×

Unsichtbare Last: Wie psychische Erkrankungen Familien prägen

Laura Regli aus dem Domleschg spricht über ihre Erfahrungen als Mutter eines psychisch erkrankten Sohnes. Sie enthüllt Herausforderungen und fordert mehr Unterstützung für Angehörige.

Mauro
Sutter
20.03.24 - 17:36 Uhr
Graubünden
Im Gespräch: Laura Regli beantwortet Fragen zu ihrem Sohn und den Herausforderungen einer psychischen Erkrankung.
Im Gespräch: Laura Regli beantwortet Fragen zu ihrem Sohn und den Herausforderungen einer psychischen Erkrankung.
Bild Livia Mauerhofer

Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Betroffen sind dabei nicht nur die erkrankten Personen, auch das Umfeld spürt die Auswirkungen und ist gefordert. Schweizweit sind aktuell 2,1 Millionen Menschen in dieser Rolle, wie eine repräsentative Studie der Angehörigenorganisation Stand by you Schweiz zeigt. Das ist beinahe ein Viertel der Bevölkerung. 59 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz waren in ihrem Leben bereits einmal in der Rolle eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson von Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Laura Regli setzt sich im Vorstand des Vereins VASK Graubünden ehrenamtlich für Angehörige psychisch erkrankter Menschen ein. «Unsere Hauptaufgabe ist es, die Angehörigen zu unterstützen, und wir wollen mithelfen, die Psychiatrie menschlicher zu gestalten», erklärt sie. Der Verein biete Raum für das Teilen von Erfahrungen und für gegenseitige Unterstützung. Regli, selbst Mutter eines Sohnes mit der Diagnose Schizophrenie, teilt mit Betroffenen ihre persönlichen Erfahrungen und die Herausforderungen, die sie und ihre Familie meistern müssen.

Schleichende Entwicklung

«Es war ein schleichender Prozess, bei dem wir anfangs nicht wussten, was genau vor sich ging», erinnert sich Regli an die frühen Anzeichen der Erkrankung ihres Sohnes. Sie seien unsicher gewesen, ob das Verhalten ihres Sohnes der normalen pubertären Entwicklung geschuldet sei oder ob sie sich weitere Sorgen machen müssten.

«Es war ein schleichender Prozess, bei dem wir anfangs nicht wussten, was genau vor sich ging.»

Laura Regli, Vorstandsmitglied Verein «VASK Graubünden»

Ausgehend von dieser belastenden Situation, gab es laut Regli immer mehr Streit in der Familie. Neben Auseinandersetzungen, wie sie während der Pubertät auftreten könnten, seien dann der Konsum von Substanzen und ein verstärkter Rückzug hinzugekommen. «Er bevorzugte es, nachts aktiv zu sein, wenn wir schliefen», sagt Regli. Dadurch habe es auch zunehmend Probleme in der Schule gegeben. Gemeinsam mit dem schulpsychologischen Dienst suchten die Eltern nach Lösungen. Vom Gymnasium wechselte der Sohn zurück in die Sekundarschule und schliesslich in ein Schulheim. 

Im Schulheim habe er eine gute Unterstützung erhalten und sei von engen Bezugspersonen betreut worden. Leider habe ihrem Sohn am Ende auch diese Form der Betreuung nicht geholfen. So entschieden sich die Eltern, seinen Zustand in einer Klinik abzuklären.

Diagnose Schizophrenie

Dann kam die Diagnose: Schizophrenie. Das war für die Familie ein Schock. «Als uns die Diagnose erklärt wurde, fühlte es sich sehr definitiv an mit wenig Spielraum für Unterstützung oder Hoffnung», berichtet Regli. Dieser Moment änderte vieles für sie persönlich und zwang sie, über ihre eigene Lebensweise nachzudenken. Das Engagement im Verein VASK Graubünden sei für sie ein wichtiger Schritt gewesen. Der Verein habe es ermöglicht, ihre Erfahrungen produktiv zu nutzen und anderen Angehörigen zu helfen.

Die Diagnose ihres Sohnes habe das Familienleben auf den Kopf gestellt, erzählt Regli weiter. «Anfangs legten wir unsere Hoffnungen in das Gesundheitssystem. Die Situation zu verstehen, brauchte seine Zeit», erinnert sie sich. Der Weg zur richtigen Unterstützung sei nicht einfach gewesen, vor allem, da ambulante Dienste zwar vorhanden gewesen seien, aber zu dieser Zeit passende stationäre Angebote im Kanton gefehlt hätten.

Tägliche Herausforderungen

Die täglichen Herausforderungen seien nicht zu unterschätzen. «Manchmal brauchte es viel mehr Begleitung, als es in seinem Alter üblich wäre», erklärt Regli. Alltägliche Dinge wie das Aufstehen oder das Tragen sauberer Socken führten zu schwierigen Diskussionen. Zusätzlich erschwerte der verschobene Tag-Nacht-Rhythmus ihres Sohnes das Familienleben erheblich. Häufig blieben eine grosse emotionale Anspannung und Unsicherheit: «Wie können wir heikle Situationen umgehen? Klappt ein vereinbarter Termin, oder verschwindet der Sohn im letzten Augenblick wieder, und wie geht es ihm, wenn er wieder auftaucht?»

