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Respekt, wer respektvoll ist

Mara Schlumpf findet, Respekt ist keine Selbstverständlichkeit.

25.01.23 - 16:30 Uhr
Bild Pixabay

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Schon früh wurde mir beigebracht, respektvoll mit meinen Mitmenschen umzugehen. Ehrlich gesagt legten meine Eltern den Fokus vor allem auf ältere Menschen. Damit meine ich alle Menschen, die älter sind als ich – nicht zwingend Senioren. Erwachsenen gegenüber musste ich mich stets respektvoll verhalten. Was für ein Quatsch – muss ich rückwirkend sagen. Wenn meine Eltern wüssten … Denn ich war immer respektvoll und demütig. Ich Idiotin.

Zum Beispiel als mir meine Kindergartenlehrerin verbot zu sprechen, weil ihr meine Stimme «zu hoch und zu piepsig» war, und sie davon Kopfschmerzen kriegen würde. Ich habe zwei Monate lang im Kindergarten kein Wort gesagt. Aus Respekt. Oder als ich meinem Götti jeweils Küsschen geben musste, weil er dies verlangte. Obwohl ich ihm keine Küsschen geben wollte, habe ich es getan – denn die Erwachsenen haben immer Recht und deswegen muss man sich respektvoll fügen. Als ich mit einem gebrochenen Fuss von Biel nach Bern gewandert bin, weil meine Klassenlehrerin gesagt hat «der ist nicht gebrochen, das würde viel mehr schmerzen, jetzt reiss dich zusammen Mara und schau, dass du nicht zu weit zurückfällst!» Natürlich. Auch nach der Ankunft daheim, als ich direkt ins Spital gefahren bin, war ich respektvoll, als mich der Arzt auf dem Notfall zusammengestaucht hat, welche Idiotin denn bitte mit einem gebrochenen Fuss noch von Biel nach Bern laufe, mit gesundem Menschenverstand mache man das nicht. Ich habe artig genickt. Respekt vor Erwachsenen. Immer. Bedingungslos.

Wer nun denkt dieses Verhalten habe sich nach meinem 18. Geburtstag gebessert – der irrt. Als einer meiner Ex-Freunde seine Grenzen nicht kannte – er war acht Jahre älter – war ich der felsenfesten Überzeugung, er sei im Recht. Als der Vermieter meiner ersten eigenen Wohnung mich als verwöhnte Prinzessin bezeichnete, weil ich ihn auf die verschimmelten Wände und das zentimeterhohe Wasser im Keller hinwies, habe ich mich nicht gewehrt. 

Wann ich mit diesem Quatsch aufgehört habe? So ganz wohl noch nicht. Aber immer mehr wird mir bewusst, dass diese Erziehungsmentalität – «hab immer Respekt vor Menschen, die älter sind als du, die wissen mehr als du und haben immer Recht» – kompletter Humbug ist. Alter macht nicht weise. Viel öfter macht es verbittert, stutenbissig und engstirnig. Und nicht wenige Menschen denken wirklich, sie seien im Recht, nur weil sie die 40 überschritten haben. So macht es doch viel mehr Sinn, nur den Menschen mit Respekt zu begegnen, die sich auch mir gegenüber respektvoll verhalten. Wenn ein Ärzteteam beinahe eine zweistellige Anzahl Versuche braucht, um mir einen Zugang zu legen, dann habe ich Verständnis und Mitgefühl. Denkt dieser eine Arzt dann aber, dass er mir die Schuld an seinem Versagen geben muss, dann endet meine Empathie an genau diesem Punkt. Respekt den Menschen, die wissen, wie man sich respektvoll verhält. Jenen Menschen, die sachlich diskutieren und wissen, wie man zuhört. Respektvolles Verhalten muss man sich verdienen. Mit respektvollem Verhalten. 

Noch eine kleine Ergänzung mit Bitte an alle Eltern. Wenn euer Kind keine Umarmungen/Küsschen oder was auch immer geben will – dann lasst es. «Nein» ist ein vollständiger Satz. Auch bei Kindern. Sonst werden eure Kinder am Ende wie ich – eine harmoniebedürftige junge Frau ohne Streitkultur. Und mit endlos schlechtem Gewissen nach einem «Nein».

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