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High Noon im Glockenstreit

Aufgrund einer Beschwerde wird über das nächtliche Geläut der Davoser Kirche St. Johann entschieden. Ein ähnlicher Fall hat das Bundesgericht beschäftigt.

Béla
Zier
01.05.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Glockenschlag nervt Ferienwohnungsbesitzer: Der Turm der Kirche St. Johann ist das Davoser Wahrzeichen.
Glockenschlag nervt Ferienwohnungsbesitzer: Der Turm der Kirche St. Johann ist das Davoser Wahrzeichen.
BÉLA ZIER

Der druckfrische Jahresbericht der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Davos Platz enthält auffallend viele Fotos des Kirchturms und der Glocken der Kirche St. Johann. In einer kurzen Textpassage wird sogar darüber informiert, dass das Gesamtgewicht aller sechs Glocken 10 360 Kilogramm beträgt. Dies alles könnte als Hinweis auf das umstrittenste Traktandum an der Ende Mai anstehenden ordentlichen Kirchgemeindeversammlung gedeutet werden. Dann wird darüber entschieden, ob die Glocken von St. Johann in der Nacht weiterhin schlagen oder nicht.

Dass sich der Kirchgemeindevorstand und die Kirchgemeindeversammlung mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, ist auf den Ferienwohnungsbesitzer G. M. (Name der Redaktion bekannt) zurückzuführen. Der in Graubünden wohnhafte Mann nervt sich über die nächtlichen Glockenschläge und hat seinem Ärger in einer Beschwerde Luft gemacht (Ausgabe vom 29. August 2017).

Vorstand arbeitet Vorschlag aus

Noch liege der Vorschlag, welcher der Kirchgemeindeversammlung präsentiert werden soll, nicht vor, teilte Andrea Trepp auf Anfrage mit. Er ist Vizepräsident der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Davos Platz. Ihr gehört die Kirche St. Johann, deren auffällig verdrehter und rund 72 Meter hoher Turm als Wahrzeichen von Davos gilt.

Zur Stossrichtung des Vorschlags des Kirchgemeindevorstands sagte Trepp: «Das kann ich effektiv noch nicht sagen, wir müssen das noch mal aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen und im Detail besprechen.»

«Störend in der Einschlafphase»

Die Turmuhrschläge von St. Johann ertönen in der Nacht in keinem anderen Rhythmus als am Tag. Alle Viertelstunde ist ein Dreiklang zu vernehmen und zur vollen Stunde ein vierfach wiederholter Dreiklang. Eine volle Stunde wird zudem analog der Uhrzeit durch die entsprechende Anzahl Glockenschläge wiedergegeben, dies in einem hohen und danach tieferen Ton.

Die Ferienwohnung von G. M. liegt in der Nähe zur Kirche und wird vom Besitzer auch an Touristen vermietet. Wegen des «sinnlosen doppelten Stunden-Glockenschlags» würden immer mehr Gäste Davos fernbleiben, hatte sich der Mann in seiner Beschwerde ereifert. Sehr störend sei das Glockengeläut vor allem in der Einschlafphase. Auf Anfrage hatte der Beschwerdeführer dargelegt, dass er nicht gegen Kirchen und Glocken sei, er es aber als «idiotisch» empfinde, dass die Stunden doppelt geläutet würden. Er habe Gäste, die deshalb nicht mehr nach Davos kämen (Ausgabe vom 22. September 2017).

Kein Gang vor Gericht

Sollte die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Davos Platz am nächtlichen Glockengeläut festhalten, will der Ferienwohnungsbesitzer deswegen nicht den Rechtsweg beschreiten. Das jedenfalls hatte G. M. gegenüber dieser Zeitung versichert. Seine Aussichten, vor Gericht zu gewinnen, wären höchstwahrscheinlich auch ziemlich aussichtslos. Das zeigt ein Entscheid, den das Bundesgericht im vergangenen Dezember in einem ähnlich gelagerten Fall gefällt hat.

Als «lokale Tradition» eingestuft

In Wädenswil (Zürich) wollte ein Ehepaar, das rund 200 Meter vom Kirchturm entfernt wohnt, den nächtlichen Viertelstundenschlag abschaffen. Die Lausanner Bundesrichter entschieden, dass die Glocken nachts weiter alle 15 Minuten schlagen dürfen. In der «Zürichsee-Zeitung» hatte es dazu unter anderem geheissen, dass laut Bundesgericht berücksichtigt werden muss, dass «der nächtliche Glockenschlag in Wädenswil eine lokale Tradition darstellt». In der Stadt Wädenswil hatten 2000 Personen eine Petition unterzeichnet, die sich für die Beibehaltung des Glockengeläuts aussprachen.

