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Brecht auf den Fersen durch Chur

Ein Freilichttheater über ein Hörspiel. Wie geht das? Ein Besuch bei den Proben im Churer Stadtgarten macht neugierig auf das ganze Stück.

Ruth
Spitzenpfeil
14.08.18 - 10:00 Uhr
Kultur

Sie muten uns einiges zu, die Vordenker der Freilichtspiele Chur (Frech), welche mit dem Stück «Radio Lukullus» übernächste Woche den Auftakt machen zum Brecht-Festival anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums der «Antigone». Mindestens drei Zeitebenen, fünf Handlungsstränge und 18 Personen warten darauf, von den Zuschauern entschlüsselt zu werden. Damit nicht genug. Das Stück fordert ein «wandelndes Publikum», wie es im Untertitel heisst. Nach dem ersten Akt, der sich noch recht konventionell auf der Bühne abspielt, heisst es danach aufstehen, um sich den Schauspielern und Brecht an die Fersen zu heften.

Wandelndes Publikum

Inszenierungen, welche an mehreren, meist historischen Schauplätzen stattfinden, hat man in letzter Zeit hin und wieder gesehen. Aber was sich Regisseur Julian Grünthal mit den Co-Autoren Andri Perl und Ursina Trautmann ausgedacht hat, ist noch um einiges komplizierter. Die Besucher werden nämlich gleich zu Beginn willkürlich in fünf Gruppen aufgeteilt. Im zweiten Teil sind sie aufgefordert, sich einer der Hauptpersonen anzuschliessen und an bis zu drei anderen Spielorten in und um den Stadtgarten deren Version der Geschichte zu erleben.

«Unser Plan ist gelungen, wenn die Leute sich danach erzählen, was sie jeweils erlebt haben.»
Julian Grünthal, Regisseur von «Radio Lukullus»

Die in den Szenen «unterwegs» präsentierte Handlung ist dabei nicht deckungsgleich. Im Grunde sind es fünf verschiedene Stücke, die parallel ablaufen. Erst am Ende trifft man sich zum letzten Akt wieder am Ausgangspunkt. Unser Plan ist gelungen, wenn die Leute sich danach erzählen, was sie jeweils erlebt haben», erklärt Grünthal sein Konzept.

Der Coup des Radiopioniers

Was ist nun die Story, die so aufgefächert erzählt wird? Es geht um ein Hörspiel, das Brecht 1940 schrieb und das zuerst niemand senden wollte. Darin muss sich der römische Feldherr Lukullus nach seinem Tod vor dem Gericht der Unterwelt für seine Untaten rechtfertigen. Es ist dem Wagemut des Radiopioniers Ernst Bringolf zu verdanken, dass die Parabel auf Hitler und andere Diktatoren schliesslich von Radio Bern produziert wurde. Der Coup kostete ihn letztlich die Karriere.

Bringolf, gespielt vom bemerkenswerten Amateur Pablo del Cubo Arroyo, ist eine der Figuren, denen die Zuschauer folgen – in dem Fall an die Bar der Postremise. Eine andere Gruppe wird von Ursina Hartmann «entführt», welche die Tochter Brechts spielt, die noch bis 2015 resolut über das Werk ihres Vaters wachte. Etwas arg viel Verfremdung erwartet die Begleiter des Lukullus selbst. Der besteht nämlich aus drei jungen Frauen, gekleidet in Uniformen, die so aussehen, als seien sie von der Heilsarmee-Band ausgeliehen.

Neugierig macht aber auch diese Kostprobe, die gestern von einem Teil des Ensembles den Medien präsentiert wurde. Es beunruhigt nur eine Frage: Muss die Kritikerin nun fünf Aufführungen besuchen, um das ganze Stück beurteilen zu können?

«Radio Lukullus». Premiere: Donnerstag, 30. August, 20 Uhr, Stadtpark, Chur. Weitere zwölf Aufführungen bis Samstag, 15. September. Tickets und Info www.freilichtspiele-chur.ch

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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