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Angehende Medizinstudentin taucht in ihr fremde Welt ein

Isabelle Landolt vergleicht in ihrer Maturaarbeit die Aktivierungsangebote von drei Alters- und Demenzheimen. Bei ihren Besuchen hat sie eine ganz andere, abgeschottete Welt erlebt.

Südostschweiz
09.02.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Demenz als Thema: Isabelle Landolt untersuchte die Aktivierungsangebote in drei Alters- und Demenzheimen.
Demenz als Thema: Isabelle Landolt untersuchte die Aktivierungsangebote in drei Alters- und Demenzheimen.
Bild Madeleine Kuhn-Baer

von Madeleine Kuhn-Baer

Demenz. Sechs Buchstaben, die Betroffenheit auslösen. 150 000 Menschen in der Schweiz sind davon betroffen, die Prognose für das Jahr 2050 ist mehr als doppelt so hoch. Isabelle Landolt aus Glarus hat das Thema für ihre Maturaarbeit gewählt. «Meine Mutter arbeitet als Pflegefachfrau in einem Altersheim, zudem wollte ich praktische Erfahrung sammeln im gesundheitlichen-sozialen Berufsumfeld», sagt die 17-Jährige, die später Medizin studieren möchte.

Landolt verbrachte für ein Sozialpraktikum eine Woche im Alterszentrum Bühli Ennenda sowie zusätzlich einen Tag mit der Aktivierungsfachperson in der Demenzwohngruppe Schilt. Weiter war sie einen Nachmittag im Neubau 1 des Alterszentrums Schwanden zu Gast sowie drei Tage im Alters- und Demenzkompetenzzentrum Sonnweid in Wetzikon ZH, Letzteres im Rahmen eines Kurzpraktikums als Pflegehelferin.

Die Besuche waren für sie «zunächst ein Schock», wie sie sagt: «Ich trat in eine ganz andere, abgeschottete Welt ein mit Menschen, die ebenfalls in ihrer eigenen Welt leben mit starken Emotionen wie Weinen und Lachen.» Die Einschränkungen durch die Krankheit seien deutlich zu erkennen gewesen.

«Es war auch schwierig für die Pflegenden», so die Maturandin. Doch habe sie die positiven Auswirkungen einer guten Betreuung, Pflege und Aktivierung erleben dürfen: «Am Schönsten waren das Lächeln in den Gesichtern der Demenzkranken und das Tanzen eines sonst stillen Mannes. Das war wirklich ein Erlebnis.» Sie selber war jeweils sehr erschöpft: «Ich war nicht daran gewöhnt, war ständig auf den Beinen. Man wird fast immer von den Bewohnenden gebraucht. Ihr Schicksal hat mich mitgenommen. Auch heute denke ich noch an einige Menschen zurück.»

Das Alter gilt als grösster Risikofaktor

In ihrer Maturaarbeit vergleicht Lan-dolt die Aktivierungsangebote der drei Heime, geht aber auch allgemein auf Demenz ein. «Es ist der Oberbegriff für mehr als 100 verschiedene Krankheiten, welche die Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Besonders die geistigen, die sogenannten kognitiven Fähigkeiten wie das Denken, das Gedächtnis, die Orientierung und die Sprache sind bei Demenz betroffen.» Dadurch seien erkrankte Personen im Verlauf der Demenz zunehmend in ihren Aktivitäten des täglichen Lebens und/oder des Berufs eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen.

Der grösste Risikofaktor für eine demenzielle Erkrankung ist das Alter. Mit einem gesunden Lebensstil und der Reduktion von Risikofaktoren kann man laut Landolt einer Demenzerkrankung zumindest vorbeugen: «Genügend Schlaf, kein Übergewicht, genügend Bewegung, kein hoher Blutdruck, Verzicht auf Rauchen, ein gemässigter Alkoholkonsum, genügend Bewegung und intellektuell anspruchsvolle Tätigkeiten.»

«Das Bühli und das Alterszentrum Schwanden haben nicht genügend Geld für mehr Personal.»

Isabelle Landolt, Maturandin

Es gibt verschiedene Demenzformen. Die häufigste und bekannteste ist die Alzheimer-Erkrankung. 70 Prozent aller demenziell Erkrankten haben diese Form. Bis heute kennt die Medizin kein Heilmittel für Demenz. Eine nicht medikamentöse Behandlung ist die Aktivierung von Betroffenen. Man versteht darunter die Unterstützung und Begleitung von Demenzerkrankten mit dem Ziel, unter Berücksichtigung ihrer Interessen und Möglichkeiten ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu erhalten und ihre Sinne anzuregen. Eine gut gemeisterte Aktivierung gibt dem Menschen ein Erfolgsgefühl. «Die Betroffenen sollen einen guten Moment erleben, wobei ihre Krankheit etwas in den Hintergrund rückt», schreibt die Maturandin. Aktivierung sei ein entscheidender Beitrag, um die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern.

«Ohne Einfühlungsvermögen geht gar nichts»

Rituale im Rahmen der Aktivierung – also immer die gleichen Tätigkeiten regelmässig durchzuführen – ermöglichen es den Bewohnenden, Strukturen zu etablieren. Diese schaffen Orientierung und Sicherheit und wirken der krankheitsbedingten Verwirrtheit der Bewohnenden entgegen. Gegenüber Demenzerkrankten muss laut Landolt immer Respekt gezeigt werden: «Besonders wichtig sind Empathie, Wertschätzung, Validation und eine angepasste Kommunikation. Ohne Einfühlungsvermögen geht gar nichts.»

