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Nach 20 Jahren und 1,5 Millionen: Letzte Steine werden gesetzt

Auf Hohen Rätien bei Sils im Domleschg kann diesen Sommer das Sicherungsprojekt Son Gion baulich und finanziell abgeschlossen werden. Das 1500 Jahre alte Baptisterium ist geschützt. Ein langer Kampf um dessen Erhaltung für das Publikum geht definitiv zu Ende.

Jano Felice
Pajarola
27.07.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Schweisstreibend auch unter dem Schutzdach: Projektleiter Rudolf Küntzel (links) und «Burgherr» Ruedi Jecklin erstellen vor dem Baptisterium von Hohen Rätien einen Natursteinboden.
Schweisstreibend auch unter dem Schutzdach: Projektleiter Rudolf Küntzel (links) und «Burgherr» Ruedi Jecklin erstellen vor dem Baptisterium von Hohen Rätien einen Natursteinboden.
JANO FELICE PAJAROLA

Den Abschluss, die letzten Handwerksarbeiten, machen die beiden gleich in Eigenleistung. Ein heisser Tag Ende Juli, die Sonne brennt auf Hohen Rätien herab, aber immerhin können sie im Schatten des inzwischen fertiggestellten Schutzbaus arbeiten, Projektleiter Rudolf Küntzel und Bauherr Ruedi Jecklin als Vertreter der Familienstiftung, der die Anlage gehört: Vor dem Zugang zum frühmittelalterlichen Baptisterium klopfen sie ein Natursteinpflaster in den Unterlagssand, Stein um Stein, seit einer Woche sind die beiden dran, und rechtzeitig vor dem Open Air Hohen Rätien in der kommenden Woche soll der Boden fertig sein. Damit geht diesen Sommer auch das Projekt Son Gion «baulich, organisatorisch und finanziell zu Ende», so Küntzel – fast 20 Jahre nach dem Beginn jener Grabungskampagne des Archäologischen Diensts Graubünden, in dessen Verlauf das frühchristliche Baptisterium von Hohen Rätien, ein Taufraum aus der Zeit um 500 nach Christus, zum Vorschein gekommen ist.

2007 fast die Zuschüttung

Als die Entdeckung 2001 bekannt wurde, avancierte sie zur archäologischen Sensation: Taufbecken für die in der Antike übliche Ganzkörpertaufe sind im Alpengebiet nur wenige erhalten. Wie aber mit dem Fund verfahren? Der Kanton und die Familienstiftung hatten anfangs völlig unterschiedliche Ansichten. Regierungsrat Claudio Lardi verfügte 2007 die Zuschüttung des Grabungsareals. Das Baptisterium wäre unter dem Boden verschwunden. Ein von Ingenieur Jürg Conzett im Auftrag der Stiftung entworfenes erstes Projekt hingegen sah vor, die Formen der entdeckten Anlage an der Oberfläche ablesbar und das Becken für das Publikum sichtbar zu lassen. Das auf 1,3 Millionen Franken veranschlagte Vorhaben war dem Kanton aber zu teuer. Damit begann für «Burgherr» Jecklin ein jahrelanger Kampf dafür, das weitherum einmalige und auch touristisch interessante Baptisterium für das Publikum zu bewahren. Letztlich mit Erfolg, trotz einer zwischenzeitlich «völlig verfahrenen Lage», wie es Jecklin damals formulierte. Acht Jahre nach dem Ende der Grabung konnte die Sicherung der Sakralbauten beginnen.

«Keine Rekonstruktion»

Im Rahmen des Projekts Son Gion wurden die ergrabenen Mauerreste gefestigt und mit einer schützenden Krone versehen, die wertvollen Original-Mörtelböden überdeckt sowie die Zufahrt zur Burganlage saniert. Offen blieb lange Zeit einzig, wie das Baptisterium geschützt werden sollte. «Wir hatten die Befürchtung, Leute würden darin vielleicht Feuer machen oder Abfall entsorgen, wenn man es völlig offen lässt», sagt Jecklin. Von der Idee, das Becken mit einem Deckel zu schliessen, kam man ab, weil man ungünstige Folgen für das Mikroklima im Achteck annehmen musste. «Es gab nur eine Lösung: einen Schutzbau auf dem Grundriss der bestehenden Mauern zu erstellen.» Dieser inzwischen realisierte Bau sei aber «keine Rekonstruktion des Baptisteriums», das betont Jecklin. «Wir wissen ja auch nicht, wie er im oberen Bereich genau ausgesehen hat.» Trotzdem vermittelt er das Raumgefühl, das man einst bei der Taufe gehabt haben könnte, und dank einer Mauerfuge ist unter anderem noch die Tür erkennbar, durch die der frisch Getaufte zum ersten Mal in die Kirche nebenan eintreten durfte – bis zur Sakramentserteilung war es ihm gemäss damaligem Ritus verboten.

Für Besucher wird das Baptisterium in Zukunft nur auf Führungen direkt zugänglich sein, Gucklöcher werden jedoch jederzeit Einblicke in den antiken Taufraum bieten. In Arbeit ist ausserdem eine für 2019 geplante Inszenierung der Burganlage mit zehn Posten auf dem gesamten Gelände, an denen man dank einer Smartphone-App Informationen zu Hohen Rätien erhalten kann. Jecklin und Küntzel hoffen, dass sich dabei über Virtual Reality auch eine Taufszene nachvollziehen lässt. Für den Unterhalt des achteckigen Beckens und der Stellen mit originalem Wandmörtel wird notabene der Archäologische Dienst zuständig sein, ein entsprechendes Konzept ist erstellt.

Kostenstand: 1,52 Millionen

Die 1,52 Millionen Franken für das Projekt Son Gion sind durch Beiträge von Bund und Kanton sowie von verschiedenen Institutionen zusammengekommen; aktuell fehlen laut Küntzel noch 25 000 Franken. Und für die geplante Inszenierung wird man weitere Mittel sammeln müssen. Trotzdem können er und Jecklin nun aufatmen. «Die Erneuerungs- und Unterhaltsarbeit wird uns auf Hohen Rätien nicht ausgehen», das weiss Jecklin. «Aber der grosse Brocken ist jetzt geschafft.»

Jano Felice Pajarola berichtet seit 1998 für die «Südostschweiz» aus den Regionen Surselva und Mittelbünden. Er hat Journalismus an der Schule für Angewandte Linguistik in Chur und Zürich studiert und lebt mit seiner Familie in Cazis, wo er auch aufgewachsen ist. Mehr Infos

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