Zaghaftes Erwachen: Welche Blumen jetzt als Erste spriessen
Die ersten Blumen spriessen – doch ist das Primeli wirklich die Nummer eins? Eine Bündner Biologin klärt auf.
Die ersten Blumen spriessen – doch ist das Primeli wirklich die Nummer eins? Eine Bündner Biologin klärt auf.
Von Susanne Turra
Sie sind die ersten Vorfrühlingsboten. Die Primeln. Das sagt jedenfalls ihr Name. Auf Lateinisch heissen die Blumen nämlich Primula. Das kommt von Primus und bedeutet das Erste. Aber, ist das Primeli im Vorfrühling wirklich das Erste?

Das Schneeglöckchen ist das Erste
«Nein», sagt Carole Spori und lacht. «Eigentlich ist das Schneeglöckchen das Erste.» Es ist Mittwochnachmittag, der letzte im Februar, auf der Parkanlage Rosenhügel in Chur. Das Wetter ist verhangen, eher trüb für Churer Verhältnisse. Grau statt blau. So viel gleich vorneweg: Rosen sind es nicht, die auf dem Rosenhügel blühen. Und es herrscht auch nicht etwa ein buntes Treiben da oben. Dafür ist es noch zu früh. Es ist ein zaghaftes Erwachen der Natur. Für die Biologin Carole Spori Grund genug, die ersten Vorfrühlingsblumen zu suchen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Pro Natura macht sich auf den Rundgang im Park – und sieht die ersten Primeln. In sanfter gelber Farbe zeigen sie sich am Wegrand. «Die wilden Primeln sind gelb», erzählt die Biologin. «Jene in den knalligen Farben Rot, Pink und Orange sind gezüchtete Primeln.» Doch, wo sind denn nun die Schneeglöckchen? Carole Spori zuckt mit den Schultern. Sie kann es sich nicht wirklich erklären, aber hier sind einfach keine Schneeglöckchen zu sehen. «Das ist schon sehr speziell», wundert sie sich. «Vom Lebensraum her würde es hier nämlich gut passen.» Nun gut. Die Biologin hat sie andernorts schon gefunden. Auf dem Grillplatz am Rhein gibt es nämlich ganz viele Schneeglöckchen. Dafür aber keine anderen Blumen. So ist die Natur.
Die Strategie der Blumen
Zurück auf den Rosenhügel. Doch, warum sind die Schneeglöckchen überhaupt die Ersten? «Die Schneeglöckchen können ihre eigene Wärme produzieren, wenn sie die Sonnenstrahlen durch den Schnee fühlen können», erklärt Carole Spori. «So können sie sogar durch die Schneedecke kommen.»

Und wenn die Sonne lang genug scheint, weicht der Schnee und lässt auch den anderen Blumen den Vortritt. Die Primeln kommen aber nicht viel später. Und immerhin – sie bringen ein bisschen Farbe mit. Die Schneeglöckchen sind ja einfach weiss und grün. Klar. Weiss wie Schnee eben. Die Primeln sind aber nicht so robust wie die Schneeglöckchen. Wenn ein Primeli früh blüht, wird die Blüte welk und dafür blüht wieder ein anderes. Es ist ein bisschen aufgeteilt bei ihnen. Die Schneeglöckchen indessen, die sterben wegen ein bisschen Schnee und Kälte schon gar nicht mehr. So oder so. «Es gibt verschiedene Treiber», sagt die Fachfrau. «Schneeschmelze, Sonnenlicht, Temperaturen.» Und das ist gut so. Denn, wenn es keinen Schnee gibt, kommen gewisse Blumen wegen des fehlenden Lichts oder der Kälte doch noch nicht raus. Wenn es nämlich plötzlich wieder kälter wäre oder nochmals schneien würde, wäre das für die Blumen nicht gut. Übrigens sind Primeln eher in Wiesen zu beobachten. Schneeglöckchen und Leberblümchen sind eher Waldblumen. Die Waldblumen wachsen in der Regel früh und schnell, bevor die Bäume im Wald Blätter bekommen. So können sie vom Licht profitieren. Jede Blume hat eben ihre eigene Strategie, sich zu präsentieren. Zu überleben. Die Erste zu sein.

