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Als der Berg Piuro verschlang

Letztes Jahr war Bondo, vor 400 Jahren Piuro. 1000 Tote waren zu beklagen. Jetzt wird die Geschichte wieder einmal neu erzählt.

Ruth
Spitzenpfeil
28.08.18 - 19:36 Uhr
Ereignisse
Heutiger Blick auf die Historie: Still aus dem mit 3-D-Laserscanner hergestellten Video (siehe unten).
Heutiger Blick auf die Historie: Still aus dem mit 3-D-Laserscanner hergestellten Video (siehe unten).
COMMUNE DI PIURO

Es klang noch im drei Kilometer entfernten Chiavenna wie Kanonendonner. Der junge Fortunat von Sprecher, eine Art Aufseher in den Bündner Untertanenlanden, schreckte an diesem 4. September 1618 von seinem Feierabendwein hoch. Plötzlich hörte das Wasser im Fluss Mera auf zu fliessen. Es musste etwas Schreckliches passiert sein. Sobald es wieder hell wurde, begab sich Sprecher talaufwärts und sah das schier Unglaubliche.

 

Berühmte Katastrophe

«Mit höchstem Kummer und Herzleid berichte ich die Herren des kläglichen jämmerlichen Untergangs des hübschen Fleckens Plurs mitsamt dem Dorf Scilano, welcher sich (leider Gott erbarmt) folgender Gestalt begeben», schrieb Sprecher an die Regierung in Chur. Er berichtete von einer «Rüffe», die sich um 20 Uhr abends vom Monte Conto gelöst und den wohlhabenden Ort mit seinen palastähnlichen Häusern unter sich begraben hatte. Heute geht man davon aus, dass sich in etwa drei Millionen Kubikmeter Fels zu Tal wälzten. Das wäre gleich viel wie beim Bergsturz im letzten Jahr im zehn Kilometer entfernten Bondo – allerdings mit weit drastischeren Folgen. Ausser dem abseits auf der gegenüberliegenden Talseite liegenden Palazzo Vertemate blieb kein Haus stehen. Von den rund 1000 Bewohnern überlebte nur eine Handvoll, die verreist war.

«Es ist historisch gesehen der grösste bekannte Bergsturz in den Alpen», sagt der Luzerner Geschichtsprofessor Jon Mathieu. Heute sieht man auf Youtube mit Hilfe von 3-D-Laserscannern hergestellte Animationen der Katastrophe.

Nie wieder aufgebaut

Wiederaufgebaut wurde die begrabene Stadt nie mehr, auch wenn es heute im italienischen Bergell wieder ein Piuro gibt. Dies ist allerdings erst kürzlich als Eingemeindung verschiedener umliegender Dörfer entstanden. 

An der archäologischen Stätte namens Belfort ausserhalb von Borgonuovo wird jetzt das zum 400-Jahr-Jubiläum geschriebene Theaterstück «Quando il sole non tornò. Apocalisse sulla montagna» von Luca Micheletti aufgeführt. Am Erinnerungsgottesdienst nehmen sowohl der Bischof von Como wie auch der von Chur teil.

Veranstaltungen im Bergell:

Konferenz zur Geschichte von Piuro. Sonntag, 2. September, 10.30 Uhr. Palazzo Vertemate.

Heilige Messe für die 1000 Opfer, Dienstag, 4. September, 18 Uhr. Turm der Kirche S. Abbondio.

Theater «Quando il sole non tornò». Dienstag, 4. September, und Mittwoch, 5. September um 20.30 Uhr. Belfort, Borgonuovo.

Veranstaltung in Chur:

Vortrag von Jon Mathieu: Dienstag, 4. September, 20 Uhr. Calvensaal in Chur

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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«Es ist historisch gesehen der grösste bekannte Bergsturz in den Alpen» ...kommt nicht dem Flimser Bergsturz vor ca. 10 000 Jahren diese zweifelhafte Ehre zu? Dieser ist ja schliesslich nicht 'unbekannt'....

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