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Streitkultur

06.01.19 - 04:30 Uhr

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Eine mittelalterliche Stadt, historische Riegelhäuser drängen sich um einen Innenhof. Ein Riesenbaum wuchert in den Abendhimmel. Hoch oben hält sich ein langer offener Holzkorridor am Mauerwerk fest. Ich stehe darauf und sehe hinab, hinunter auf ein Meer voller Pflastersteine.

Schritte im Innenhof. Ein Pärchen nähert sich, sie lachen vergnügt. Ich vermute Verliebte. Sie trägt einen leuchtend roten Hut und spricht französisch. Sie muss schön sein. Er verbirgt sich unter einer dunklen Mütze. Ich verstehe nicht, was sie da reden. Nach und nach wird die Frauenstimme immer lauter. Jetzt klingt sie genervt. Ständig schleudern ihre Hände unter dem Hut hervor.

Wir haben keinen Streit. Ich und meine Freundin. Seltenst. Und schon gar nicht hier in den Ferien, da haben die Sorgen zuhause zu bleiben. Sie warten daheim auf uns. Sie duscht gerade im Hotelzimmer ganz am Ende des Holzkorridors. Etwas Zeit für mich.

Die beiden stehen genau unter mir. Ich stützte mich noch weiter übers Balkongeländer. Der rote Hut redet sich in Rage. Schimpfworte fallen, soviel Französisch verstehe ich auch noch. Aus Worten werden Waffen. Schade kann ich sie nicht sehen, Streit entstellt die Gesichter.

Sie erinnern mich an meinen Freund und seine Frau. Sie lieben sich zu streiten. Einmal konnten sie sich nicht auf eine gemeinsame Raumtemperatur im Auto einigen. Danach redeten sie tagelang nicht mehr miteinander. 

Die wütenden Worte enden abrupt, beide sind auf einmal still. Ich weiss nicht, ob sie weint. Sie dreht auf dem Absatz, der Hall davoneilender Stöckelschuhe füllt den ganzen Innenhof. Er trottet zum wuchtigen Baum, lehnt sich dagegen und senkt den Kopf.

Ich weiss genau, was jetzt in ihm vorgeht. Seine Gedanken simulieren das Gespräch. Was hat sie bloss? Den eigentlichen Streitauslöser aber wird er nicht finden. Es gibt ihn nicht, den einen Grund. Dann kommen die Selbstzweifel und schliesslich das schlechte Gewissen.

Meine Freundin und ich sind nicht speziell friedfertige Menschen, doch die Gemüter wurden mit fortschreitender Bekanntschaft gelassener. Mittlerweile vermeide ich Themen, die sie zur Explosion bringen könnten. Ich weiss zu schweigen und ich weiss sie abzulenken. Meine Freundin ist ebenfalls streitunlustig. Dafür entsorgt sie ihren Ärger bei mir. Ich bin ihr Kummerkasten, in jeder Schublade verstaut sie ihren Sorgen.

Genug gelauscht. Ich mache mich auf zum Hotelzimmer. Doch dann höre ich es leise und deutlich: Den Klang von Stöckelschuhen. Schon hänge ich wieder über dem Geländer. Der rote Hut steuert langsam auf den Baum zu. Er zieht an der Zigarette, weisser Rauch steigt auf. Dann tritt er den Glimmstängel aus und geht ihr entgegen. Sie stehen sich gegenüber und reden lange.

 Ihre Hutränder berühren sich, ihre Kopfbedeckung fällt zu Boden. Sie lachen und verschwinden im Hotel.

 Zorn und Zärtlichkeit. Ich beneide die beiden um diesen Moment ihrer Auseinandersetzung. Streit erstickt die Vernunft, genauso macht es die Liebe.

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