Die Blühsaison wird immer länger
Die Biologin geht weiter – und findet Leberblümchen. Ihr kräftiges Lila bringt Farbe in den bewölkten Tag. Noch sind die Blüten zu. Vielleicht ist es einfach noch zu kalt. Übrigens heissen die Leberblümchen so wegen ihrer Blätter. Diese bekommen eine dunkelrote Farbe und haben eine leberähnliche Form. «Im Fürstenwald gibt es momentan ganz viele davon», weiss Carole Spori. Die Pflanzenliebhaberin geht weiter – und trifft auf ein paar Krokusse. Auch sie wissen sich vor Kälte zu schützen. Sie haben nämlich eine wachsähnliche Schicht auf den Blättern. Das schützt sie vor Frost. «Viele Bergpflanzen haben auch so etwas wie ein Antifrostmittel», erklärt die Biologin. «Das verhindert, dass sie erfrieren und kaputtgehen.» Im Juli ist es in den Bergen so, wie es im Frühling im Tal ist. Der Schnee schmilzt in den höheren Lagen später. Und so verschiebt sich alles nach hinten. «Man merkt generell einen Unterschied zu den letzten Jahren», so Carole Spori. «Die Blumen blühen früher. Die Blühsaison wird immer länger.» Das zeigt sich auch gleich beim kleinen Springbrunnen auf dem Rosenhügel. Eine ganze Kultur an Alpenveilchen zieht sich unter den Bäumen der Wiese entlang. Aber Achtung: Alpenveilchen, die im Frühling blühen, kommen in der Schweiz eigentlich nicht vor. Sie sind verwildert. Dies im Gegensatz zum europäischen Alpenveilchen, welches aber erst im September bei uns blüht. So oder so. Sie sind wunderschön violett und erinnern ein bisschen an die Primeln. Auch Löwenzahnblätter sind zu sehen. Und frisches Gras. Es ist am saftigen Grün zu erkennen, das sich vom strohfarbigen alten Gras deutlich abhebt. Und auch die Pollensaison ist gestartet. Dies natürlich zum Missfallen der Heuschnupfengeplagten. Die Hasel blüht und die Kätzchen strecken sich zentimeterlang an den Bäumen. «Jetzt ist es nicht mehr aufzuhalten», sagt Carole Spori. «Jetzt wird es jede Woche neue Blumen geben.» Doch, was passiert, wenn doch noch einmal Schnee kommt? «Mit den Schneeglöckchen passiert nichts», so die Biologin. «Die anderen Blumen werden vielleicht sterben. Wenn sie schon geblüht haben, werden sie nächstes Jahr aber wieder blühen.»

Die Reserven im Boden
Sie haben ihre Reserven im Boden und werden den Sommer über weiterleben. Einfach halt nur mit den Blättern. Die Blüten sind eigentlich nur das Produktionsorgan für den Samen. Bei den Zwiebelblumen und Rhizompflanzen ist das so. Sie blühen in der Regel nur einmal im Jahr. Der Vorfrühling hat also Einzug gehalten. Man kann ihn buchstäblich riechen. Oder nicht? «Ich kann gerade nichts riechen», entgegnet die Blumenliebhaberin und lacht. «Aber vielleicht riecht man ihn, wenn der Schnee schmilzt und die Erde wieder ans Tageslicht kommt.»
Es riecht nach Erde
Im Moment riecht es nach Erde. Die Eiszeit indessen ist geruchlos. Die Natur schläft. Sie ist aber nicht tot. Sie lebt. Und das beruhigt. Doch, wo sind eigentlich die Tulpen und Narzissen? «Die blühen erst später», schliesst Carole Spori. «Rechtzeitig zu Ostern sind sie dann da.
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