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«Die ordentliche ist auch eine lebenslängliche Verwahrung»

Mathias Fässler ist der Leiter des Bündner Amtes für Justizvollzug. RSO-Reporter Gian Andrea Accola hat sich mit ihm über Verwahrung, nicht angewandte Strafen und die vom Strafvollzug enttäuschte Bevölkerung unterhalten.

19.03.18 - 11:14 Uhr
Ereignisse
Im Gespräch erklärt der Leiter des Amts für Justizvollzug, Mathias Fässler, weshalb die lebenslängliche Verwahrung bis heute noch nie ausgesprochen wurde.
Im Gespräch erklärt der Leiter des Amts für Justizvollzug, Mathias Fässler, weshalb die lebenslängliche Verwahrung bis heute noch nie ausgesprochen wurde.
SÜDOSTSCHWEIZ

Mathias Fässler, wie viele Bündner Straftäter befinden sich derzeit in Verwahrung?

Im Moment haben wir zwei Personen, auf die dieses Urteil zutrifft.

Diese sind aber nicht in Graubünden untergebracht.

Genau, eine Person befindet sich in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Zürich und die andere ist in der Justizvollzugsanstalt Solothurn.

Weshalb wurden diese Personen nicht im Kanton Graubünden untergebracht?

Derzeit könnten wir diese Personen aus Sicherheitsgründen höchstens im Sennhof in Chur unterbringen. Dort behalten wir die Leute aber maximal vier Jahre, danach bringen wir sie an einen anderen Ort. Der Sennhof ist eng, klein und alt, das ist ein Nachteil für uns. Mit der neuen Justizvollzugsanstalt in Cazis werden wir diese Leute aber wieder nach Graubünden zurückholen können.

Seit der Einführung der Verwahrungsstrafe im 1998 gibt es nach dem Urteil im Fall Rupperswil schweizweit genau einen Täter, der rechtskräftig lebenslänglich verwahrt wird. Das aber auch nur, weil der Verurteilte im Kanton Thurgau sein Urteil nicht an das Bundesgericht weitergezogen hat. Das Bundesgericht hat nämlich vier andere Urteile mit lebenslänglicher Verwahrung letztinstanzlich gekippt, aufgrund eines Schlupfloches im entsprechenden Gesetzesartikel. Dieser besagt, dass niemand urteilen kann, ob jemand lebenslänglich untherapierbar bleibt. Was sagen Sie dazu?

In einem gewissen Sinn kann ich das verstehen. Es ist so, dass wir die lebenslängliche Verwahrung aufgrund des Verfassungsartikels im Strafgesetzbuch haben. Die Realität ist aber die, dass die Verwahrung, die ja bereits vorher im Strafgesetzbuch drin war, vollzogen wird. In den überwiegenden Fällen ist es dann auch lebenslänglich. Die Personen kommen nur noch raus, wenn sie alt sind oder im Vollzug sterben.

Können Sie trotzdem nachvollziehen, weshalb viele Leute vom Strafvollzug enttäuscht sind? Man hatte ja grosse Hoffnungen, als die Verwahrungs-Initiative im Jahr 2004 angenommen wurde.

Ich glaube nicht, dass sie vom Strafvollzug enttäuscht sind, sondern eher von den Gerichten, welche die lebenslängliche Verwahrung nicht anwenden. Aber es ist natürlich so, dass ein Gericht das Gesetz vollzieht. Allerdings gibt es Entwicklungen in der Psychatrie, die besagen, dass wenn man einen Täter heute verurteilt, diesen in den nächsten paar Jahren vielleicht trotzdem therapieren und so verbessern kann. Und diese Prognose, zu sagen, was in ein paar Jahren ist, das kann niemand machen. Entsprechend ist es juristisch korrekt, dass das Bundesgericht das so macht, auch wenn das möglicherweise den Interessen der Intitianten und der Bevölkerung widerspricht. Aber ich betone nochmals: Die ordentliche Verwahrung führt meistens trotzdem dazu, dass verurteilte Personen lebenslänglich drin bleiben.

Viele Länder bestrafen gewisse Verbrechen unvorstellbar schlimm, das oberste Schweizer Gericht hat aber nicht einmal die schwerste Bestrafung, die in unserem Gesetz möglich ist, verhängt. Ist unsere Justiz zu soft mit Straftätern?

Ich denke nicht, dass das so ist. Die Strafe wird lebenslänglich ausgesprochen und lebenslänglich heisst, dass man wirklich bis zum Tod im Vollzug bleibt. Dort ist es zwar möglich, dass man eine bedingte Entlassung prüft. Auch bei der Verwahrung müssen wir das immer wieder überprüfen. Die Realität zeigt aber, dass diese Leute meistens bis an ihr Lebensende im Vollzug sind. Also denke ich nicht, dass man sagen kann, dass diese «schwerste Strafe» nicht ausgesprochen wird. Diese lebenslängliche Verwahrung ist tatsächlich vom Bundesgericht noch nie ausgesprochen worden, aber wie gesagt, das hängt mit der gesetzlichen Bestimmung zusammen.

Eben, die gesetzliche Bestimmung, die nicht so umgesetzt wird, wie das von den Initianten geplant wurde. Warum ist das so?

Es gibt natürlich auch übergeordnete Regelungen, wie beispielsweise die Menschenrechtskonvention. Und man hat auch hier gesagt: vielleicht verläuft die Entwicklung anders als am Anfang angenommen, vielleicht entwickelt sich die Psychatrie, sodass man mit diesen Tätern doch noch etwas machen kann. Um eine lebenslängliche Verwahrung überhaupt aussprechen zu können, braucht es zwei Psychiatier, die unabhängig voneinander bestätigen, dass sich eine Person ihr Leben lang nicht ändern und verbessern lassen wird. Und die Realität: Kein Psychiater oder Experte konnte dies bisher hundertprozentig ausschliessen.

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