Béla Zier ist Redaktor der gemeinsamen Redaktion Online/Zeitung «Südostschweiz» und «suedostschweiz.ch» und berichtet über die Region Davos und das Prättigau. Er ist seit 1993 für die Medienfamilie Südostschweiz tätig und arbeitet dort, wo er auch wohnt. In Davos. Mehr Infos

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SO schreibt:
"Dass sich der Kirchgemeindevorstand und die Kirchgemeindeversammlung mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, ist auf den Ferienwohnungsbesitzer G. M. (Name der Redaktion bekannt) zurückzuführen."
Ich schreibe:
Ich finde es Armutszeugnis, dass diese Reform für Ruhe NICHT von Tourismus, GESUNDHEITStourismus, oder gar den "oberweisen" Schäfchenhütern (oje!) initiiert wird.
Die wissenschaftliche Erkenntnislage ist unzweideutig - die von Intuition, gesundem Menschenverstand eh.
Auch tagsüber ist Lärm schädlich, abgesehen davon, dass nicht wenige Menschen, insbesondere Chronischkranke, auch tagsüber schlafen oder allgemein Stille/Nichterschrecken benötigen (beispielsweise Dauerkopfschmerzen, Vegetative Dystonie, Traumas, Herz-/Kreislauf), was insbesondere auf das unselige (abrupter Lärm ist mit Abstand der Gesundheitsschädlichste) Türen-zuknallen mit aler Wucht in Mehrfamilienhäusern zutrifft, eine wahre Seuche! Hochkultur?
WHO: Lärm ist neben Luftverschmutzung grösstes Gesundheitsproblem.
Es gibt neben dem Begriff "Nachtruhe" auch die "Tagesruhe":
Auszug aus der Broschüre "Nachbarschaftslärm" des Kantons Genf:
"Eine ruhige Wohnung stellt den unerlässlichen Gegenpol zur Hektik des Alltags dar. Folglich gilt Ruhestörung als eine gravierende Beeinträchtigung der Privatsphäre.
Was sagt das Gesetz?
Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung ist Ruhestörung tagsüber ebenso wenig erlaubt wie in der Nacht, da Bürger und Bürgerinnen dazu verpflichtet sind, jeden unnötigen Lärm zu vermeiden, und dies ungeachtet der Tageszeit. Dieser Grundsatz ist jedoch während der Nacht noch strenger einzuhalten, um eine Ruhestörung der Nachbarn zu vermeiden."
Eine chronische Lärmbelastung erhöht das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, so eine Publikation in der gestern erschienenen Ausgabe der führenden europäischen Kardiologie-Zeitschrift European Heart Journal.
Dass sich von GRF/GR-Tourismus bzw. der GR-Politik KEINE Bemühungen sehe für meinen seit Jahren geforderten "Gesundheitstourismus auch für Einheimische" (Nachhaltiger Turnaround) bzw. KEINE Fraktionierung/Melioration alias "Ruheräume" (meinetwegen in den angeblich "potenzialarmen Räumen", als Zufluchts-Oasen für Lärmleidende/-flüchtlinge ), die im Beobachter notabene bereits anno 2000 von Fachleuten gefordert wurden, macht mir eigentlich mehr Sorgen als der aktuelle "Bauskandal", den ich eh nur als Spitze des Eisberges (sozialer Kälte) betrachte.
Mein Ideal vomUnternehmer/Politiker: Erfinder, dem Wohl der Menschen dienend.
Tatsächlich sehe ich einfaltsreiche Einfallslosigkeit.

SO berichtet:

"... laut Bundesgericht berücksichtigt werden muss, dass «der nächtliche Glockenschlag in Wädenswil eine lokale Tradition darstellt»."

Ich schreibe:

Rädern und Vierteilen, teeren und federn waren ja auch "Tradition" (in Saudi Arabien gewissermassen heute noch).

Unser Handeln sollte sich nicht nach "Tradition" sondern nach "Richtig" (Erkenntnis) richten.

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