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Eine Villa für den blinden Organisten

Die neuen Besitzer der Villa Elkana haben ein bemerkenswertes Stück Churer Stadtgeschichte wieder hergerichtet. Es ist erstaunlich, auf wessen Spuren man in dem Haus alles stösst.

Ruth
Spitzenpfeil
09.02.18 - 18:44 Uhr
Kultur

Wer in Chur in letzter Zeit einmal um die Ecke der grossen Migros nach rechts in die Gäuggelistrasse eingebogen ist, dem ist das Haus mit der Nummer 42 vielleicht zum ersten Mal wirklich aufgefallen. Jahrelang machte es alles andere als einen herrschaftlichen Eindruck. Doch jetzt präsentiert sich das Gebäude mit dem Schriftzug «Elkana» unter dem geschweiften Giebel frisch herausgeputzt in leuchtendem Ockergelb.

Was steckt da dahinter, mag sich mancher fragen. Und es ist tatsächlich so: Diese Villa erweist sich als sehr dankbares Objekt für unsere Serie «Ich bau mir ein Schloss», in der wir die Geheimnisse der Churer Stadtresidenzen ergründen wollen.

Von Bergün nach Odessa

Im Stadtinventar wird das Gebäude als Villa Köhl aufgeführt. In Chur ist das ein klingender Name – im wahrsten Sinne des Wortes. Musik bestimmte das Leben von Karl Köhl, für den das stattliche Haus 1905 erbaut wurde. Der Name «Elkana» bedeutet «Von Gott gegeben». Der in frühester Kindheit erblindete Köhl war 42 Jahre lang Organist der Kirche St. Martin, gründete den Kirchenchor und komponierte. Als er 1919 starb, bezeichnete ihn die «Neue Bündner Zeitung» als «geistiges Zentrum des ganzen musikalischen Lebens der Stadt».

Doch wie kommt ein Organist zu den Mitteln, um so gediegen zu residieren? Die Antwort ist in einer typisch bündnerischen Familiengeschichte zu finden. Die Eltern von Köhl waren einst von Bergün nach Odessa in der heutigen Ukraine ausgewandert und dort als Zuckerbäcker zu grossem Wohlstand gekommen. Als der 1855 geborene Karl sieben Jahre alt war, zog die Familie zurück in die Schweiz und liess sich in Chur nieder.

Der Organist Karl Köhl.
Der Organist Karl Köhl.

Ein Porträt von Anker

Noch eine erstaunliche Verbindung ergab sich durch die Zeit in Odessa. Es existiert nämlich ein Porträt des blinden Organisten Karl Köhl aus der Hand von Albert Anker. Zu diesem kam es offenbar durch Anna Rüfli, die Frau des berühmten Malers. Sie war in Odessa das Kindermädchen der Köhls gewesen, das sich um den Knaben kümmerte, nachdem die Mutter früh gestorben war. Dies alles ausgegraben hat Carlo Köhl, der Urgrossneffe von Karl Köhl. Der in Haldenstein lebende Jurist und Klavierlehrer hatte sich dabei vor allem für das kompositorische Schaffen seines musikalischen Vorfahren interessiert. Vor zwei Jahren brachte er eine CD heraus mit Liedern und Klavierstücken Karl Köhls.

Zurück zur alten Noblesse

Nun aber mehr zu dem Haus, in dem der Organist mit seiner Frau rund 15 Jahre lebte. Architekt war Emanuel von Tscharner, einer der «üblichen Verdächtigen», wenn es um die «Schlösser» des aufstrebenden Bürgertums in Chur geht. Die Villa Elkana entstand, als gerade der Bündner Heimatstil Mode wurde. Sie ist aber noch ganz dem Jugendstil zuzuordnen.

Die Villa hatte nach Köhl mehrere Besitzer. Viele alte Churer erinnern sich noch an die Arztpraxis «Dr. Jeger.» Später wurde das Haus in vier Mietwohnungen aufgeteilt. Klar ist, dass man längere Zeit nicht besonders schonend mit der Bausubstanz umgegangen ist. Gar nicht gut bekam der Villa ein Anstrich mit grauer Dispersionsfarbe, die schnell hässlich abblätterte und den Verputz darunter erstickte. Im Jahr 2014 gelangte die Immobilie wieder auf den Markt, und das erwies sich als Glücksfall. Denn es griff jemand zu, der grössten Respekt vor der Historie bewies.

Der Churer Architekt Michael Schumacher und seine Frau Sandra Romer, die frühere Kulturbeauftragte der Stadt Chur, haben sich intensiv mit der Villa beschäftigt, welche das Zuhause ihrer fünfköpfigen Familie werden sollte. Sie haben die Pläne von Tscharners gefunden und alte Fotos aus dem Nachlass der Köhls studiert. Schumacher liess von einem Restaurator eine fachmännische Untersuchung durchführen mit dem Ziel, alles Erhaltenswerte aufzuspüren.

Wichtig war ihm vor allem, die alte Raumstruktur wiederherzustellen, die vollkommen verbaut war. Mit grosser Sorgfalt hat Schumacher den Geist der ursprünglichen Architektur wiederbelebt. Vieles – etwa Fenster, Türen und die meisten Böden – musste ersetzt und neu angefertigt werden. Es ist erstaunlich, wie man es dabei schaffte, die alte Noblesse zu zitieren und gleichzeitig heutige Funktionalität zu ermöglichen. Herausgekommen ist ein Heim, das Geschichte spüren lässt, ohne ein Museum zu sein.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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