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Adieu Mugg

Das Leben des verstorbenen Clowns Mugg waren die Familie und der Zirkus. Dabei deutete anfangs wenig auf seine ungewöhnliche Karriere hin. Doch Mugg war überzeugt, dass es einen roten Faden in seinem Leben gab.

Südostschweiz
10.05.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Mugg war nicht nur ein Spassmacher. Er hat etwas Tieferes entdeckt im Clown.
Mugg war nicht nur ein Spassmacher. Er hat etwas Tieferes entdeckt im Clown.
SASI SUBRAMANIAM

von Madeleine Kuhn-Baer

Mugg erblickte als Urs Muggli am 19. Oktober 1959 das Licht der Welt. Zusammen mit den Eltern und zwei Schwestern wuchs er in Zürich auf, wo er schon als Kind die Vorstellungen des Circus Knie besuchte. Mehr noch faszinierte ihn aber die Schaustellerei, in welcher seine Eltern aushilfsweise tätig waren.

Trotz dieser Faszination entschied er sich für ein bürgerliches Leben. Er absolvierte eine Kellnerlehre im Hotel «Righi Vaudois» in Glion oberhalb von Montreux sowie eine Kochlehre im Hotel «Savoy» am Paradeplatz in Zürich. Nach den Lehrjahren arbeitete er aushilfsweise als Koch und besuchte die Wirtefachschule Belvoirpark in Zürich.

Gemeinsam mit seiner ersten Frau eröffnete er anschliessend in Baden das erste vegetarische Vollwertrestaurant zwischen Zürich und Bern. Das Restaurant entwickelte sich mit Kochschulen, Backstube, dem «Vegi-in-Form»-Laden und Partyservice zu einem veritablen Betrieb mit 15 Festangestellten und bis zu 40 Aushilfen.

Bald begann er mit der Restauration an Biomessen und wurde Grossverpfleger beim Festival «Rock gegen Hass». Auch die Badener Kulturfesttage unterstützten er und seine Frau als Mitinitianten. An den Messen schlief er in seinem ersten Wohnwagen. Das kam schon fast wie Zirkus daher. Mugg war überzeugt, dass es den roten Faden in seinem Leben gab. Sein Werdegang war wie eine lineare Abenteuerreise, bei der er nicht wusste, wohin sie führt.

Zirkus und Familie

Ins Glarnerland kam er dank der Idee, einen Ökozirkus ins Leben zu rufen, und der Suche nach einem geeigneten Objekt. Die Idee liess sich zwar nicht realisieren, aber nun betrieb er sein Vegi-Catering vom glarnerischen Engi aus.

Doch nach 19 Jahren war die Lebensphase vorbei, in der Vollwerternährung und die Aufklärung darüber im Vordergrund stand. Die Bioszene hatte sich verändert, das allgemeine Interesse für Vollwertkurse war fast eingeschlafen. So beschloss Mugg im Jahr 2000, vollberuflich Clown und Artist zu werden – nachdem er seit 1998 auf den Bühnen als «Profi-Clown» aufgetreten war. Der unentwegte Optimist folgte damit seinem Motto: «Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.»

Für ihn gab es zwei Hauptthemen: Zirkus und Familie. Beides war lebenserfüllend. Er heiratete zwei Mal, wurde zwei Mal geschieden und war Vater von sieben Kindern. Vier stammen aus der ersten Ehe, drei aus der zweiten. Seine zweite Frau brachte zudem zwei Kinder in die Ehe.

In Betschwanden lebte er mit seiner Lebenspartnerin Susanne zusammen. Er bezeichnete es als Glück, eine Frau an seiner Seite zu haben, die viel Offenheit und Verständnis dafür zeigte, dass sein Privatleben an einem kleinen Ort war. Wobei die Abgrenzung, was Arbeit und was privat ist, manchmal nicht einfach zu ziehen war.

Als sehr schön empfand er die Tatsache, dass drei Generationen gemeinsam im Zirkus leben. Denn seine Söhne Stephan und Ischa wohnen mit ihren Familien ebenfalls in der Zirkusstadt. In der Zukunft wollte er mehr Zeit für seine Familie haben. Den grössten Teil seines Lebens nahm nämlich der Zirkus ein. Dieser erfüllte ihn mit Freude und gefiel ihm als Begegnungsort von Menschen in verschiedenen Facetten. Zudem bot er ihm eine wunderbare Entfaltungsplattform. Mugg liebte die Vielfalt, die Gemeinschaft, die zahlreichen Begegnungen, die Nähe zur Natur.

