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Die Mutter aller Churer Villen

Der «Obere Spaniöl» ist in der Altstadt etwas ganz Besonderes. Seine wahre Pracht liegt gut verborgen auf der Rückseite des Hauses.

Ruth
Spitzenpfeil
09.02.18 - 17:00 Uhr
Kultur

Das Haus, hinter dessen schwere Eichentür wir diesmal in unserer Serie blicken, ist quasi die Ahnfrau aller Churer Villen. Derjenige, der damit seine Wichtigkeit in Stein meisseln wollte, war ein gewisser Carl von Salis und gerade aus französischen Diensten vom Dreissigjährigen Krieg zurückgekehrt. Er machte – zwischen 1640 und 1645 – etwas Unerhörtes: Er baute sein neues Heim vollkommen frei stehend, und zwar ganz oben vor den Eingang zum bischöflichen Hof. Vorher hatte man sich immer brav eingeordnet in die langen Häuserreihen der Altstadt.

Die Frau mit dem Pudel

Wer heute gegenüber des Rätischen Museums das stattliche Gebäude bewundert, entdeckt an der Mauer etwas unterhalb eine rote Tafel. Dort ist zu lesen, dass der «Obere Spaniöl» das älteste Beispiel eines frei stehenden Bürgersitzes in Chur ist, und man wird neugierig gemacht auf die «repräsentative Innenausstattung». Doch anschauen kann man diese nicht. Das Haus ist privat. Nur manchmal erhascht man einen Blick auf die Arkaden im Innenhof, wenn sich die Tür öffnet und eine gepflegte ältere Dame heraustritt, neben ihr ein flinker kleiner Pudel.

Luisa Zendralli ist es gewohnt, das man sich für das Haus interessiert, wo sie schon ihr ganzes Leben lang wohnt. Besonders von dem Garten erzählt man sich Wundersames. Dort führt sie uns auch als Erstes hin. Und tatsächlich: Der Zauber, der sich hier entfaltet, ist unvergleichlich. Das ist es also, das versteckte Paradies von Chur. Zuerst sieht man nur die von Buchsbaumhecken geometrisch eingefasste Blumenpracht direkt an der freundlichen Südfassade des Hauses. Doch dann merkt man, dass dieses barocke Bijou nur einer von sechs Gartenräumen ist, die sich als verwinkelte Terrassen immer höher an die alte Stadtmauer schmiegen. Und von nirgends ausserhalb ist es einsehbar.

«Gehen Sie ganz nach hinten, vorbei am alten Wingerthäuschen; da sehen Sie die Grundmauern des mittelalterlichen Turms der Freiherren von Vaz, den der Bischof einst aus Ärger über den Lehnsherren schleifen liess», empfiehlt uns Zendralli. Es ist eine Erklärung für den Namen «Spaniöl». Der hat nämlich nichts mit Spanien zu tun, sondern könnte eine Zusammensetzung von «Spinas» – Dorn, und «œil» – Auge, sein. War es eine Flurbezeichnung oder der «Dorn im Auge» des Bischofs? Man weiss es nicht.

Paradies in Gefahr

Leider erfahren wir auch, dass es diese Idylle hoch über der Plessur in dieser Form vielleicht nicht mehr lange geben wird. Der Buchsbaumzünsler und schädliche Pilze haben sich in die Hecken gefressen, die schon seit 1835 dort stehen, seit der vorherige Weinberg durch einen Ziergarten ersetzt wurde. Es werde nichts anderes übrig bleiben, als sie herauszureissen, sagt Zendralli. Die Bewohner überlegen noch, wie es konkret weitergehen soll mit den «hängenden Gärten von Chur».

Nun dürfen wir aber noch einige Blicke in das Haus werfen und mehr von seiner jüngeren Geschichte erfahren. Hinreissend sind die beiden Steinfiguren, ein drolliges Hirtenpaar, das im Innenhof steht, wo vor rund zehn Jahren ein gläserner Lift eingebaut wurde. Die einstige Herrschaftswohnung liegt im ersten Stock. Dort kann man den berühmten Kachelofen von 1750 und die Kassettendecke von 1645 bewundern. Ganz speziell sind die herrlich verzierten Türstöcke, von denen jeder anders ist. Doch eingerichtet ist dieses historische Refugium heute mit Möbeln der klassischen Moderne, was die Wirkung der denkmalgeschützten Substanz sogar noch betont. Wie kam es dazu?

Neue Mitbesitzer

Zendrallis Grossmutter war eine Abys. Im Besitz dieser Familie war der Obere Spaniöl seit 1837. Ihr Vater, Arnoldo Zendralli, kam aus dem Misox, war Kantonsschullehrer in Chur und Publizist. Bis vor wenigen Jahren gehörte das Haus seinen drei Kindern; heute lebt noch die Tochter Luisa und ihre Schwägerin dort. Ein Apartment ist vermietet. Die grosse Wohnung im ersten Obergeschoss wurde vor einigen Jahren als Stockwerkeigentum verkauft. Die neuen Besitzer, die sich auch um den Hauptteil des Gartens kümmern, haben bei der Renovierung eine sehr geschickte Hand bewiesen.

Wie viele Zimmer das Haus habe, wollen wir noch von Zendralli wissen? «Kein Ahnung. Ich habe sie noch nie gezählt», sagt sie lachend.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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