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Aberglaube, magisches Denken oder Zwangsstörung?

«Knock on wood» – oder auf Schweizerdeutsch «Holz aalange». Ohne geht es schief, ist sich die Autorin sicher.

08.03.23 - 16:30 Uhr
Notwendig: Wenn gewisse Rituale eingehalten werden, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Notwendig: Wenn gewisse Rituale eingehalten werden, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Bild Freepik

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Die vielen kleinen Rituale haben sich unbemerkt in mein Leben geschlichen. Plötzlich waren sie da – und haben sich gut angefühlt. Haben mir Sicherheit gegeben, mir Mut gemacht und meine Nerven beruhigt. Wer mich nicht kennt, sieht sie nicht. Wer mit mir zusammenlebt, ist ihnen ausgeliefert. Damit klar wird, was ich meine: Wenn mein Mann zur Arbeit geht, muss ich ihm zwei bestimmte Sätze sagen. «Gib Sorg. Pass uf dich uuf.» Das mache ich bei jeder Verabschiedung von einer Person, die mir ganz nah am Herzen ist. Für mich garantieren diese beiden Sätze ein erwünschtes Wiedersehen. Sie sind essenziell. Kann ich mich nicht so verabschieden, plagt mich den ganzen Tag das Gefühl, dass dieser Person, im konkreten meinem Mann, etwas Schlimmes passieren könnte. Dieses «Gib Sorg. Pass uf dich uuf» stellt sicher, dass nichts passiert. 

Meiner Hündin sage ich jeden Abend vor dem zu Bett gehen, dass sie die tollste und hübscheste Hündin auf der Welt ist. Und ich bedanke mich bei ihr, dass ich ihre Hunde-Mama sein darf. Damit will ich sicherstellen, dass sie sich geliebt fühlt. 

Meinem Papa sage ich nach jedem Telefonat, dass ich ihn lieb habe. Falls es das letzte Mal ist, dass wir uns hören. (Mein Leben hat mir gezeigt, dass nichts nicht passieren kann.)

Wenn ich über etwas spreche, das keinesfalls passieren soll, muss ich «Holz aalange». Und das natürlich auch sagen. Sonst trifft die unerwünschte Prophezeiung ein. Da bin ich mir ganz sicher. Ein Regenschirm darf nur in der Dusche aufgespannt werden, an allen anderen Orten «drinnen» ist dies verboten. Das bringt Unglück. Ich gebe zu, die Ausnahme mit der Dusche habe ich notgedrungen selber erfunden, weil meine nassen Schirme ja irgendwo trocknen müssen.

So weit, so gut. All diese Marotten könnte man als leichten Aberglauben oder als magisches Denken abtun. Es gibt da aber auch ein oder zwei Angewohnheiten, welche einen Psychotherapeuten die Stirn runzeln liessen. Ich sehe diesen fiktiven Therapeuten bereits eifrig Notizen machen, während er sich in seinem Sessel zurücklehnt. Zum Beispiel kann ich keine Produkte, welche Milch enthalten, essen, wenn ich sehe, wie die zuvor von einem anderen Menschen angefasst wurden. Wer mir also Käse schneiden will, hat schlechte Chancen. Romantisch ein Schoggistängeli teilen? Nein danke. Gemeinsam Pizza selber machen? Okay, aber nur, wenn ich den Pizzakäse verteilen darf. An einigen Tagen kann ich nicht mal verpackte Milchprodukte essen, die jemand zuvor angefasst hat. Sehe ich dies nicht, wie zum Beispiel in Restaurants, ist es mir egal. Nach einem Glas Wein übrigens auch. Besonders Letzteres weckt in mir die Vermutung, dass es sich hier um eine Zwangsstörung handelt. Wann sich diese entwickelt hat, kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich nur an ein Erlebnis in der fünften Primarschulklasse. Wir alle teilten uns eine Tafel Schokolade in einem Spiel. Diese Schokolade wanderte durch zehn Paar klebrige Kinderhände, welche sich alle ein Stück abgebrochen haben, bis sie auf meinem Tisch landete. Ich musste mich bei diesem Anblick übergeben. 

Auch die Tatsache, dass ein Glas, aus welchem ich trinke, einen gewissen Füllstand haben muss, damit es sich «gut» anfühlt, ist ein bisschen bedenklich. 

Alle weiteren Ticks erspare ich euch nun. Ihr sollt mich schliesslich in einigermassen normaler, erwünschterweise sogar in guter Erinnerung behalten. Dies ist mein letzter Zillennial-Beitrag, weil ich die Südostschweiz leider verlasse. Künftig werde ich im Aargau meine Regenschirme in der Dusche öffnen und meine Gläser bis fingerbreit unter den Rand füllen. 

Es war mir eine Ehre, euch mit meinen Gedanken und Erlebnissen zu unterhalten. Und in diesem Sinne: «Gänd euch Sorg. Passend uf euch uuf.»

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