Die Maturandin hat durch Beobachtungen während der Kurzpraktika festgestellt, dass sich die drei Institutionen für Menschen mit Demenz vor allem durch die Unterschiede im Angebot der Gruppenaktivierung abgrenzen. Die beiden Glarner Heime sind Altersheime, welche zusätzlich noch eine beziehungsweise zwei Wohngruppen für acht respektive 22 demenzerkrankte Menschen zur Verfügung stellen. Alle 160 Bewohnenden in der Sonnweid hingegen sind demenzerkrankte. Die Institution in Wetzikon mit 16 Demenzwohngruppen (eingeteilt in Demenzstufen) ist ein reines Demenzheim, was es im Kanton Glarus nicht gibt.

Die Anregung der Sinne wird durch die bestmögliche Gestaltung der Umgebung ermöglicht. Alle drei Institutionen besitzen einen Garten mit verschiedenen Pflanzen und weiten Wegen im Innen- und Aussenbereich. Zudem verfügen alle untersuchten Heime über helle Räume und offene Türen auf dem ganzen Areal.

Zeitaufwand für Aktivierung: drei Stunden bis fünf Tage

Unterschiedlich ist der Zeitaufwand für die Aktivierung: Jeden Montagnachmittag kommt die Aktivierungsfachfrau Marina Glarner ins Alterszentrum Schwanden zu den beiden Demenzwohngruppen. Sie bleibt etwa drei Stunden. Die Demenzwohngruppe Schilt im Alterszentrum Bühli in Ennenda besucht die Aktivierungsfachfrau Daniela Theiner jeden Dienstag. Die Aktivierung findet den ganzen Tag statt. Im Alters- und Demenzkompetenzzentrum Sonnweid hängt ein Stundenplan im Gang, auf dem das gesamte Gruppenaktivierungsangebot für die jeweilige Woche geschildert wird. Zeitaufwand: fünf Tage pro Woche, je circa drei bis sechs Stunden.

«Im Zürcher Demenzheim gibt es für viele verschiedene Angebote genug Interessierte.»

Isabelle Landolt, ist 17-jährig

Dies zeigt laut der Maturandin «die Defizite der Glarner Heime aufgrund fehlender Ressourcen. Das Bühli und das Alterszentrum Schwanden haben nicht genügend Gelder, um mehr Personal anzustellen.» Demzufolge verfügten die beiden Institutionen im Kanton Glarus nicht über genügend Aktivierungsfachpersonal, um die Aktivierungen häufiger in der Woche durchzuführen, führt Landolt aus. «Sowohl im Bühli als auch in Schwanden ist zurzeit nur eine Aktivierungsfachperson für die Demenzwohngruppen angestellt.»

Die Einzelaktivierung der verschiedenen Institutionen unterscheidet sich hingegen kaum. In allen Heimen führen die Pflegenden je nach Bedarf anregende oder beruhigende Pflegemassnahmen durch.

Der markanteste Unterschied zwischen den drei untersuchten Heimen ergibt sich beim Inhalt der Gruppenaktivierungen. In der Sonnweid sind es Gartenarbeit, Kochen auf Station, Backgruppe, Brot backen, Frühstücksbegrüssung, Ausdrucksmalen, Validationsgruppe, Werken und Männergruppe. In Schwanden gibt es vereinfachte Spiele, Basteln und Gartenarbeit. Im Bühli Ennenda werden vereinfachte Spiele, Basteln, Gartenarbeit, Kochen und Backen angeboten.

«Der Hauptgrund für die Vielfältigkeit der Inhalte der Gruppenaktivierungen im Zürcher Demenzheim ist die hohe Anzahl Bewohnende. Es gibt für viele verschiedene Angebote genug Interessierte. Zudem arbeitet in der Sonnweid genügend Fachpersonal, um die verschiedenen Angebote auszuführen», sagt Landolt.

Im Kanton Glarus hingegen fehlt es den Heimen an Geld, teurem Inventar für die Aktivierung sowie Personal. Die Maturandin erachtete an der Präsentation denn auch ein Demenzheim für alle im Glarnerland als sinnvoll: «Dies würde mehr Möglichkeiten schaffen.»

Das ist die letzte von vier ausgewählten Maturaarbeiten, die in den «Glarner Nachrichten» vorgestellt werden. Die öffentliche Prämierung der Maturaarbeiten findet am Samstag, 11. Februar, von 11.30 bis 13 Uhr an der Kantonsschule Glarus statt.

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Schade hätte mir gerne eine ausführlichere Recherche erwünscht. Hört sich alles sehr einseitig an, von einer Woche auf ein Paar Stunden zu schliessen. Zudem muss eine Gruppenaktivierung nicht zwingend von einer Aktivierungsfachfrau ausgeübt werden, dies kann von verschiedenen Berufsgruppen getätigt werden. So z.B in der Sonnweid. Ausserdem ist eine Aktivierungsfachfrau HF dazu Imstande Einzeltherapien anzubieten, die anders verrechnet werden können, hingegen einer normalen Gruppen oder Einzelstunde. Leider wird jedoch die Ausbildung im Kanton Glarus noch nicht angeboten. Deshalb ist nach meiner Meinung auch die Stelle dünn besäht..

Dazu kommt, das eine Instutition für Menschen mit Demenz einen ganz anderen Personalschlüssel hat.

Mich enttäuscht es sehr, das man durch einen so kurzen Einblick, einen Beruf versucht zu beschreiben, ohne sich wirklich damit auseinander gesetzt zu haben und Schlüsse zieht ohne abzuklären was der Realität entspricht.

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