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Scheindementer Patient bringt seinen Erfinder ins «Tunnel»

Wenn Frédéric Zwicker, ehemaliger Zivildienstler auf einer Demenzstation, aus seinem Buch erzählt, erfährt man Geschichten, die man vielleicht gar nicht hören will.

Südostschweiz
12.11.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Inspiration Zivi: Die Erlebnisse aus der Demenzstation packt Frédéric Zwicker in sein Buch «Hier können Sie im Kreis gehen».
Inspiration Zivi: Die Erlebnisse aus der Demenzstation packt Frédéric Zwicker in sein Buch «Hier können Sie im Kreis gehen».
PRESSEBILD

Die Geschichten, die hier enden, enden alle schlecht.» Das ist die Feststellung des 91-jährigen Johannes Kehr, der vortäuscht, dement zu sein und sich damit selbst im Altersheim eingeliefert hat. Erfinder dieser zynisch-pessimistisch und doch sehr gewitzten Persönlichkeit ist Frédéric Zwicker, Autor von «Hier können Sie im Kreis gehen». So kommt humorvolle, aber trotz allem liebenswürdige Altersheimstimmung im «Tunnel» in Glarus auf, wenn Zwicker am nächsten Samstag im ehemaligen «Veka» aus seinem Debüt-Roman vorliest.

Viel Nichts im Pflegeheim, das der Autor füllt

Selbst einmal als Zivildienstler auf der Demenzstation gelandet, weiss Frédéric Zwicker im Detail – teils auch leicht bis schwer überspitzt – darüber zu berichten. So thematisiert er in seinen Kapitelfetzen mal die Ausnutzung des Erektionsmonopols, mal die Schalenmenschen mit «zerfressenen Hirnstückchen» oder dann die allgemeine Verzweiflung der Bewohnerinnen und Bewohner in den endlosen Nächten ohne Schlaf, die Teil des grossen Nichts sind und den Pflegeheimalltag bestimmen.

Zwicker füllt dieses Nichts jedoch mit Geschichten aus der Lebensodyssee des Protagonisten Kehrs, mit dessen Ausbrüchen aus dem Heim zum Türkenladen um die Ecke oder mit Tricks, wie er seine Süssigkeitensucht befriedigen kann.

Viel Alles, das der Autor in einer Person vereint

Frédéric Zwicker schreibt mit der Intensität und dem Rhythmus eines Slampoeten, bringt die Melodie eines Musikers mit ein und spielt mit den Wörtern wie ein Schriftsteller.

Den 36-jährigen Rapperswiler kennt man in der Region jedoch vor allem von seinen wöchentlichen Kolumnen in den «Glarner Nachrichten» (siehe Seite 14) und der «Linth-Zeitung», von seinen Witzen aus Giaccobo/Müller, bei denen er als Pointenschreiber tätig war, und von seiner Stimme in der Band Knuts Koffer, bei der er sich mit Gesang, an der Gitarre und an der Geige auslässt.

Viel Nachdenkliches, das zum Hingehen verleiten soll

Zwickers Texte leben von detailgenauen Beobachtungen, geschmückt mit freien Interpretationen, die jedoch so weit in die Tiefe gehen, dass Witz und Humor zum Vorschein kommen und im Nachgeschmack nichts anderes bleibt als die trockene Wahrheit.

Der Autor hat einen aufklärerischen Anspruch, der zum Nachdenken anregen soll – sodass die Selbstverwirklichung vielleicht auch einmal einem Besuch im Heim weicht, mit dem ein wenig des dortigen öden Alltags ausgefüllt wird. Pflegeheime sind – dem Buch nach – nicht die besten Orte für ein Ableben. Das «Tunnel» ist jedoch – dem Ruf nach – mit DJ Theez ein guter Ort, um anschliessend abzuheben. (dela)

Samstag, 16. November, ab 21 Uhr, Türöffnung um 20 Uhr, im «Tunnel», Holenstein-Areal, in Glarus.

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