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Der Turm auf dem Julier wird spektakulär

Der erste Spatenstich ist erfolgt. Auf dem Julierpass entsteht die neue Spielstätte des Origen-Festivals. Bereits die Bauarbeiten sind ein Ereignis.

Ruth
Spitzenpfeil
15.05.17 - 10:57 Uhr
Kultur

Am Sonntagnachmittag ist auf dem Julierpass der erste Spatenstich erfolgt für einen weiteren Turm in dieser Landschaft, in der ohnehin alles nach oben strebt. Michael Pfäffli, der Bündner Standespräsident, eröffnete zusammen mit politischen Vertretern von beiden Seiten des Passes die wohl ungewöhnlichste Baustelle des Kantons. Hier entsteht in den nächsten Wochen die neue Spielstätte des Kulturfestivals Origen. Sie wird 30 Meter in den Himmel wachsen, ganz aus Holz bestehen und ein Theaterhaus sein, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.

«Durch diesen Turmbau, so hoffen wir, kommen sich auch die beiden Regionen Surses und Oberengadin näher» sagte Pfäffli bei der Feier in einem kleinen Zelt unweit des Passübergangs, den schon die Römer benutzten, um vom kalten Norden über das Engadin in die südlichen Gefilde ihrer Heimat zu gelangen.

Der Mann, dessen Idee es war, ausgerechnet hier einen Raum für Oper, Schauspiel und Tanz zu errichten, ist Giovanni Netzer. «Es geht nicht darum, etwas Monumentales in die Landschaft zu bauen, sondern an diesem Ort die grossen Mythen der Menschheit spürbar werden zu lassen», sagte der Intendant, Gründer und unermüdliche Macher von Origen am Sonntag vor rund 50 aus Süden und Norden angereisten Gästen.

Michael Pfäffli, Giovanni Netzer und Leo Thomann beim Spatenstich.
Michael Pfäffli, Giovanni Netzer und Leo Thomann beim Spatenstich.
NADJA SIMMEN

Der Julierturm soll nach drei Jahren wieder verschwinden, das Gelände, wo jetzt als erster Schritt ein Fundament mit Felsankern betoniert wird, der Natur zurückgegeben werden. Nur so konnte das Projekt die Bewilligung erhalten. Es war ein unglaublich komplexes Verfahren. Dass es gelang, bezeichnet Netzer als das grösste Wunder.

Doch es gab für ihn auch noch eine andere glückliche Fügung. Direkt vor der Haustüre des Origen-Hauptquartiers in Riom und am Fusse des als Standort gewählten Alpenpasses sitzt ein innovatives Bauunternehmen, welches als eines der wenigen hierzulande überhaupt in der Lage ist, seine Vision technisch umzusetzen. An der Holzbaufirma Uffer in Savognin ist es nun, den Traum in enorm kurzer Zeit Realität werden zu lassen. Diese Woche wird in Savognin das Rohmaterial für den Bau angeliefert – je 20 Quadratmeter grosse und 120 Millimeter dicke Massivholzplatten. Bis zur ersten Aufführung am 3. August sind es gerademal 80 Tage.

 

Der Grundriss des neuesten Werkes auf dem Julier.
Der Grundriss des neuesten Werkes auf dem Julier.
PRESSEBILD

Zehnzackiger Stern

Was am Julier kurz vor dem Kiosk am Passübergang gebaut wird, mag optisch gewisse Vorbilder haben. Das Castel del Monte des Staufferkaisers Friedrich II. in Apulien, das als Vorbild des Klosters im Film «Der Name der Rose» bekannt wurde, war sicher Inspiration. Doch als Holzbauwerk ist der Julierturm ohne Beispiel – durch und durch ein Prototyp, wie Enrico Uffer sagt. Der Grundriss ist ein zehnzackiger Stern. Die Spitzen dieses Sterns sind zehn fünfeckige Türme, welche das Hauptgerüst bilden. Diese werden verbunden durch Passerellen mit hohen Bogenfenstern, die auf vier Ebenen quasi die Ränge und Logen des Theaters bilden.

Dies in so kurzer Zeit vor Ort aufzurichten, wäre niemals möglich. Uffer hat deshalb seine riesige Werkhalle in Savognin leergeräumt und fertigt die zehn Ecktürme in je vier Teilen dort vor. Der nächtliche Transport der zwölf Tonnen schweren Module mit Lastwagen auf den Julier wird ein Spektakel für sich, zu dem es auch eine Veranstaltung gibt (siehe Infokasten). Danach geht es ans Zusammenfügen. Auch wenn der Turm filigran und transparent wirken soll, muss er doch an dieser extremen Lage so einigem standhalten können. Uffer und seine Leute bauen im Grunde eine hochalpine Schutzhütte – mit der Architektur eines Luftschlosses.

