×

Schildbürger

26.08.18 - 04:30 Uhr

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Hafen. Herrlich.  Die Sonne legt ein gleissendes Mosaik auf den See. Ein leuchtrotes Schild an einer Kette versperrt den Eingang zum Pier. Aufschrift: «Zutritt nur für Berechtigte.» Zu gerne würde ich mir die Boote aus der Nähe ansehen. Niemand hier. Da sind nur ich und dieses Schild. Soll ich die Kette einfach abmachen und durchgehen?

Aber was, wenn mich jemand erwischt? Droht Wegweisung oder gar Busse? Ach was, im schlimmsten Fall wird jemand sauer und schickt mich zurück. Wer kontrolliert das eigentlich? Der Hafenmeister oder die Seepolizei? «Zutritt nur für Berechtigte», wie sieht ein «Berechtigter» denn überhaupt aus?  Ist das nicht einfach eine leere Drohung, um Neugierige abzuhalten, ein Bluff, damit Bootsbesitzer ihre Ruhe haben? Ich finde, das Seeufer sollte allen gehören.  

Wenn ich da jetzt nicht durchgehe, bin ich ein verdammter Feigling! Langsam wird’s persönlich, du dämliches Schild du! Hängst einfach lässig an deiner Kette und hältst mir dein Verbot unter die Nase. Fertig, Ende, Aus: Mein Entschluss steht fest!

Einen Tag später. Mit einem unhörbaren Schrei schrecke ich vom - von der Sommersonne aufgeheizten Autoledersitz auf. Die Klimaanlage bläst mir frostig entgegen. Kalter Körper, heisser Hintern, hellwach fahr ich los.

Sie stehen links, sie stehen rechts, sie stehen vor und hinter mir. Scharenweise Schilder.  Tempolimit, Ortsschild, Park- und Halteverbot. Werbeschilder, WC-Schilder, Warnschilder, Nummernschilder. Schilder in allen Farben und Formen: Recht-, rund-, drei-, vier-, und vieleckig.  Sie strahlen am Tag und leuchten in der Nacht: Symbole, Schriftzüge und Zahlen. Alle buhlen um meine Aufmerksamkeit. Ich rausche durch den Schilderwald. Doch eigentlich ist es nur Farbe auf Blech.

Eine Leuchttafel rast auf mich zu. Sie überspannt die ganze Breite der Autobahn. Mein Kopf fährt in den Nacken. Meine steil aufgerichteten Augen lesen: «Lassen sie sich beim Fahren nicht ablenken.»

Alle Fahrzeuge verlangsamen mit einem Mal.  Mein Tacho fällt und fällt. Jetzt sogar unter die Höchstgeschwindigkeit. Dann seh ich ihn: Weiss-Orange tuckert ein einsamer Polizeiwagen voraus. Er ist schon von weitem zu sehen. Eine motorisierte Mahnung. Eigentlich ist es nur Farbe auf Blech. Die mitfahrenden Polizisten haben auch nur zwei Augen.

Wie das wohl aus Sicht der Gesetzeshüter aussieht?  Rund um sie herum permanent abgebremster Verkehr. Die Beamten gondeln in den beruhigten Gewässern des gewaltigen Fahrzeugstroms. Vorauseilender und hinterherfahrender Gehorsam.

Jetzt wird es mir aber doch zu blöd. Ich setzte zum Überholen an. Im Zeitlupentempo ziehe ich am Polizeiwagen vorbei. Nur langsam wird er im Rückspiegel kleiner. Erst in sicherer Distanz trete ich wieder aufs Gas. Was bin ich doch für ein Staatsrebell.

Ich finde meinen Bestimmungsort nicht. Ich frage mein Navi. Jetzt folge ich nur noch der Stimme meines Wagens. Navi ein, Kopf aus. Plötzlich verschwinden viele Schilder.

Einen Tag vorher. Wellen schaukeln die Schiffe. Ich stehe immer noch vor dem eingangs geschilderten Problem. Da sind nur ich und dieses Schild. Frech baumelt es vor mir.

Entschlossen löse ich die Kette und schreite hindurch. Leise laufe ich die Metalltreppe hinunter. Noch ein letzter Absatz – tatsächlich – ich stehe auf dem Bootssteg!  

Doch vor mir türmt sich eine weitere Tafel. Grossbuchstaben verkünden drohend: «Achtung – Videoüberwachung». Farbe auf Blech, Verbot im Kopf. Ich schaue mich um. Keine Kamera zu sehen, oder doch? Hier stehen überall Masten. Es ist zum Verzweifeln.

Ich kapituliere und kehre um. Treppe hoch, Kette hoch, schon steh ich wieder am Pier. Von Ferne schaue ich auf die Schiffe. Was bin ich doch für ein Schildbürger.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.