Der Clown, eine mystische Figur

Der Name Mugg, abgeleitet von Muggli, begleitete ihn beruflich wie privat. Er war wie sein spiritueller Name. Als «Urs» ist er nur noch bei den Leuten präsent, die ihn vor dem Leben als Clown gekannt haben.

Nun war er Visionär und Grobplaner, Clown, Zauberer, Artist, Chauffeur der grossen Wagen, Organisator in verschiedenen Bereichen, Trainer, Regisseur, Koch, Kellner. Und meistens derjenige, der am Abend als Letzter das Licht löschte.

Weshalb wurde er Clown? Und wie verstand er seine Figur? Es gibt ja ganz unterschiedliche Arten von Clowns. Von der Pantomime über den Weissclown bis zum Dummen August – mit vielen weiteren Facetten dazwischen. Für Mugg war es eine mystische Figur, die reflektiert, im wahrsten Sinn des Wortes eine Narrenfreiheit geniesst und dem Publikum Lebensthemen vor Augen führt. So hatte er etwas Tieferes entdeckt im Clown. Er war nicht einfach der Spassmacher, sondern brachte auch feinere Töne zum Schwingen. Klar war er ungeschickt, tollpatschig, schräg und schrill, aber eben auch verträumt, poetisch, berührend.

Privat war er übrigens nicht der Showman, wie man meinen könnte. Er lebte leicht zurückgezogen und brauchte nicht immer Action.

Er war ein Querdenker

Im Zirkus wohnen zu können, war für ihn das Schönste. Sein 13 Meter langer und 2,5 Meter breiter Wagen steht etwas abseits in der Zirkusstadt. Für ihn war die Wohnsituation überhaupt nicht eng. Das Wichtigste ist auf kleinstem Raum vorhanden: Küche, Aufenthaltsbereich, Bad und Schlafzimmer. Im Winter sitzt man – wie früher in der Bauernstube – zusammen, isst, diskutiert oder spielt. Sobald es das Wetter zulässt, trifft man sich unter dem Himmelszelt im Freien. Dann ist dort die grosse Stube.

Ab und zu wurde er als Querdenker bezeichnet. Stimmte er dem zu? Es sei eine Frage der Definition, meinte er. Was er als absolut normal und wichtig erachtete, konnte für andere undenkbar sein. Er sah manches einfacher als viele Menschen. «Ja, aber ...» kam in seinem Wortschatz nicht vor. Dafür «ausser man tut es ...».

Seine Lebensform entsprach hingegen nicht dem gängigen Muster. Er war kein Durchschnittsbürger. Manche Leute staunten, wenn er im kalten Winter in kurzen Hosen und barfuss in seinen Latschen daherkam. Mugg pur eben. Er liebte das Unkonventionelle. Mit seinem Leben war er sehr zufrieden. Er hatte viel erlebt und blieb sich dabei treu. Er hatte sich den zahlreichen Herausforderungen gestellt und wenn möglich keine Probleme daraus gemacht. Denn Probleme waren für ihn nur Stürme, welche die Zirkusstadt bedrohen. Alles andere bezeichnete er als Herausforderung, die es zu meistern gilt.

Nach wie vor sprudelte er vor Ideen und Visionen, die er gerne umsetzen wollte. Er war offen, unkompliziert, hatte den Mut, neue Ideen zu kreieren, konnte begeistern und motivieren. Man spürte seine Liebe zu den Menschen und das Engagement für eine gute Sache. Er war ein interessanter Gesprächspartner mit viel Tiefgang und bezirzte durch sein herzhaftes Lachen. «Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung», hat der Philosoph Heraklit einst formuliert. Nicht erstaunlich, dass der Satz zu den Lieblingssprichwörtern von Mugg gehörte.

Kurz vor dem Tod von Urs Muggli haben die Journalistin Madeleine Kuhn-Baer und der Fotograf Sasi Subramaniam das Buch «Zirkus Mugg. Eine Geschichte zum Staunen» beendet. Dieses Porträt dafür entstand zu Lebzeiten und wurde hier angepasst.

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