«Es ist ein Balanceakt.»

Laura Regli, Vorstandsmitglied Verein VASK Graubünden

Trotz der Schwierigkeiten habe die Familie mit der Zeit Strategien entwickeln können, um mit den Herausforderungen umzugehen und die eigene psychische Gesundheit zu schützen. «Es ist ein Balanceakt», sagt Regli und führt weiter aus: «Es ist sehr wichtig, im Bezug auf die Betreuung hartnäckig zu bleiben und sich Unterstützung zu holen.»

Fehlende gesellschaftliche Wahrnehmung

Auf die Frage nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung psychischer Erkrankungen merkt Regli an, dass es noch ein langer Weg sei, bis psychische Erkrankungen wie andere Krankheiten akzeptiert und offen angesprochen würden. «Es ist teilweise noch ein Tabuthema», sagt sie. Das bringe viel zusätzliches Leid und Druck mit sich.

Regli wünscht sich für ihren Sohn, dass er einen Platz findet, welcher ihm Stabilität und eine Perspektive bietet. Sie hofft, dass die Gesellschaft offener und integrativer für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen wird, und sie betont die Notwendigkeit, ambulante Angebote sowie die Betreuung im Umfeld der Betroffenen auszubauen.

Botschaft an Betroffene

Abschliessend richtet Regli eine Botschaft an andere Familien in ähnlichen Situationen: «Bleiben Sie hartnäckig, holen Sie sich Unterstützung, und geben Sie nicht auf. Engagierte Angehörige sind in der psychischen Gesundheitsversorgung unerlässlich, und sie dürfen mit Selbstbewusstsein ihre Erfahrungen einbringen. Sie sind systemrelevant.»

«Bleiben Sie hartnäckig, holen Sie sich Unterstützung, und geben Sie nicht auf.»

Laura Regli, Vorstandsmitglied Verein «VASK Graubünden»

Stand by You Schweiz
Die VASK Schweiz, gegründet vor 25 Jahren als Zusammenschluss regionaler Angehörigenorganisationen, hat sich neu aufgestellt. Unter dem Namen Stand by You Schweiz setzt sie sich für die Belange von Angehörigen und Vertrauten psychisch Erkrankter ein. Ihr Ziel ist es, deren Perspektiven zu stärken und zur Verbesserung der Psychiatrie in der Schweiz beizutragen.

Studie durchgeführt von Stand by You Schweiz in Zusammenarbeit mit Sotomo

Link zur Studie

Hier finden Eltern und Kinder Unterstützung

Mögliche Unterstützungsangebote

VASK Graubünden (Beratungstelefon: 081 353 71 01, E-Mail: vask.graubuenden@bluemail.ch, Webseite: www.vaskgr.ch)

Stand by You Schweiz (Beratungstelefon: 0800 840 400, E-Mail: phone@standbyyou.ch, Webseite: www.stand-by-you.ch)

Netzwerk Angehörigenarbeit (Webseite: www.angehoerige.ch)

Pro Mente Sana (Beratungstelefon: 0848 800 858, E-Mail: kontakt@promentesana.ch, Webseite: www.promentesana.ch)

Pro Junior Graubünden (Beratungstelefon: 081 252 17 18, E-Mail: info@projunior-gr.ch)

Elternnotruf (Zentrale: 044 365 34 00, Beratungstelefon: 0848 35 45 55, E-Mail: 24h@elternnotruf.ch)

Sorgentelefon für Kinder (Beratungstelefon: 0800 55 42 10, SMS: 079 257 60 89, E-Mail: sorgenhilfe@sorgentelefon.ch)

Die dargebotene Hand (Beratungstelefon: 143, E-Mail: Link, Chat: Link)

Adebar (Beratungstelefon: 081 250 34 38, E-Mail: beratung@adebar-gr.ch)

Pro Juventute (Elternberatung – Beratungstelefon: 058 261 61 61 E-Mail: elternberatung@projuventute.ch; Kinder und Jugendliche – Beratungstelefon: 147, SMS: 147, E-Mail: beratung@147.ch, Webseite: www.147.ch)

Kampagne «Wie geht’s Dir?» (Webseite: www.wie-gehts-dir.ch, Google Play Store: Download, App Store: Download)

Mauro Sutter ist Onlineproduzent bei «suedostschweiz.ch». Nach der Ausbildung zum Mediamatiker hat er das Studium Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden in Chur absolviert. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung hat Mauro sich 2023 der Medienfamilie Südostschweiz angeschlossen. Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Jetzt für den «Abentüürland»-Newsletter anmelden

Mit unseren Tipps & Tricks für den Familienalltag jeden Dienstag top informiert sein.

Mehr zu Graubünden MEHR
prolitteris