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Corona verschont Altersheime in See-Gaster weitestgehend

Im Kanton St. Gallen gibt es mehrere Altersheime mit an Covid-19 erkrankten Bewohnern. In Zürich ist gar die Hälfte der Todesfälle in Heimen aufgetreten. Das Linthgebiet bleibt dagegen verschont – zumindest fast. Am meisten Mühe bereitet derzeit das Besuchsverbot.

Fabio
Wyss
22.04.20 - 22:42 Uhr
Ereignisse
Positiv: Die Pflegeheime in der Region haben so gut wie keine Coronafälle zu beklagen – kämpfen aber mit dem Besuchsverbot..
Positiv: Die Pflegeheime in der Region haben so gut wie keine Coronafälle zu beklagen – kämpfen aber mit dem Besuchsverbot..
BILDER MARKUS TIMO RÜEGG

Drei Bewohner des Pflegezentrums Linthgebiet sitzen auf einer Bank vor dem Heim und geniessen die Uzner Frühlingssonne. Die friedliche Atmosphäre trügt: «Wir haben zu kämpfen mit psychischen Schwierigkeiten der Bewohner: Vereinsamung, Langeweile und Traurigkeit», sagt Werner Amport, der Heimleiter ad Interim.

Es sind Schwierigkeiten, von denen alle Heime im Land betroffen sind – und das Besuchsverbot gilt nicht nur für die Angehörigen. So finden beispielsweise in Uznach freiwillige Helferinnen und gar der Therapiehund keinen Einlass.

Mehrwert begeistert nicht alle

Deswegen beschloss das Team des Pflegezentrums eine Besucherbox einzurichten. Nur durch eine Glasscheibe getrennt, können dadurch Bewohner mit ihren Angehörigen telefonieren. Die Box erinnert zwangsläufig an die Besucherzellen im Gefängnis. Amport sagt aber: «Der direkte Sichtkontakt bietet einen Mehrwert – auch wenn wir zudem eine Skype-Station für Videotelefonie im Haus haben.»

Etwa einmal täglich werde diese Besucherbox genutzt. Amport erwähnt aber, dass nicht alle Bewohner begeistert seien vom Angebot: «Wenn wir aber nur schon einer Handvoll der 49 Bewohnern helfen können, lohnt sich der Zusatzaufwand.»

Dieser ist beträchtlich: Damit die Bewohner die Besucherbox erreichen, muss das Pflegepersonal sie ins Erdgeschoss des Heims begleiten. In einem umfunktionierten Sitzungszimmer steht vor der Glastüre ein Stuhl, zwei Telefone und genügend Desinfektionsmittel bereit. Ausserhalb der Glastüre wurde extra ein Zelt errichtet, damit Angehörige vor der prallen Sonne oder fremden Blicken geschützt sind. Nach dem Gespräch desinfizieren Angestellte alle Gegenstände, die berührt wurden.

 

Alles bereit für die Besucherbox: Ein Stuhl, zwei Telefone und Desinfektionsmittel.
Alles bereit für die Besucherbox: Ein Stuhl, zwei Telefone und Desinfektionsmittel.

Kreative Idee mit Makel

Wegen dieses Aufwandes sahen andere Heime in der Region davon ab, eine solche Besucherbox einzurichten. Raffael Konrad, Heimleiter des Schänner Alters- und Pflegezentrums Kreuzstift attestiert, dass die Besucherbox eine gute Idee ist, sagt aber auch: «Berühren und umarmen kann man auch in der Besucherbox nicht.» Im Kreuzstift können die 87 Bewohner ihre Kontakte zur Familie mit Videogesprächen via Skype aufrecht erhalten. Ausschliessen, dass je nach Dauer des Besuchsverbots eine Box eingerichtet wird, will Konrad aber nicht.

Einen anderen Grund, der gegen eine solche Besucherbox spricht, nennt Bruno Kehl, Heimleiter der Eschenbacher Pension Mürtschen und des Altersheims Berg: «Die Angehörigen unserer Bewohner leben in der ganzen Schweiz verteilt. Wir wollten verhindern, dass sie wegen der Besucherbox nach Eschenbach reisen und das Virus verbreiten.» Dafür stehe seinen Bewohnern ein separater Raum zur Verfügung. In diesem könne in Ruhe mit einem Laptop per Skype telefoniert werden.

