bestellt.

Antiheld und schwarzes Schaf

Lorenz Langeneggers Roman «Was man jetzt noch tun kann» liest sich streckenweise wie ein Krimi mit Situationskomik. Dabei ist das Thema ernst, und der Protagonist Manuel emanzipiert sich in dem Buch sowohl von seinem tüchtigen Vater als auch vom ehrgeizigen Bruder, welcher als Wissenschaftler glänzt und keine Zeit hat, sich mit dem Tod des Vaters und dessen Hinterlassenschaft auseinanderzusetzen. Manuel Keller ist der liebenswerte Antiheld.

Auch Hanne, die Hauptfigur in Ursula Frickers Roman «Gesund genug» ist das schwarze Schaf der Familie, mit dem man beim Lesen mitfühlt. Und auch sie kümmert sich um das Erbe des Vaters, während ihr Bruder früh gelernt hat, sich dem familiären Dogma zu entziehen.

Das Dogma hiess Gesundheit. Fanatisch ahndete der Vater jeden Verstoss gegen seine rigiden Ernährungsgebote und den asketischen Lebensstil, den er konsequent durchsetzte. «Da kann mal einmal sehen!» war sein Lieblingssatz, wenn jemand ausserhalb der Minisekte, zu der er die Familie gemacht hatte, krank wurde oder starb. Hanne und ihr Bruder, in selbstgenähte Kleider aus Naturstoffen gewandet und in der Schule von allem dispensiert, was irgendwie Spass gemacht hätte, wuchsen sozial isoliert auf.

Konfrontation und Versöhnung

Wenn die Eltern sterben, sind die Nachkommen noch einmal konfrontiert mit der eigenen Kindheit. Die beiden vorliegenden Romane weichen der Konfrontation nicht aus. Und sie weisen über die persönliche Geschichte ihrer Figuren hinaus auf den Generationenwechsel, der aktuell besonders krass ausfällt. Globalisierung und Digitalisierung haben das 20. Jahrhundert in nur wenigen Jahren zu einer Art Steinzeit gemacht, von der heutiges Leben weit entfernt ist.

Deshalb taucht man in Ursula Frickers Buch «Gesund genug» so tief in die fremd und historisch anmutende Jugendzeit der Protagonistin ein, dass man die Parallelen zum heutigen Zeitgeist gar nicht realisiert. Erst ganz am Schluss des Romans, als sich Hanne in ihren linksalternativen Kreisen mit Veganismus und Nulltoleranz gegenüber abweichenden Ideen konfrontiert sieht, taucht man auf und realisiert: Die Zeit ist zyklisch und alles wiederholt sich. «Nicht Leute wie Vater sind wie Vater», stellt Hanne mit wachsendem Unbehagen fest, «nein, Leute wie ich sind heutzutage wie Vater.»

Lorenz Langeneggers Pointen gehen beim Lesen runter wie Honig und machen die Lektüre seines Generationen-Romans leicht. Ursula Frickers Pointe hingegen bleiben der Leserin und dem Leser im Hals stecken wie eine Fischgräte.

Doch beide Romane weisen einen Silberstreif am Horizont auf. Nach dem Verkauf des väterlichen Altmetalls packt Manuel sein eigenes Leben an; und Hanne findet im spartanischen Nachlass des Vaters Zeichnungen von ihm, die auf einen anderen, verborgenen Teil seiner Persönlichkeit hinweisen. Damit lässt sich nach seinem Tod vielleicht noch etwas anfangen.*

*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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