Damit das Juliertheater aber auch wie vorgesehen im Winter bespielt werden kann, wird man nach der ersten Spielzeit noch eine weitere Bauetappe einlegen. Dafür müssen die Mittel aber erst noch erwirtschaftet werden. Origen hat sich dafür ein spezielles Fördersystem ausgedacht, bei dem man Teile der Konstruktion wie Logenfenster oder Sitze «kaufen» kann.

Intendant Giovanni Netzer.

Theater in der Vertikalen

Wie spielt man Theater in einem Turm? Im Moment kann sich das wahrscheinlich nur Netzer selbst wirklich vorstellen. Er spricht von der grossen Herausforderung der Vertikalität. Gewiss wird der Eindruck der Höhe im Innern gewaltig sein. Die Bühne hängt man als runde Platte freischwebend an Stahlseile. Sie kann so von den tiefsten Abgründen in himmlische Höhen gefahren werden. Viel radikaler kann man tatsächlich nicht Abschied nehmen vom klassischen Guckkasten-Theater. Dieses von ihm erklärte Ziel erreicht Netzer ganz bestimmt.

Das Theater vor dem Theater: Veranstaltungen um den Bau des Julierturmes

Bereits die Vorbereitungen für das Aufrichten des Julierturms sind ein Spektakel für sich. Origen lädt deshalb die Bevölkerung zu einer Reihe kostenloser Veranstaltungen ein, die den Bau begleiten. 

Freitag, 19. Mai, 19 Uhr
Das grosse Rechnen

Damit der 30 Meter hohe Turm Stürmen und Lawinen standhält, muss die Statik stimmen. Dafür zuständig ist der renommierte Holzbauingenieur Walter Bieler. In seinem Atelier in Bonaduz (Via Plazzas 14) zeigt er, worauf es ankommt.

Freitag, 16. Juni, 18 Uhr
Wo Türme sich türmen

Die zehn begehbaren Eckpfeiler, welche das Gebäude tragen, werden in den Werkhallen der Firma Uffer in Savognin vorgefertigt. Enrico Uffer und Urs Hefti führen durch die hölzerne Turmlandschaft und laden zum Umtrunk. 

Donnerstag, 29. Juni, 21.30 Uhr
Die Nacht der Kurven

40 fünfeckige Module von gewaltigen Ausmassen sind es schliesslich, die nach der Fertigung in Savognin auf Sattelschlepper verladen und auf den Julier geschafft werden, wo sie zum Turm zusammengesetzt werden. Weil dafür die Passstrasse streckenweise gesperrt werden muss, führt man den Transport in der Nacht durch. Millimeterarbeit muss dabei in Mulegns und Bivio geleistet werden. Den ersten Lastwagen kann das Publikum im Hotel «Löwen» in Mulegns erwarten, während der Schauspieler Samuel Streiff Turmgeschichten von Kafka bis Hofmannsthal liest. 

Mittwoch, 12. Juli, 18.30 Uhr
Tanzen auf Baustellen

Während der Turm in die Höhe wächst, wird eine öffentliche Baustellen-Besichtigung durchgeführt. Dabei treten Mitglieder der beteiligten Tanzgruppe aus Hamburg auf und geben einen Vorgeschmack auf die neuartige Theaterwelt des Julierturms.

Montag, 31. Juli 15 Uhr
Alain Berset eröffnet


Am Vorabend des Nationalfeiertags eröffnet Bundesrat Alain Berset den Turmbau auf dem Julier. Erwartet wird eine grosse Rede an erhabenem Ort umrahmt von romanischen Klängen.

Donnerstag, 3. August, 19 Uhr
Premiere «Grosse Apokalypse»


Oper von Gion Antoni Derungs.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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Sie schreiben:
"Donnerstag, 3. August, 19 Uhr
Premiere «Grosse Apokalypse»"
Wie treffend.
Auf den Fotos sehe ich bloss Grinser, für mich entspricht das dem Tourismus generell.
Ob Turm zu Vals (Phalls Femme), Zumthors Musikhotel Braunwald (die wahre Tragikomödie), die lärmig-abgasigen Openairs (mit denen man quasi inflationär/ubiquitär Naturwerte konterkariert wie ich finde), dem Gesundheitstourismus (den ich anders definiere): Wo sind statt der "Vorgestrigen" bloss die "Charakterecharismatiker von gestern"? Eine der SO-Umfragen wollte mal wissen, ob es Grössen wie David Bowie in Zukunft auch noch geben werde. Menschen mit eigenem Kopf für das Wahre. Mir scheinen die eher auf der Roten Liste zu stehen der aussterbenden Fauna/Flora. Stattdessen gleich- und weichgespülte Smartphone-Flusskiesel wie Sand am Meer.

Mich dünkt ihre "Kritik" hier eher als ein flott geschriebenes kleines Essay zur eigenen Ungemütlichkeit. Substantielle Kritik an dem Gebäude oder auch nur an seinem Zweck äussern Sie nicht. Und bei einer Einweihung zu grinsen ist ja eigentlich passend.

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