Beim Gommiswalder Wohn- und Pflegezentrum Tertianum könnten Besucherboxen noch kommen: «Wir haben bisher noch keine im Einsatz. Wir werden diese Option aber prüfen», sagt Alain Gozzer von der Kommunikationsabteilung der Tertianum-Gruppe. In Gommiswald hätten viele der Bewohner schon vor dem Besuchsverbot von sich aus agiert, und sich mit ihren Angehörigen entsprechend technisch eingerichtet. Für die anderen stünden Stationen für die Videotelefonie zur Verfügung.

Stadt verteilt Smartphones

Auch in Rapperswil-Jona gibt es keine Besucherboxen. Daniel Lätsch, Präsident der Alters- und Gesundheitsstiftung Rajovita, zeigt sich aber erfreut über die Hilfe von der Stadtverwaltung: «Sie stellten uns spontan Smartphones zur Verfügung.» Mit diesen führen die rund 160 Bewohner der verschiedenen Alterseinrichtungen von Rajovita Videogespräche mit den Angehörigen. Das Angebot werde rege genutzt und gefalle den Bewohnern, so Lätsch. Trotzdem sei es hart, dass Verwandte nicht persönlich getroffen werden können. «Im Grunde genommen wissen aber alle, dass es um ihr Leben geht», sagt der Stiftungsratspräsident. Dahingegen gibt Amport vom Pflegezentrum Linthgebiet zu bedenken, dass die momentane Situation nicht für alle Bewohner bewusst nachvollziehbar ist.

In Eschenbach spricht Heimleiter Kehl von einzelnen Personen, die Mühe haben, die Einschränkungen zu verstehen. «Der grosse Teil ist sehr einsichtig und macht beim abgeänderten Tagesprogramm mit.» Dass die Bewohner nicht ohne Begleitung, rausgehen können, mache aber einigen zu schaffen.

Der Selbsttest: Das Interview mit Heimleiter Werner Amport führt Redaktor Fabio Wyss durch die Glasscheibe.
Der Selbsttest: Das Interview mit Heimleiter Werner Amport führt Redaktor Fabio Wyss durch die Glasscheibe.

Zwei infizierte Angestellte

Entsprechend gefordert ist das Personal. Die befragten Heimleiter zeigen sich allesamt dankbar gegenüber ihren Angestellten. Nicht nur, weil ihre Arbeit momentan besonders wichtig ist, sondern auch, weil sie eine hohe Verantwortung tragen. Sie könnten als fast einzige das Virus in die Heime einschleusen. So berichtet das Pflegezentrum Kreuzstift von zwei Angestellten, die zu Beginn der Krise positiv getestet wurden. Sie begaben sich vorzeitig in Quarantäne. «Dank der schnellen und vorbildlichen Reaktion der Mitarbeiterinnen konnten wir aber Ansteckungen im Kreuzstift ausschliessen», sagt Heimleiter Konrad.

Damit das so bleibt, wird das Besuchsverbot bis mindestens zum 30. April schweizweit aufrecht erhalten. Der Uzner Heimleiter Amport wagt keine Prognose, ob es darüber hinaus verlängert wird. Trotz Besuchsverbot gewähre der Kanton St. Gallen den Heimen schon jetzt eine Ausnahme: Besucher erhalten Einlass, wenn angehörige Bewohner im Sterben liegen – aber nur unter strikten Auflagen.

Gefahrenherd Altersheime: Das Linthgebiet hat Glück in der Krise
Altersheime gelten als besonders anfällig für Viren. Das zeigt sich auch jetzt: Über die Hälfte der 90 Coronatoten im Kanton Zürich haben sich in einem Alters- oder Pflegeheim angesteckt. Im Kanton St. Gallen ist es rund ein Drittel der 29 Todesfälle. «Mehrere Altersheime sind von Ausbrüchen betroffen», sagt Kantonsärztin Danuta Reinholz. Von unkontrollierten Ausbrüchen könne aber keine Rede sein. Das Linthgebiet wurde dagegen verschont, derzeit gibt es nur einen Verdachtsfall. Aus Gründen der Diskretion werden die betroffenen Alters- und Pflegeheime nicht genannt.
Dass See-Gaster so glimpflich davon kommt, ist nicht selbstverständlich. Daniel Lätsch, Stiftungsratspräsident von Rajovita, sieht den Grund dafür beim Personal: «Dank des vorbildlichen Verhaltens der Mitarbeitenden, konnte der Risikofaktor, der von aussen droht so klein wie möglich gehalten werden.» (wyf)

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